
Macht Klimaschutz unsere Gesellschaft ungerechter?
Der Krieg in der Ukraine und die darauffolgenden Sanktionen gegen Russland sind der aktuelle Auslöser für den beispiellosen Anstieg der Energiepreise. Doch sie verstärken nur einen langfristigen Trend, denn auch die verschiedenen Klimaschutzmaßnahmen werden die Preise weiter steigen lassen. Führt das zwangsläufig zu einer noch größeren Belastung der ärmsten Gesellschaftsschichten? Nicht unbedingt.
Letztens scrollte ich wie so oft gedankenlos durch die Nachrichten, als mein Blick bei einem Foto der Wiener Fernwärmeanlage hängen blieb. Fernwärme Wien ist auch der Energieanbieter meiner Familie. Die Überschrift des Artikels gab bekannt, dass die Verbraucherpreise um 92 Prozent steigen werden. Zuerst dachte ich, die Redaktion habe sich um eine Kommastelle vertan, denn 9,2% wären ja schon heftig genug. Aber nein, die Preise steigen tatsächlich praktisch um das Doppelte.
Und das ist kein Einzelfall. In ganz Österreich steigen die Energiepreise gerade drastisch an und dadurch auch die Preise von vielen anderen Gütern, die für ihre Produktion oder ihren Transport viel Energie brauchen. Es ist natürlich für fast alle belastend, wenn plötzlich so Vieles mehr kostet, aber die aktuellen Entwicklungen bergen noch ein weiteres Risiko. So treffen sie überproportional die Haushalte mit geringem Einkommen. Das heißt ohne Gegenmaßnahmen würden nicht nur viele Familien (noch) ärmer werden, sondern es ist auch zu erwarten, dass sich die Einkommensschere noch weiter öffnet und die Ungleichheit in der Gesellschaft noch größer wird. Und das ist ein Problem, das nicht kurzfristig lösbar sein wird.
Denn auch wenn der aktuelle Preissprung stark von dem Krieg in der Ukraine, den Sanktionen gegen Russland und den daraus resultierenden wirtschaftlichen Auswirkungen beeinflusst ist, er ist Teil eines langfristigen Trends. Energie aus fossilen Brennstoffen ist einer der Haupttreiber des Klimawandels und viele der Klimaschutzmaßnahmen zielen darauf ab, den Verbrauch zu senken. Um das zu erreichen, kann die Bundesregierung den Preis von fossiler Energie bewusst in die Höhe treiben. So wurde etwa im Herbst 2021 eine „CO2- Steuer“ vorgestellt, und auf EU-Ebene wurde das Emissionshandelssystem verschärft. Die beabsichtigte Wirkung ist, dass sowohl Privatpersonen als auch die Industrie und „der Markt“ weniger fossile Energie verbrauchen. Die dadurch aber auch entstehende überproportionale Belastung von Geringverdiener:innen ist wohl eher eine unbeabsichtigte Nebenwirkung.
Wir sitzen ja alle im selben Boot! Oder?
Diese überproportionale Belastung macht sich auf verschiedenen Wegen bemerkbar. Eine Familie mit geringerem Einkommen, nennen wir sie Familie Golubović, hat etwa €1 300 pro Monat zur Verfügung, und eine andere Familie mit mehr Einkommen, nennen wir sie Familie Marković, hat beispielsweise €6 800 pro Monat zur Verfügung[1]. Beide stehen nun diesen Preiserhöhungen gegenüber, die tatsächlich zwischen den Einkommensgruppen relativ ähnlich sind. Denn zwar haben reichere Familien in der Regel eine größere Wohnung und müssen daher mehr heizen, aber sie haben oft auch energieeffizientere Geräte, eher Zugang zu Ökostrom und wohnen in besser isolierten Gebäuden. Auch ist etwa der gerade stark geförderte Tausch von Gasheizungen in der Regel nur für Eigentümer:innen eines Hauses und nicht für Mieter:innen möglich. Daher zeigt sich, dass der Energieverbrauch gar nicht so unterschiedlich ist. In Wien werden die Energiekosten pro Monat voraussichtlich um durchschnittlich €45 steigen[2]. Selbst wenn sich der Kostenzuwachs für die hypothetischen Familien Golubović und Marković etwas unterscheiden, sagen wir €40 für Familie Golubović und €50 für Familie Marković, fallen €40 bei einem Einkommen von €1 300 natürlich deutlich mehr ins Gewicht als €50 bei einem Einkommen von €6 800.
Eine weitere Auswirkung die oft weniger Aufmerksamkeit bekommt, ist der Anstieg von Preisen von Konsumgütern. Und auch hier zeigt sich bei näherer Betrachtung eine besondere Belastung von Menschen mit weniger Geld. Denn die Umweltbelastung ermöglicht in vielen Fällen erst den unglaublich niedrigen Preis vieler Produkte. Ein paar Klicks durch die aktuellen Angebote, und ich finde €5 T-Shirts von Shein, ein ganzes Hähnchen für €4,99 im Angebot bei Lidl und unglaublich günstige Elektronikartikel (die dann pünktlich zum Ablauf der Garantie kaputt gehen). Die teilweise absurd niedrigen Preise dieser Produkte entsprechen nicht im Geringsten den tatsächlichen Kosten, die sie verursachen. Dabei handelt es sich um Kosten, welche die Umwelt und oft die ausgebeuteten Produzent:innen im weit entfernten Herkunftsland tragen. Aber mit einem Haushaltseinkommen von €1 300 im Monat ist es wohl mehr als verständlich, dass Familie Golubović nicht stattdessen €80 Shirts aus biologischer, Fairtrade Baumwolle kauft, oder das €20 Hühnchen vom Biobauern aus der Region. Selbst wenn sie das aus Umweltbewusstsein gerne tun würden. Aber Familie Marković auf der anderen Seite leistet sich vielleicht bereits die umweltverträglicheren Güter. Und wenn die diversen Umwelt- und Arbeiter:innenschutzmaßnahmen es schaffen die ausbeuterischen Praktiken zu verringern, dann werden dadurch vor allem die Preise der „Billigprodukte“ steigen, und damit vor allem die Preise für Familie Golubović. Das Thema „nachhaltiger Konsum“ wird auch in diesem Artikel noch genauer diskutiert.
Dann lass‘ ma das mit dem Klimaschutz lieber?
Aber natürlich sind diese Klimamaßnahmen trotzdem notwendig. Wenn die Klimakrise nicht abgewendet wird (oder zumindest deutlich abgeschwächt wird), wird es erst recht für alle teurer und wieder würden es all jene mit dem geringsten finanziellen „Polster“ am härtesten treffen. Die Bundesregierung hat auch schon durchaus Maßnahmen getroffen, um diese sozialen Konsequenzen abzufedern. So wurde die „Ökostrompauschale“ für 2022 ausgesetzt, die Strom aus fossiler Energie verteuert hätte. Auch die oben erwähnte CO2-Steuer wurde auf Herbst 2022 verschoben. Hier stellt sich nun die Frage, ob dadurch der Klimaschutz vernachlässigt oder die beabsichtigte Energieeinsparung dennoch erreicht wird. Denn die Energiepreise sind ja trotzdem höher als früher, was zu einem geringeren Verbrauch führen sollte. Zur zusätzlichen Entlastung plant die Regierung eine „Einmalzahlung für Arbeitslose, Mindestsicherungs- und Ausgleichszulagenbezieher“ von €300 und zusätzlich eine Unterstützung von Haushalten unter einem gewissen Einkommen, der einmalige „Energiekostenausgleich“ von €150[3]. Die Maßnahmen werden von verschiedenen Stellen aus verschiedenen Gründen kritisiert, aber sie sollten zumindest für einen Teil der Betroffenen einen Teil der Zusatzbelastung ausgleichen.
Doch auch nach der aktuellen Krise geprägt von Krieg und Sanktionen müssen die möglichen Implikationen der Klimaschutzmaßnahmen bedacht und aktiv dafür Sorge getragen werden, dass sich die Belastung fair auf die gesamte Gesellschaft verteilt. Und eine geringere (relative) Belastung der Geringverdiener:innen und damit eine höhere (relative) Belastung der Vielverdiener:innen ist nicht nur eine großmütige Nettigkeit, sondern tatsächlich fairer. Etwa sind in Österreich laut Oxfam die reichsten 10% für fast ein Viertel der CO2-Emissionen verantwortlich[4]. Zudem sollte nicht vergessen werden, dass höhere Energiepreise für den Klimaschutz nur ein Mittel zum Zweck sein sollten. Das tatsächliche Ziel ist der geringere Verbrauch von fossilen Brennstoffen und anderen Ressourcen. Es müssen also klimafreundlichere Alternativen angeboten werden, damit die Preiserhöhung ihren Zweck erfüllen kann.
Eine unbedachte Klimaschutzpolitik kann tatsächlich zu einer ungerechteren Gesellschaft führen – aber sie muss es nicht. Es liegt in den Händen der Politik, in welche Richtung die Auswirkungen gehen werden. Wenn Politik und Gesellschaft die Augen vor den zu erwartenden Konsequenzen verschließen, werden wir in zwei Jahren beim scrollen durch die Nachrichten wohl Artikel zu immer größer werdender Armut bei einem gleichzeitig immer größer werdenden Vermögen der Reichen lesen. Wenn sie sich aber ehrlich für eine grüne und faire Wirtschaftsordnung einsetzen, dann werden wir vielleicht stattdessen Artikel lesen über eine Gesellschaft die solidarisch und gemeinsam daran arbeitet ihre Klimaziele zu erreichen.
Quellen
[1] Die Zahlen kommen aus einer EU-Erhebung zu den Einkommen in Österreich. Die ärmsten 10% der Haushalte haben weniger als €1 311.25 pro Monat zur Verfügung; die reichsten 10% der Haushalte haben mehr als €6 814 pro Monat zur Verfügung. eu-silc_2020