Kenne deine Rechte

„Mädl“, „Girl“, „geile Bitch“ – Frauenhass in Österreich


Jede fünfte Frau ist ab ihrem 15. Lebensjahr körperlicher und/oder sexueller Gewalt ausgesetzt“.1 Die Zahlen der weiblichen Mordopfer in Österreich sind bedenklich, berichten die Autonomen Österreichischen Frauenhäuser. Wenn man diese relational zur Einwohner:innenzahl betrachtet, zählen sie auch europaweit zum obersten Bereich. Dazu kommt, dass die Zahl 28 (Stand: 24.11.2021) lediglich die tatsächlichen Femizide, die in Österreich 2021 passiert sind, beschreibt. Die weiteren 45 Mordversuche an Frauen aus diesem Jahr wurden bei dieser Zahl nicht miteinberechnet.2

Mag.a Gabriele Metz, MA ist Ombudsfrau für Grazer Frauen und Mädchen und unterstützt mittels ihrer Position die Grazerinnen in vielfältigen Notsituationen. Anlässlich des heutigen Internationalen Tags zur Beseitigung von Gewalt gegen Frauen hat sie mit Kenne deine Rechte (KdR) gesprochen. Im Interview erzählt sie, woher der Frauenhass kommt, wohin Frauen sich wenden können und was seitens der Politik geschehen muss.

Kenne deine Rechte: Frau Metz, Sie leisten mit Ihrer Arbeit Wichtiges für Frauen in Graz. Mit welchen Problemstellungen wenden sich Frauen an Sie?

Gabriele Metz: Die Problemstellungen, mit denen sich die Grazerinnen an mich wenden sind vielfältig wie die Grazerinnen selbst. Die häufigsten Anfragen betreffen den Bedarf an Beratung im Zuge von Trennung bzw. Scheidung vom Partner, mit und ohne Gewalterfahrung oder Angst vor Gewalt. Vielfach geht es dabei auch um Fragen der Obsorge gemeinsamer Kinder. Weiters gibt es gerade gesteigert durch die Corona-Pandemie viele Anfragen betreffend die Betreuung von Kindern, vielfach wegen des Gefühls der Überbelastung durch die Mehrfachfunktion mit Homeschooling. Sehr häufig befinden sich Frauen, und hier insbesondere Alleinerziehende in prekärer finanzieller Situation. Aber es gibt auch viele Beratungen bezüglich Patientinnenrecht, Komsumentinnenschutz, Mitrecht, Nachbarschaftsproblemen und auch Arbeitsrecht.

KdR: Was umfasst Ihre Arbeit genau?

Gabriele Metz: In meiner Funktion als Ombudsstelle für die Grazerinnen schenke ich den Frauen zuerst mein Gehör, gebe ihnen Ratschläge und vermittle Sie gegebenenfalls an weiterführende Stellen. Dann sehe ich es als meinen Auftrag, die Problemstellungen, die Ungerechtigkeit verursachen, sichtbar zu machen und offen zu thematisieren. Dazu bietet sich nicht zuletzt die Mitgliedschaft der Ombudsstelle im Menschenrechtsbeirat der Stadt Graz an. In den jährlichen Bericht des Beirates fließen alle Empfehlungen ein, die ich aus meinen Beratungen ableite.

KdR: Denken Sie die Pandemie hat einen Einfluss auf die Lage von Gewalt an Frauen?

Gabriele Metz: Ja, das geht auch aus meinen Beratungen so hervor. Es melden sich mehr Frauen als vor der Pandemie mit Fragen zu Gewaltprävention, weil sie vermehrt Spannungen in der Partnerschaft wahrnehmen, die ihnen Sorge bereiten und auch Angst machen. Sehr viele Frauen befinden sich finanziell in einem Abhängigkeitsverhältnis von ihren Partnern, das sie daran hindert, die Partnerschaft zu beenden. Die Frauen führen ihre Beziehungen lieber stillschweigend und duldend weiter. Da es oft nur kleine Schritte zur Eskalation sind, erkundigen sie sich nach Möglichkeiten, dieser vorzubeugen und holen Informationen ein, an welche Stellen sie sich präventiv wenden können.

KdR: Die Zahl an Femiziden in Österreich steigt an – von 2014 (19 Femizide) auf 2018 (41 Femizide) hat sich die Zahl mehr als nur verdoppelt.1 Femizid bedeutet Frauen werden aufgrund ihres Geschlechts ermordet, dabei sind die Täter meist in einem Beziehungsverhältnis mit dem Opfer oder sogar verwandt. Woher kommt dieser spezifische Hass an Frauen?

Gabriele Metz: Dieser Hass hat viele Gesichter und hat mit den lange gehegten und gepflegten Rollenbildern von Männern und Frauen zu tun. Frauen waren und sind in patriarchalen Systemen den Männern untergeordnet und von ihnen abhängig. Das Modell des männlichen „Breadwinners“, also des Mannes als desjenigen, der für das Einkommen und somit die Versorgung der Familie zuständig ist, macht den Mann zum „Oberhaupt“ der Familie. Frauen haben ohne eigenes Einkommen nicht die Möglichkeit, ein eigenständiges, unabhängiges und selbstbestimmtes Leben zu führen. Diese Abhängigkeit gibt Männern ein Gefühl der Macht, die sie als Familienernährer als ihr Recht betrachten. Frauen sind dabei so etwas wie ihr „Eigentum“. Wenn Frauen nun aus diesem Machtverhältnis ausbrechen wollen, leiten manche Männer ihre Frustration in Aggression und Hass um. Dies wiederum hat etwas mit einem Gefühl der Hilflosigkeit, eben der Machtlosigkeit, dem Verlust ihrer Macht und ihres Status zu tun. Dieses Bild des Mannes, der über seine Frau verfügt und jede Entscheidungsgewalt in seinen Händen hat, wird in sehr stark patriarchalen Glaubenssystemen noch verstärkt. Wo die Trennung der Frau vom Mann als Ehrverlust für die gesamte Familie gilt, wird Gewalt an Frauen nahezu als gerechtfertigt betrachtet.
Die Menschenrechte gelten aber für alle Menschen gleichermaßen. Auch wenn Frauen in einem Abhängigkeitsverhältnis zu ihren Partnern stehen, gibt es diesen nicht das Recht, den Frauen ihre Rechte zu nehmen.

KdR: Wie geht man als Frau am besten mit Diskriminierung und Gewalt um – wie kann man sich schützen?

Gabriele Metz: Junge Frauen müssen wissen, dass sie absolut die gleichen Rechte wie junge Männer haben und diese mit Vehemenz und Selbstvertrauen vertreten. Dabei gilt es, wachsam zu sein, um Ungerechtigkeiten, die oft subtil wirksam sind, zu erkennen, anzusprechen, sichtbar zu machen. Diskriminierung wirkt schnell und muss sozusagen „im Keim erstickt werden“. Wenn beispielsweise Mädchen von Burschen als „Mädl“, „Girl“ oder „geile Bitch“ angesprochen werden, ist das nicht als Kompliment zu verstehen, sondern es muss die unterschwellige Botschaft wahrgenommen werden: Verniedlichung, Herabwürdigung, Diskriminierung. Und das gibt im Gegenzug den jungen Männern das Gefühl der Erhabenheit und produziert dieses verhängnisvolle Machtgefälle von Mann zu Frau. Im Umgang miteinander müssen wir alle viel wachsamer sein! Eine klassische Antwort, auf die Frage, wie Frauen sich schützen können, muss auch sein: Sich nicht in Abhängigkeitsverhältnisse zu begeben. Also mit einem eigenen Einkommen selbstbestimmt bleiben. Für Betroffene von Diskriminierung und Gewalt gibt es in der Steiermark außerdem zahlreiche Einrichtungen, an die Frauen sich wenden können und auch sollen. Denn Diskriminierung und Gewalt müssen unbedingt sichtbar gemacht werden! In diesem Sinn ist eben auch immer das Gespräch mit Verwandten, Freundinnen und Freunden zu suchen, um Ungerechtigkeiten und Gewalt gegen Frauen aus der Tabu-Zone zu bringen.

KdR: Wie müssen Politiker:innen bzw. generell unsere gesamte Gesellschaft reagieren, um der Diskriminierung an Frauen entgegenzuwirken?

Gabriele Metz: Da gibt es viel zu tun! Es gilt zuallererst Rollenbilder aufzubrechen bzw. diese nicht unhinterfragt stehen zu lassen. Da sehe ich auf jeden Fall auch junge Männer in der Pflicht! Aber wir alle können immer und überall offen darüber reden, Ungerechtigkeiten auf Grund der Rollenbilder sichtbar machen, aufdecken und sichtbar Betroffene verteidigen und unmittelbar dabei unterstützen, ihr Recht und ihre Würde wieder zu erlangen. Wir alle sind gefordert, mit offenen Augen durchs Leben zu gehen, Diskriminierung an Frauen zu erkennen, zu sehen und sie offen anzusprechen. Diskriminierung kann viele Ebenen des Frauseins durchziehen – das Alter, die ökonomische Stellung, der kulturelle Hintergrund, die sexuelle Orientierung. Wir dürfen keinen der Diskriminierungsansätze „durchgehen“ lassen und wir haben Möglichkeiten dagegen aufzustehen. Von der Politik erwarte ich, dass sie sich bei Entscheidungsfindungen betreffend gesetzliche Bestimmungen stets an neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen der Frauen- und Geschlechterforschung orientiert und Entscheidungen fernab parteipolitischer Ideologien einzig entsprechend der UN-Menschenrechtskonvention trifft!

KdR: Vielen herzlichen Dank für das Interview und weiterhin viel Erfolg bei der bedeutungsvollen Arbeit!

Wie geht es jetzt weiter?

Gewalt an Frauen wird nicht einfach verschwinden, wenn man alleine die Symptome des Problems behandelt – dafür sollte man sich mit der Quelle des Konflikts auseinandersetzen. Um grundlegend etwas zu verändern, muss man sich mit der Gleichberechtigung von Frauen am Arbeitsplatz und dem Aufbrechen der Rollenbilder beschäftigen und Information über Gewaltprävention ins Bildungssystem integrieren. Falls man selbst betroffen ist, sollte man sich jedenfalls professionelle Hilfe suchen. Anlaufstellen dafür sind zum Beispiel die Frauenhelpline gegen Gewalt, Beratungsstellen für Frauen und Mädchen, Frauenhäuser oder bei unmittelbarer Gefahr auch die Polizei.

Wer kann helfen?

Frauenhelpline gegen Gewalt: 0800/222 555

Beratungsstellen für Frauen und Mädchen: https://www.aoef.at/images/02_wer_hilft_bei_gewalt/2-5_beratungsstellen/Mitgliedseinrichtungen_Netzwerk_oesterr_FMBS_2020.pdf

Frauenhäuser in der Steiermark: 0316/42 99 00 https://www.frauenhaeuser.at/

Quellen

1 https://www.aoef.at/index.php/zahlen-und-daten

2 https://www.ots.at/presseaussendung/OTS_20211123_OTS0127/politik-am-ring-wie-kann-gewalt-gegen-frauen-gestoppt-werden

 


Das könnte dich auch interessieren