
Kurz’sche Kommunikationskultur – ein Kommentar
Dass den Menschen in der Corona-Krise langsam, aber sicher die Puste ausgeht, ist wenig verwunderlich. So kam auch der Unmut der Bevölkerung und der Politik über die beträchtlichen Infektionszahlen in letzter Zeit immer deutlicher zum Vorschein. Da wird gerne mal versucht, einfache Gründe für durchaus komplexe Zusammenhänge zu finden. Hört man z.B. unserem Bundeskanzler zu, so ist der drastische Anstieg der COVID-Infektionen im Herbst leicht zu erklären: Wie für seine Rhetorik typisch sind es wieder mal die ‚Zuagroasten‘, wie man auf schön Österreichisch sagt, die schuld seien. Vor allem Menschen vom Westbalkan, die im Sommer in ihren Heimatländern ihre Familien besucht haben, seien für die aktuelle zweite Coronawelle und die Einschränkungen, die sie mit sich bringt, verantwortlich.
Die Haltbarkeit dieser Behauptung ist dabei fraglich. Schließlich ist die faktische Basis von Kurz‘ Behauptung dünn bis nicht existent. Verlässliche Zahlen dazu, wer wo im Ausland war, gibt es de facto nicht. Und angesichts einer schier unübersehbaren Fülle von Faktoren – versuchte Belebung des Sommertourismus, offene Grenzen, Maßnahmenmüdigkeit in der Bevölkerung etc. – verkennen Schuldzuweisungen an Einzelne die Komplexität der Situation. Dass nun wieder Migrant:innen schuld sind, hat also vielmehr strategische Gründe: Kurz verdankt seine Wahlerfolge unter anderem einem deutlichen Rechtsruck in der Migrationspolitik – und dementsprechend erhofft er sich, nach der ‚Flüchtlingswelle‘ die ‚Coronawelle‘ ebenso mit dem Migrationsthema in Verbindung zu bringen und so zu seinem Vorteil zu nutzen.
Staatstragend sind solch haltlose Beschuldigungen in derart spannungsgeladenen Zeiten aber keineswegs. Die Lage ist nun einmal komplex, und die Schuld bei jemandem zu suchen, führt uns nicht ans Ziel. Denn nur mit vereinten Kräften können wir diese Krise überwinden. Das haben glücklicherweise viele eingesehen und den Kanzler darauf – und auf die Haltlosigkeit seiner Aussagen – aufmerksam gemacht. Wohl berühmtestes Beispiel: Armin Wolfs Sager in der ZIB2. Auf Kurz‘ Bitte, ihn doch ausreden zu lassen, meinte Wolf nur trocken: „Bitte nicht, weil das, was Sie da jetzt sagen, stimmt nicht.“
Auch vom Koalitionspartner gab es schließlich Kritik: Der Kanzler habe mangelnde Sensibilität gezeigt. Da musste sich Kurz natürlich verteidigen – und setzte eine weitere kommunikationstechnische Bruchlandung nach: „Ich habe viele Freunde mit Wurzeln auf dem Westbalkan.“ Fürs Protokoll: „Ich hab‘ Freunde, die …“ ist keine Ausrede für inakzeptables Verhalten und falsche Anschuldigungen. Noch dazu gegen seine angeblichen „Freunde“. Vielmehr braucht es einen Wechsel in der politischen Kommunikation. Und zwar weg von haltlosen Behauptungen, hin zu einem Betonen des konstruktiven Miteinanders. In einer Krise, die die Gesellschaft ohnehin zusehends spaltet, sollte die Aufgabe von Politiker:innen nämlich darin bestehen, Gräben zu schließen, statt sie weiter aufzureißen.