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„Wo Europa Menschlichkeit verliert“


Momentan gibt es klar nur ein Thema, das die Medien dominiert: Corona. Plötzlich scheint alles, was die Welt vorher sonst noch bewegt hat, vergessen zu sein. Natürlich ist klar, dass wir uns in einer Pandemie befinden und dass das alle Personen merklich direkt betrifft. Trotzdem halte ich es für falsch plötzlich zu vergessen, dass es unzählige Menschen gibt, die auch jetzt noch an der türkisch-griechischen Grenze festsitzen. Nur weil der Coronavirus medial präsent ist, heißt das nicht, dass Menschen nicht noch an anderen Dingen leiden.

Die Grenze zu Europa

Der Podcast „Flüchtlinge: Wo Europa Menschlichkeit verliert“ behandelt das Thema der Flüchtlingskrise an der türkisch-griechischen Grenze, wo derzeit tausende Menschen unter unmenschlichen Bedingungen festsitzen und weder Zugang zu hygienischer und materieller Grundversorgung haben, noch die psychische Unterstützung erfahren, die in dieser ausweglos erscheinenden Gesamtsituation dringend nötig wäre. Wenn man nun etwas Empathie empfindet und grausame Bilder dieser Situation sieht, stellt sich vermutlich schnell die Frage, ob es eine Möglichkeit gibt das Problem zu lösen.

Die Europäische Union hat angekündigt, Hilfsmaßnahmen wie Frontex Beamte an die Grenzen zu senden, um die Lage dort zu verbessern. Viele Personen meinen aber, dass das Konzept einer Europäischen Gemeinschaft seine Glaubwürdigkeit verliert, da die Europäische Union auch jene Polizei, die Grenzen gewaltsam schützt, indirekt unterstützt. Angeblich verteidigt Griechenland Europas Grenzen aber insbesondere auch durch den Einsatz von Tränengas – und das auch an Kindern.

Ein Antrag dazu, dass die Bundesregierung 5000 Geflüchtete, die besondere Hilfe benötigen, aufnimmt, wurde beispielsweise in Deutschland abgelehnt. Die SPD (Sozialdemokratische Partei Deutschlands) möchte eine europäische Lösung finden, damit Kinder in Sicherheit kommen. Laut EU-Korrespondentin der Süddeutschen Zeitung ist der Weg einer gemeinsamen Lösung noch fern. Der Plan sei, einen neuen Pakt von Asyl und Migration zu erarbeiten, an dem alle mitwirken sollen. Eine Koalition der „Willigen“ ist angedacht, falls sich keine Lösung finden lässt.

Ich persönliche verstehe von Grund auf nicht, wie Europa unterstützen kann, dass so mit Menschen umgegangen wird, wie es momentan an der türkisch-griechischen Grenze geschieht. Europa und insbesondere die Europäische Union sind sehr darauf bedacht, Menschenrechte und Menschenleben zu schützen, was absolut vorbildlich und wichtig ist. Geht es aber um „die Flüchtlinge“, scheint das plötzlich komplett egal zu sein und keine Rolle mehr zu spielen. Den Gedanken, dass das Menschen sind, haben offenbar viele vergessen, was skurril ist, wenn man bedenkt, dass Artikel 1 der Menschenrechte besagt, dass alle Menschen frei und gleich an Würde und Rechten geboren sind.

„Flüchtlinge“: ein politisches Paradoxon

5000 Menschen aufzunehmen wäre für ein Land wie Deutschland kein Problem, wenn man bedenkt, dass Österreich und Deutschland finanziell so stabil sind wie es sonst kaum Länder sind. Wenn man dann noch hinzurechnet, wie viele Asylheime 2015 gebaut wurden und jetzt leerstehen, wirkt es ganz so, als möchte man sich in der Politik die Gunst einiger Wähler*innen nicht verspielen. Zynisch finde ich, dass von einem Land schwangere oder schwer kranke Menschen stehengelassen werden mit der Begründung, dass es nicht mehr das Jahr 2015 ist und somit auch keine Krise mehr stattfindet.

„Es muss in alle Richtungen vermieden werden, dass es so sein könnte“ – Es ist aber nicht so, als hätten sich viele EU Länder samt ihrer Bevölkerung in 2015 dadurch ausgezeichnet, dass sie offen auf Fremde zugehen und sie mit dem gleichen Respekt zu behandeln wie die eigenen Staatsbürger*innen. Man muss nur daran denken, wie viele Flüchtlingsheime gebrannt haben und wie viele Plakate mit Slogans wie „Brutale Gewalttaten. Sex-Attacken. Eigentums-Kriminalität“ (FPÖ Niederösterreich, 2018) sich finden haben lassen. Es ist paradox, dass auf der einen Seite bereits 2015 offensichtlich war, dass Flüchtlinge nicht erwünscht sind und nun im Jahr 2020 spricht man darüber, dass man die Kinder doch aus den Lagern an der türkisch-griechischen Grenze retten soll. Ich halte es jederzeit für absolut wichtig und richtig Menschen zu retten, glaube aber, dass es sinnvoller wäre sich zu überlegen, wie man möglichst viele Menschen im Allgemeinen retten kann.

Eine gemeinsame Lösung finden, an der alle mitwirken, klingt erstmal gut. Wenn man allerdings bedenkt, wie lange so etwas dauert und wenn man sich ansieht, wie die Menschen in den Lagern an der türkisch-griechischen Grenze momentan leben müssen, merkt man schnell, dass auch eine „gemeinsame Lösung“ nicht so ideal ist, wie sie scheint. Denn egal, in welche Richtung man schaut: wenn man sich nur ein bisschen mit diesem Thema beschäftigt wird klar, wie unmenschlich das Verhalten an der Grenze ist. Eine Koalition der „Willigen“ klingt schon nach einer besseren Alternative, aber wie viele Länder werden sich tatsächlich in nächster Zeit dazu bereit erklären, Geflüchtete aufzunehmen? Insbesondere wenn man bedenkt, dass die Bevölkerung insgesamt doch eher politisch nach rechts zu rücken scheint, könnte es für viele Parteien schwierig sein Partner für solch eine Koalition zu finden. Schlussendlich möchte doch niemand die Gunst seiner Wählerschaft verlieren.

Symptombekämpfung mit Hilfspaketen?

Natürlich kann man sagen, dass es gut ist, dass die EU sich dazu entschieden hat, Hilfsmaßnahmen zu senden. Dennoch ist klar, dass Frontex (meiner Meinung nach auch zurecht) unter Kritik steht. Nicht nur sollen Frontex-Beamte Menschenrechtsverletzungen durch nationale Grenzwachbeamte toleriert haben, im Rahmen von Abschiebeflügen sollen sie auch selbst Grundrechte missachtet haben. Interne Dokumente belegen etwa „exzessive Gewaltanwendung“, „Schlagen mit Draht“ und „Misshandlung von Flüchtlingen“, sowie das medikamentöse Ruhigstellen von Geflüchteten, die abgeschoben werden sollen. Selbstverständlich ist es im Großen und Ganzen betrachtet immer noch besser zumindest Hilfspakete zu schicken, als Menschen hungern zu lassen. Aber ist das tatsächlich genug, oder dienen solche symptomatischen Maßnahmen zumindest an der Oberfläche doch eher dazu, das allgemeine Gewissen zu beruhigen ohne dass hinterfragt wird, was sich tatsächlich in der Umsetzung abspielt?

Griechenland schützt laut einigen Mitgliedsstaaten „Europas Grenzen“ und es wurde auch Geld zur Verfügung gestellt, um die Situation an der türkisch-griechischen Grenze für die Geflüchteten zu verbessern. Wenn man bedenkt, dass dennoch Tränengas gegen Kinder eingesetzt und auf Asylsuchende geschossen wurde, wie diverse Videos und Augenzeugen beweisen, klingt das ziemlich unschlüssig und in keiner Weise rechtfertigbar.

Ein Friedensprojekt wie die EU sollte ein dermaßen menschenunwürdiges Verhalten meiner Meinung nicht akzeptieren. Manchmal muss man sich eben überlegen, ob man gut ankommen möchte, oder ob man für seine Prinzipien einsteht.

Wo steht Österreich?

Die österreichische Regierungsspitze kündigte „volle Unterstützung“ für Griechenland an. Bundeskanzler Kurz (ÖVP) sprach von einem finanziellen Beitrag und von einem „Beitrag mit Polizisten und Polizistinnen“ für den Grenzschutz. Man sei zudem in Kontakt mit den Westbalkan-Staaten, falls die Grenze zu Griechenland „durchbrochen“ wird. Außerdem sollen drei Millionen Euro aus dem Auslandskatastrophenfonds für Menschen in Syrien, auch jene in der stark umkämpfen Stadt Idlib, bereitgestellt werden um eine erneute Flüchtlingswelle überhaupt zu vermeiden. Der türkische Präsident Erdogan hatte die Grenzen zur EU für Flüchtlinge öffnen lassen, begründen tut er das damit, dass die EU das Flüchtlingsabkommen von 2016 nicht eingehalten hätte. Seitdem die Grenzen offen sind versuchen Flüchtlinge auch verstärkt diese zu überqueren – leider kommen sie aber nicht sehr weit.

„Es braucht gemeinsam Druck auf die Türkei, dass Präsident Erdogan dieses menschenunwürdige Verhalten ändert und Migranten nicht missbraucht“, sagt Kurz. Aber wie ist es möglich, sowas zu sagen und sich gleichzeitig dafür einzusetzen, Flüchtlinge nicht in Österreich aufzunehmen, weil es angeblich kein Geld dafür gibt? Vizekanzler Koglers (Grüne) Privatmeinung, ist zwar, dass man Frauen und Kinder aus den Lagern aufnehmen sollte – aber was man nicht politisch vereinbart hat und nirgends bindend geschrieben steht, ist nicht möglich.

Österreich ist ein reiches Land, dem es an kaum etwas fehlt, aber es ist nicht möglich, 1000 Frauen und Kinder aufzunehmen? Vielleicht sehen das einige Personen aus wirtschaftlicher Sicht als einzige Möglichkeit richtig zu agieren, menschlich ist das aber kaum zu vertreten. Gerade inmitten der Krise wird deutlich, wie schnell Maßnahmen erlassen werden können und wie schnell Gesetze kommen. Wer weiß, vielleicht wird ja jetzt deutlich, dass dort, wo eine Wille ist, auch ein Weg ist.


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