
Pandemie, Demonstrationen und die Polizei
Seit nun schon fast einem Jahr leben wir in und mit einer Pandemie. Was das heißt und welche Auswirkungen das hat – seien sie beruflich, schulisch, finanziell oder gesundheitlich – haben wir wohl alle in irgendeiner Form selbst spüren müssen und müssen dies auch noch immer. Denn ein Ende scheint in naher Zukunft nicht in Sicht. Ob die „neue Normalität“, von der im letzten Jahr so oft die Rede war, noch immer neu ist oder was „Normalität“ eigentlich bedeuten soll, ist dabei fraglich. Klar ist: In den vergangenen Monaten sind regelmäßige Corona-bedingte Demonstrationen ein gewohnter Anblick geworden. Doch immer häufiger kommt es bei diesen zu gewalttätigen Ausschreitungen – auf Seiten der Demonstrierenden und der Polizei vor Ort.
Die Polizei soll (nicht nur) bei Demonstrationen im Rahmen der Verhältnismäßigkeit für Ruhe und Ordnung sorgen und einen friedlichen Ablauf sicherstellen, so lauten auch die internationalen Richtlinien von Amnesty International für das Verhalten der Polizei1. Nicht umsonst werden Polizist:innen als „Ordnungshüter:innen“ bezeichnet. Schaut man sich aber Berichte und Videos zur Demo am 31.01.2021 in Wien an, drängt sich ein anderes Bild auf: Nachdem zuvor jegliche Demonstrationen an jenem Wochenende von der Polizei abgesagt wurden, kam es am Sonntag trotzdem zu einem „Corona-Spaziergang“, dem sich schließlich etwa 10.000 Menschen angeschlossen hatten. Es stellen sich jetzt mehrere Fragen, die für ein demokratiepolitisches Verständnis wichtig sind:
Demo-Verbot
Durften die Demonstrationen überhaupt untersagt werden? Demonstrieren zählt zum Grundrecht auf Versammlungsfreiheit und als solches zu den Grundpfeilern einer Demokratie. Doch gibt es Situationen, wie etwa bei Gefahr im Verzug, wo dieses Recht eingeschränkt werden kann. Die Landespolizeidirektion Wien hat davon Gebrauch gemacht mit der Begründung, dass die Corona-Maßnahmen nicht eingehalten werden könnten – der Schutz der Gesundheit der Bevölkerung ist an sich ein legitimer Grund dafür. Aber war es notwendig, ohne Ausnahmen auch jene Demos zu verbieten, bei denen Masken- und Abstandspflicht herrschte? Laut Polizei ja, wollte man doch nicht den Verdacht wecken, mit gewissen Gruppen zu sympathisieren.2
Mediale Organisation
Wie konnte der „Spaziergang“ trotz Demo-Verbot stattfinden? Die Gruppen haben sich über einschlägige Netzwerke mobilisiert und sind teils sogar mit Bussen angereist. Wer waren diese Gruppen? Obwohl die rechte Szene und Verschwörungstheoretiker:innen die Mehrheit darstellten, war ein breites Spektrum vertreten; sogar Familien mit Kindern sowie Leute, die einfach genug von den Maßnahmen haben, waren mitten im Geschehen. Die Anführenden waren jedoch politisch rechts Orientierte und Corona-Leugner:innen.3
(Un)Tätigkeit der Polizei
Hat die Polizei zu zurückhaltend reagiert? Angesichts der Tatsache, dass der Verkehr stellenweise lahmgelegt und Journalist:innen beschimpft und attackiert wurden, könnte dies bejaht werden. Begründung (Ausrede?) der Polizei: Bei einem Einschreiten wäre die Lage eskaliert. Doch vielmehr drängt sich die Frage auf, warum einige Polizist:innen an der Seite von Rechtsradikalen marschierten, ja sich sogar Anweisungen von diesen geben ließen4.
Aktion und Reaktion
Und was soll man von all dem halten? Es ist bedenklich und gefährlich, wenn den Menschen das Recht zu demonstrieren (wenn auch kurzweilig) entzogen wird. Genauso bedenklich und gefährlich ist es, wenn tausende Demonstrierende sich und damit auch nicht unmittelbar Anwesende dem Risiko einer Corona-Infektion aussetzen. Es ist unglaublich, wenn die Polizei bei einer Klimademo mit Jugendlichen härter (und teils rechtswidrig) einschreitet als bei einem untersagten (!) Zusammenkommen überwiegend Rechtsextremer. Was können wir daraus lernen? Auf keinen Fall sollen alle in einen Topf geworfen werden, und auf keinen Fall sollten die Vorkommnisse so hingenommen werden. Zu sagen „Das ist richtig und das ist falsch“ ist nicht zielführend bei demokratischer Meinungsvielfalt. Wir können die Situation im Nachhinein nicht mehr ändern. Was wir aber sehr wohl können, ist zu verstehen, wie und warum es dazu kam und einander zuzuhören. Die Schuld darf nicht auf wenige einzelne Personen abgeschoben werden. Manchmal ist es gut, sich aus einer explosiven Debatte herauszuhalten. Besser ist es, sich am Diskurs zu beteiligen und dazu beizutragen, dass sich das Geschehene nicht wiederholt. Das ist Demokratie.
Quellen
2https://www.puls24.at/video/32-festnahmen-oesterreichweit-nach-corona-demos-am-wochenende/short
3https://www.puls24.at/video/was-am-polizeieinsatz-bei-der-corona-demo-kritisiert-wird/short
4https://twitter.com/chaosilog/status/1356160245584814081