
Eine Krise inmitten einer Krise
2021 sollte ein besseres Jahr werden. Ein Jahr der Hoffnung, der Veränderung und der Verbesserung. Selbst Wunder galten nicht als unwahrscheinlich – das war der Konsens. Man sehnte sich nach diesem neuen Jahr, denn nach dem Vergangen konnte es nur bergauf gehen. Doch viel zu früh wurde uns dieser Optimismus genommen.
Nicht einmal eine Woche hielt das Bild des besseren Jahres, bis es mit dem Sturm auf das Kapitol der Vereinigten Staaten eingetreten, beschmiert und verunstaltet wurde. Ein wütender, aufgebauschter und angriffslustiger Mob an Menschen eroberte am 6. Jänner gewaltsam das Wahrzeichen Washingtons und der Demokratie der Freien Welt. Während die Terroristen die Köpfe und das Leben großer demokratischer Vertreter forderten und einige Menschen ihr Leben dabei verloren, war dieser Sturm nicht nur ein Attentat auf das Leben einzelner Menschen, sondern auf die Demokratie an sich. Denn zwischen Faschismus und Demokratie, zwischen Chaos und Ordnung, zwischen Krieg und Frieden gibt es keine Wahl. Es gibt hier nur eine einzige Position, die man einnehmen kann – komme was wolle. Die Position von Frieden, Ordnung und Demokratie. Doch wenn man sich als David gegen Goliath stellt, ist der Ausgang dieses Kampfes nicht immer so wunderbar.
Dieser bitteren Realität müssen sich tagtäglich immer mehr Journalist:innen, Kritiker:innen und oppositionelle Politiker:innen stellen. So zum Beispiel in Russland, wo der Kreml-Kritiker Alexei Nawalny nach seiner Rückkehr festgenommen und unter falschen Vorwänden zu mehreren Jahren Haft verurteilt wurde. Dies übt immensen Druck auf alle politischen Gegner:innen Vladimir Putins aus und schürt die Angst vor freier Meinungsäußerung. Ähnliches passiert zurzeit auch in Indien, denn dort werden regelmäßig Journalist:innen, die kritische Texte veröffentlichen oder an kontroversen Themen arbeiten, eingesperrt oder kommen ums Leben. Ein klarer Verstoß gegen die Menschenrechte – doch lediglich nur ein geringer Preis für Macht und Kontrolle. Und für Macht macht mancher so einiges. Gerade wenn man merkt, dass einem die macht aus den Händen gleitet, versucht man diese noch fester einzuhalten – wie man zum Beispiel auch in Myanmar sehen kann.
Das südostasiatische Land Myanmar, das lange Teil der britischen Kolonie Britsch-Indien war und seitdem größtenteils vom Militär regiert wurde, erfuhr immer wieder gewaltsame Niederschlagungen diverser Proteste und Unruhen. Seit 2010 ist eine starke Demokratisierung zu sehen, angetrieben durch die Friedensnobelpreisträgerin Aung San Suu Kyi. 2015 sowie 2020 gewann ihre Partei die Wahlen, doch das Militär verklärte die Wahlen im vergangen November auf Grund angeblichen Wahlbetrugs. In einer Nacht und Nebel Aktion am 1. Februar wurden hohe Tiere der NLD (National League for Democracy) und vor allem auch Aung San Suu Kyi selbst verhaftet. In den folgenden Tagen bildeten sich große Proteste im gesamten Land, in dem Menschenrechte traditionell nicht sehr geachtet und geschätzt werden. Trotz eines Facebook-Banns durch das Militär, das auf die Wucht der Proteste nicht gefasst war, stieg die Anzahl an Demonstrierenden. In der näheren Vergangenheit wurden derartige Proteste mit scharfen Maßnahmen und purer Gewalt niedergeschlagen. Während die Stimme der Bevölkerung immer lauter und mächtiger wird, fürchtet man gleichzeitig auf ein erneutes gewaltsames Einschreiten des Militärs. Doch diese Vorschau schreckt nur wenige ab, denn sie wollen Demokratie.
Es scheint höchst bizarr und unverständlich, dass simultan zu einer wütenden Pandemie Putschversuche und Sabotagen an den Menschenrechten unternommen werden. Denn die Verwirrung und das Chaos, das durch die Pandemie auf verschiedensten Ebenen verursacht wird, wird ausgenutzt und stellt uns global vor noch viel größere Probleme als die Bekämpfung des Coronavirus. Dabei sollte man doch meinen, dass Putschversuche und Sabotagen besonders in diesen Zeiten fehl am Platz seien. Krise ruft jedoch meist Krise hervor. So sehen wir, dass trotz – oder gerade wegen – COVID-19 Demokratie und Menschenrechte weltweit mit Füßen getreten wird und politische oder militärische Macht vor Gesundheit und Wohlergehen der eigenen Bevölkerung gestellt wird.
Doch wird mit dem Ende der Corona-Krise Stabilität zurückkehren? Wird es einen Sieg für die Demokratie und die Menschenrechte geben (können)? Oder wird zu diesem Zeitpunkt vielerorts alles zu spät sein? Das einzige, über das wir uns sicher sein können ist, dass es ein Wunder braucht um jetzt für Fairness, Recht, Stabilität und Frieden auf der Welt zu sorgen. Ein Wunder, an dem wir alle arbeiten können, denn Wunder passieren.