
Das Jahr 2018 und die Presseunfreiheit – ein besorgniserregender Jahresrückblick
2018 begann mit dem wahrscheinlich emotionalsten fotografisch festgehaltenen Moment des Jahres. Auf dem Bild, das schnell um die Welt ging, sieht man den am 16. Februar eben aus türkischer Gefangenschaft entlassenen „Welt“-Korrespondenten Deniz Yücel mit seiner Frau in einer innigen Umarmung. Sie hatte ihn mit einem Strauß Petersilie empfangen – einem sehr persönlichen Symbol ihrer Verbundenheit, inzwischen ein Symbol für den Kampf um Pressefreiheit.
#FreeDeniz & #FreeDilek pic.twitter.com/YlWNMYXlBL
— Veysel Ok (@shemmoshemmo) 16. Februar 2018
Die journalistische Arbeit wurde gefährlicher
Allerdings hatten dieses Jahr nicht alle Journalistinnen und Journalisten dasselbe „Glück“ wie Deniz Yücel. Ganz im Gegenteil. Die Zahl der inhaftierten Medienschaffenden ist doppelt so hoch wie noch vor 10 Jahren. Weltweit sind 348 Journalistinnen und Journalisten inhaftiert (laut Reporter ohne Grenzen), davon allein 60 in China und 33 in der Türkei. Oftmals sind es Regimekritikerinnen und Regimekritiker, die den Machthabern in den autoritär geführten Staaten ein Dorn im Auge waren.
Auch die Zahl der Entführungen ist gestiegen. Derzeit werden 60 Medienschaffende von nichtstaatlichen Akteuren festgehalten, zum größten Teil terroristische Organisationen, die Lösegeld oder politische Maßnahmen erpressen. Oft bleibt es jedoch nicht bei der Freiheitsberaubung – Terrororganisationen, militante Extremisten, hohe Politiker und Mafiabosse schrecken nicht einmal vor Mord zurück.
Die Anzahl der getöteten Reporterinnen, Reporter und Medienschaffenden ist im Vergleich zu 2017 von 84 auf 94 gestiegen (so die internationale Journalisten-Föderation). 45 Prozent aller weltweit getöteten Journalisten starben in Ländern, in denen kein bewaffneter Konflikt herrscht. Besonders viele wurden in Afghanistan getötet – 16 Journalistinnen und Journalisten. 11 Personen aus dem Medienbereich starben in Mexiko, 9 im Jemen und 8 in Syrien. In Europa wurden insgesamt vier Journalistinnen und Journalisten getötet. Einer von ihnen war der slowakische Investigativjournalist Jan Kuciak.
Jan Kuciak, tot aufgefunden am 25. Februar 2018 in Ve?ká Ma?a, Slowakei
Italienische Geschäftsmänner, die mit der Mafia kooperierten, sollen hinter dem Attentat stecken, bei dem Jan Kuciak und seine Partnerin Ende Februar erschossen wurden. Das Motiv lag schnell auf der Hand: Jan Kuciak veröffentlichte schon länger Recherchen zu Fällen von Korruption in der Slowakei und war somit für viele Geschäftsmänner, -frauen, und Menschen in der Politik eine Bürde. Der Tod Jan Kuciaks blieb allerdings nicht folgenlos: Es fanden Proteste in der ganzen Slowakei statt, die zu einer politischen Krise und sogar zum Rücktritt des Ministerpräsidenten, des Innenministers und des Polizeichefs führten.
Jamal Khashoggi, ermordet am 2. Oktober 2018 in der saudi-arabischen Botschaft in Istanbul
Deutlich abstruser war die Sachlage bei der Ermordung Jamal Khashoggis, einem saudi-arabischen Journalisten. Er war Redakteur und Mitarbeiter bei verschiedenen saudischen Zeitungen, Kolumnist bei der „Washington Post“ und veröffentlichte kritische Artikel. Er war aber nie ein kompletter Gegner der saudi-arabischen Königsfamilie. Als er allerdings in Konflikt mit dem Kronprinz Mohammed bin Salman kam, emigrierte er in die USA. Die Tötung im saudi-arabischen Konsulat in Istanbul, wo er sich öfters aufhielt, war brutal, sein Körper wurde zerteilt und in Säure aufgelöst, um sämtliche Spuren zu verwischen. Eine Gruppe von saudi-arabischen Agenten soll dafür verantwortlich sein.
In den letzten Tagen standen elf Verdächtige in der saudi-arabischen Hauptstadt Riad vor Gericht. Ihre Identität wurde nicht preisgegeben; ob sie wirklich an der Ermordung beteiligt waren, ist ebenfalls unklar
. Über fünf Personen wurde die Todesstrafe verhängt. Nach der saudi-arabischen Version hätten diese Männer im Auftrag des Ex-Vize-Geheimdienstchefs Ahmed al-Asiri den Journalisten ermordet. Jedoch sprechen viele Indizien dafür, dass der Kronprinz selbst die Tat in Auftrag gegeben hatte.
Wieso die weltweite Presseunfreiheit auch uns betrifft
Diese Beispiele sind nur stellvertretend für die vielen anderen ermordeten oder politisch inhaftierten Journalistinnen und Journalisten, vor allem in Ländern mit einem sehr „interessanten“ Verständnis von Pressefreiheit. Dabei ist Presse- und Meinungsfreiheit ein Grundbaustein für Demokratie und ein fundamentales Menschenrecht
. Wenn engagierte Menschen, die einem äußerst wichtigen Beruf nachgehen, entgegen jeder Rechtsstaatlichkeit daran gehindert werden, haben auch wir ein Problem. Warum uns das betreffen sollte? Da aus Europa kaum offizielle Kritik verlautbart wurde.
Deutsche Waffenexporte nach Saudi-Arabien, politische Geschäfte der EU mit Erdogans Türkei, keine Kritik an China – auch nicht aus Österreich. Das alles unter dem Vorwand von wirtschaftlicher Zusammenarbeit. Jegliche Verpflichtung gegenüber den Menschenrechten scheint unter den Tisch gekehrt zu werden. Noch dazu hat sich in diesem Jahr auch die Lage für Journalistinnen und Journalisten in Europa deutlich verschlechtert. Medienfeindliche Hetze erschwert hier die journalistische Arbeit, auch Gewalt gegen Medienschaffende nährt die Sorge um die Pressefreiheit.
Trotzdem endete das Jahr mit einer kleinen positiven Meldung: Max Zirngast, ein Österreicher, wurde am 24. Dezember gemeinsam mit zwei Kollegen nach einem diplomatischen Marathon aus einem türkischen Hochsicherheitsgefängnis entlassen. Er setzte sich vor seiner Verhaftung im September regierungskritisch mit der Türkei auseinander und wurde aufgrund von „Nähe zu Terrororganisationen“ (gemeint sind kurdische Bewegungen und Parteien) verhaftet. Bei der Befragung wurden ihm allerdings nur Fragen zu seiner regierungskritischen journalistischen Arbeit gestellt. Er war ein politischer Gefangener. Aufatmen kann der Steirer allerdings noch nicht: Er wird im April vor einem türkischen Gericht stehen, bei Verurteilung drohen 10 Jahre Haft.
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