
Kinder – ein Spiegel der Gesellschaft?
Ein Kommentar zur Doku “no more boys and girls”
In der Lehrveranstaltung “Grundprobleme der Gechlechterforschung” der Uni Graz ist es Pflicht, die ZDF Doku “No more boys and girls” aus dem Jahr 2018 anzuschauen. Und zu recht! Denn diese setzt der Gesellschaft einen Spiegel vor und schockiert:
Rosarote Spielzeugnähmaschinen und T-Shirts mit Herzchen und “Cutie”-Schriftzug für Mädchen. Auf der anderen Seite komplizierte Bauanleitungen und “I am the future”-T-Shirts für Jungen. Es verwundert und erschüttert, dass Geschlechterstereotype im Jahr 2018 in allen für Kinder relevanten Bereichen so weit verbreitet waren. Die Hoffnung, dass sich seitdem etwas verändert hat, ist utopisch. Kinder wie zum Beispiel die der 2. Klasse einer Grundschule in Köln, um die es in “No more boys and girls” geht, können im Grunde nichts dafür, welches Bild der Gesellschaft ihnen tagtäglich eingetrichtert wird. Trotzdem bleiben Münder offen stehen, wenn ein 7-jähriger Junge meint, dass Putzen und Kochen Frauensache sei.
In zahlreichen Versuchen erkundet die Reporterin, Collien Ulmen-Fernandes, die Geschlechterbilder von 7-jährigen Kindern und versucht dabei auch, diese zumindest ein Stück weit aufzubrechen. Die Kinder sollen beispielsweise Personen bestimmter Berufsgruppen zeichnen wie zum Beispiel eine Person, die mit Flugzeugen arbeitet oder eine Person, die tanzt. Es ist keine große Überraschung, welches Geschlecht die einzelnen Berufstätigen von den Kindern verpasst bekommen. Im Anschluss daran besuchen eine Mechatronikerin, ein Florist, eine Pilotin und ein Balletttänzer die Klasse und erzählen den Kindern von ihren Berufen. Das Resultat: Die Mädchen wollen Pilotinnen werden und die Jungen finden Blumen doch nicht ganz so blöd.
Ganz gelingt es jedoch nicht, die Klischees aufzubrechen, denn bei allen darauffolgenden Experimenten muss die Reporterin erneut von vorne beginnen. Am Ende eines Versuchs sind immer wieder “Aha-Momente” der Kinder merkbar, welche allerdings nach wenigen Stunden schon wieder vergessen zu sein scheinen. Offenbar sitzt die Prägung tief. Woher diese allerdings kommt, ist aus der Doku nicht ganz ersichtlich. Medien, Werbung und SpielzeugproduzentInnen werden ganz klar als Schuldige angeklagt. Wie viel allerdings von den Eltern kommt, bleibt zu großen Teilen unklar.
Eine Szene lässt sogar vermuten, dass für alle Eltern Gleichberechtigung und Feminismus Fremdwörter seien und man würde hoffen, dass Meinungsausreißer aus der Doku weggekürzt wurden, um die Drastizität der Botschaft, dass im Bezug auf geschlechtsneutrale Erziehung etwas getan werden muss, zu verstärken. In eben jener Szene fragt Collien Ulmen-Fernandes Eltern, welche T-Shirts sie ihren Kindern anziehen würden. Dabei sind für die interviewten Elternpaare T-Shirts mit dem Aufdruck “Hauptsache erfolgreich” oder “Jungs weinen nicht” für die Söhne und “Aussehen ist alles” für die Töchter mehr als in Ordnung.
Während einige der T-Shirts, die für die Eltern zur Auswahl standen, nur für die Doku angefertigt wurden, gibt es für kleine Mädchen tatsächlich T-Shirts zu kaufen, auf denen rote Kussmünder und der Schriftzug “Oui, Yes” abgebildet sind. Die Mädchen werden also hierbei “nicht nur” als schöne und liebenswerte Lebewesen dargestellt, wie bei den meisten anderen Aufdrucken, sondern bereits im Kleinkindalter sexualisiert und als willig dargestellt. Wozu das in einer Gesellschaft führen kann, will man sich nicht vorstellen.
Die Dokumentation bestürzt also trotz der teilweise erfrischenden Kommentare der Kinder in fast allen Bereichen maßlos. Und als Zuschauer*in kommt man nicht umhin, die Frage nach den Gründen aufzuwerfen. Während am Beginn der Doku noch die Vermutung naheliegt, dass konservative Familienstrukturen die Ursache für die Meinungen der Kinder sein könnten, tendiert man am Ende bereits dazu, Kleidungs- und Spielzeughersteller*innen patriarchales oder gar bösartiges Gedankengut vorzuwerfen und sich vor der Zukunft zu fürchten, wenn diese Kinder erwachsen sind und zurückkehren zu Strukturen wie sie in den 1950er Jahren gang und gäbe waren.