
Mein Name ist………
Im Unterricht wird die Anwesenheit kontrolliert. Julia? Ja. Maximilian? Ja. Ruth? Ja Andy? Ja. Asia?
Sitzt etwa ein Kontinent in unserer Klasse? Ich antworte schüchtern: „Eigentlich ist es A-S-I-Y-E-H, aber es wurde bei der Erstbefragung falsch aufgeschrieben.“ Der Lehrer fragte: „Woher kommst du, Ayseh?“ Ich bin A-S-I-Y-E-H, Asiyeh! Aber es ist nicht wichtig, wie es ausgesprochen wird, weil zwischen vielen europäischen und österreichischen Namen bekommt meiner den letzten Platz.
Im Unterricht muss alles österreichisch sein oder zumindest eine nahe Verbindung zu Deutschland haben, ein Schritt weiter über die österreichische Grenze wäre kaum möglich. Wie zum Beispiel bei Andy! Er kam mit seinen Eltern aus den USA. Er ist kein Integrationskind. Ich werde „I-Kind“ und „die gefährlichste in der Klasse“ genannt, weil alle Schüler*innen denken, dass ich immer eine Bombe an meinem Körper verstecke. Obwohl viele Waffen und Atombomben in den USA hergestellt werden. Trotzdem gilt Andy als „Symbol of freedom“.
Wenn er Denglisch redet, klingt es süß. Wenn ich das Gleiche tue, kommt die Reaktion: „REDE DEUTSCH!“
Meine Erinnerung wirft mich ins Jahr 2015 zurück und zwingt mich dankbar zu sein. Das diese Schule mich aufgenommen hat. Vor vier Jahren hatte ich keine Deutschkenntnisse, ich war wie ein Stummes H, eine weiße Tafel, die auf der jeder schrieb, was er wollte. Damals riskierte keine Schule mich aufzunehmen, außer der Frobelschule, in der alle Türkisch sprachen. Das war bei soviel Pech ein großes Glück.
Dann begann ich Deutsch zu lernen, welches sich vor meinen Augen wie Bakterien vermehrte. Nominativ: der, die, das, die, Genetiv: des, der, des, der, Dativ: dem, der, dem, den. Als ich froh war fertig zu sein, kam noch Akkusativ dazu: den, die, das, die. Außerdem: Sackerl oder Tüte? Paradeiser oder Tomate? Erdäpfel oder Kartoffel?
Mir wird schwindlig. Die Buchstaben ordnen sich um, ein Satz wird gebildet: „Hier ist Österreich“. Hier wird alles geordnet und für alles gibt eine Schublade.
Prost für Österreich
Ich muss meine Haut waschen gehen
Ich muss meine Augen waschen gehen
Ich muss meine Haare abrasieren
Wenn diese wieder wachsen, werden sie blond
Die Farbe meiner Augen wird azurblau wie das Mittelmeer
Meine Haut wird weiß, wie Schnee auf dem Gipfel des „Großglockners“
Jetzt nenne ich mich „Maria“
Marias Vater hat einen großen Bauernhof mit vielen Hektar
Er ist österreichischer Bürger
Ich bin seine österreichische Tochter
NEIN, NEIN
Du bist eine Afghanin, eine Asylantin, ein Flüchtling, eine Ausländerin, eine Migrantin, eine Einwanderin
Ich gehe mit meinen dunklen Augen, brünetten Haaren, gebrannter Haut auf der Straße
Diese Asiatin gefällt den Ureinwohnern nicht
Sie bringen mich im engen Lager, wo die Sonne, das Mondlicht, die Welt nicht sichtbar sind.
Im Labor werden meine Füße auf illegale Grenzüberschreitung untersucht
Die Hunde warten auf das Ergebnis der Untersuchungen
Für jede Grenze bekommen sie einer meinen Finger
Sie riechen die Grenzen daran und finden die Flüchtlinge, die sich im Wald, im LKW, unter dem Zug verstecken.
So wird niemand mehr Österreich erreichen
Dieses grüne Land, mit erfolgreichen Menschen
Die Berge vergrößern ihr Stehvermögen
Der Boden ist sauber von Blut
Sie wollen hier ungestört bleiben
Während sie Coffee trinken, sehen sie die Nachrichten von Getöteten weit weg
Sie seufzen für einen Augenblick
Sie wissen, dass das Blut nicht aus dem Fernseher herausspritzt
Die Raketen treffen sie nicht während des Schlafs
Ihr Friedhof wird nicht voll von Babyleichen
Der Krieg steckt sie nicht an
Sie grenzen ihr Land mit Stacheldraht bis zum Himmel ein
Sie sichern ihre Hautfarbe, ihre Augenfarbe und ihre Haarfarbe
Sie sichern ihre österreichische Identität
Sie werden davon betrunken.
Wenn sie fort gehen, bevor sie ihre Biergläser zusammenstoßen, schreien sie: „Prost für Österreich“
Im Labor dreht sich mein Magen um
Meine Gedanken drehen sich im Kreis
Und die österreichische Identität dreht sich wie Windräder um sich selbst.
Asiyeh Panahi
Oktober 2019