Kenne deine Rechte

„Ich will nicht der ‚gute‘ Flüchtling sein“


Jung, charismatisch, poetisch – so würde man den syrischen Flüchtling und Autor Omar Khir Alanam am besten beschreiben. Kenne deine Rechte (KdR) hat sich mit ihm getroffen, um über seine Selbstauffassung, Integration, Religion und Kunst zu sprechen.

KdR: Ich sitze hier mit dem ‚syrisch-österreichischen Schriftsteller‘ oder mit dem ‚syrischen Flüchtling‘ Omar Khir Alanam. Welche der beiden Beschreibungen wäre dir lieber?

Omar: Ich bin beides. Diese Beschreibung ist für mich lustig, denn ich bin nicht der berühmte Schriftsteller. Aber vielleicht der berühmteste Flüchtling. *lacht* Im Juni war ich auf Einladung in Genua, und die Frau, die mich eingeladen hatte, hat dort auf mich gewartet und hat mir eine Zeitung, die sie in der Hand hatte, gezeigt. In der stand: ‚der syrisch-österreichische Autor Omar Khir Alanam‘. Das war komisch für mich, denn das war das erste Mal, dass ich so etwas gelesen habe.

KdR: Fühlst du dich geschmeichelt, wenn du ‚berühmtester Flüchtling‘ genannt wirst, oder welches Gefühl ruft das in dir hervor?

Omar: Ich habe mit dem Wort Flüchtling kein Problem mehr, obwohl mir diese Bezeichnung früher oft weh getan hat. Aber wenn ich nur als Flüchtling gesehen werde, ist das gewissermaßen beleidigend für mich, denn ich mache ja auch Kunst. Ich möchte also auch als Künstler gesehen werden, abgesehen davon, ob ich jetzt Flüchtling bin oder nicht. Es kann ja auch sein, dass ich später einmal über etwas ganz anderes schreibe, was nichts mit Flucht zu tun hat.

KdR: Das Wort ‚Flüchtling‘ besitzt ja mittlerweile eine ziemlich negative Konnotation. Was ist das Problem mit diesem Wort?

Omar: Ich habe wie gesagt kein Problem mit diesem Begriff, denn er bedeutet einfach, dass eine Person aus Angst um ihr Leben ihr Land verlassen hat. Aber ich kenne auch viele Leute, die ein großes Problem mit dieser Bezeichnung haben. Das habe ich nicht
. Aber was mich total stört, ist, wenn ich als der ‚gute‘ Flüchtling oder als gutes Beispiel beschrieben werde – so, wie alle anderen sein sollten. Viele verwenden diesen Begriff auf eine positive Art und Weise, aber ich finde das einfach nicht passend. Ich will nicht der ‚gute‘ Flüchtling sein. Ich habe ja auch nicht ein Buch geschrieben, weil ich ein gutes Vorbild sein will oder um zu zeigen, dass ich gut Deutsch gelernt habe.

KdR: In deinem Buch ‚Danke. Wie Österreich meine Heimat wurde‘ [erschienen in: edition a, 2018; Anm. der Redaktion] sprichst du über den Rat, den du einmal bekommen hast, in jeder Stadt, in der du vorbeikommst, ein Haus zu bauen. Man würde meinen, du bist verantwortlich für den Grazer Bauwahn.

Omar: *lacht* Ich versuche überall, wo ich hinkomme, diese Häuser aufzubauen. In meinem Buch erwähne ich das Beispiel, wo ich im Libanon auf einem Balkon stehe und mich in die Nachbarin verliebe, obwohl ich sie noch nie zuvor getroffen habe. Das war ein sehr persönliches Erlebnis und ich habe das Gefühl gehabt, dass ich da auch ein Haus gebaut habe.

KdR: Und wie sieht das in Graz aus? Ist Graz dir eine Heimat geworden?

Omar: Ja, schon. Aber die Frage ist: Was ist Graz eigentlich? Die Stadt? Graz ist eine Stadt wie alle anderen, aber mir sind die Beziehungen zu anderen Menschen, die ich aufbauen konnte, besonders wichtig. Die sind mir eine Heimat, denn ich habe hier die Sprache gelernt, die ersten Freunde kennengelernt, mit den ersten Menschen auf Deutsch geredet. Egal, wo ich bin, ich treffe immer Leute, die ich kenne, und oft werde ich auch angesprochen. Früher, als ich Deutsch gelernt habe, habe ich Leute angesprochen, um die Sprache zu lernen; heute werde ich begrüßt. Deshalb sage ich oft: Ich habe so viele Leute begrüßt, bis ich selber begrüßt wurde. Das ist schön und gibt mir ein Gefühl von Ruhe und von Frieden. Das ist Zuhause.

KdR: Gibt es Leute, die den Begriff Heimat nicht an ihren Beziehungen, die sie an den Ort binden, sondern einfach an dem Ort selbst festmachen?

Omar: Sicher gibt es das, aber für mich ist das schwer zu verstehen. Ich treffe oft ältere Österreicher, die mir erzählen, dass sie vor 30-40 Jahren einmal in Syrien waren. Sie erzählen dann, dass sie in Aleppo und vielen anderen Städten waren und dass es dort es schön war. Daraufhin kann ich ihnen oft nur sagen: ‚Das tut mir wirklich sehr leid, aber ich war noch nie in Aleppo.‘ Wie ist Syrien als ‚Ort‘ also für mich eine Heimat? Warum sollte ich zum Beispiel eine Beziehung zu Aleppo haben, obwohl ich dort noch nie war, manche Österreicher aber schon? Warum soll ich mich bei dem, was ich als Heimat sehe, an eine Grenze halten? Die Grenzen wurden irgendwann einmal von Politikern oder anderen einflussreichen Leuten gezogen. Warum sollte ich mich nur innerhalb dieser Grenze zuhause fühlen? Das, was für mich Heimat ist, möchte ich selbst entscheiden.

KdR: Kann ein Mensch mehrere Heimaten haben?

Omar: Ja, sicher. Ich habe mehrere. Für mich ist Heimat wie erwähnt kein fixer Ort.

KdR: Besonders rechte Parteien formulieren aber den Heimatbegriff oft exklusiv: Für deren Politiker gibt es eindeutige Kriterien, wer zu dieser Heimat dazugehört und wer nicht. Findest du es als Person, welche der Definition dieser Menschen von Heimat nicht entspricht, oft schwer, mit solchen Menschen ins Gespräch zu kommen?

Omar: Eigentlich nicht
. Wir diskutieren eben. Hierbei ist Sprache unglaublich wichtig. Ich will einfach mit Menschen ins Gespräch kommen, und da ist es nicht mein Ziel, im Gespräch zu gewinnen, sondern das Gespräch selbst ist das Ziel.

KdR: Wenn gegen gewisse Gruppen gehetzt wird, ist das mehr politisches Motiv als persönlicher Hass?

Omar: Da bin ich mir sogar ganz sicher. Ich könnte es verstehen, wenn eine Einzelperson sagt: ‚Ich hasse Muslime.‘ Dann weiß ich zumindest, dass dieser Hass ein ehrliches Gefühl ist. Aber bei Politikern, die hetzen, hat das ein Motiv. Ihr Hass ist nicht ehrlich.

KdR: Haben die Politiker recht, wenn sie sagen, es gebe Probleme im Islam?

Omar: Ich kann da jetzt spontan niemandem recht geben, darüber muss man reden. Aber ich finde es immer schwierig, wenn eine Religion eine andere kritisiert. Wenn beispielsweise ein Muslim etwas an seiner eigenen Religion kritisiert, ist das eine ehrlichere Form von Kritik. Aber jeder kann seine eigene Meinung haben, man muss ja nicht alles am anderen gut finden. Ich finde aber, wir sollten eigentlich nicht darüber reden, was uns verbindet, sondern, was uns unterscheidet. Denn wenn wir darüber reden können und kein Problem damit haben, funktioniert das Zusammenleben viel besser. In Syrien ist uns eingetrichtert worden, dass wir alle gleich sind und dass es peinlich ist, über Unterschiede zu sprechen. Aber schau dir an, wozu das geführt hat, als die Menschen in Syrien erkannt haben, dass sie eben nicht alle gleich sind. Das, worin wir gleich sind, bereitet uns ja keine Probleme, wir müssten also offener über unsere Unterschiede diskutieren!

KdR: Stichwort Unterschiede: Welches Vorurteil gegenüber Muslimen kannst du nicht mehr hören?

Omar: Dass wir alle 4 Frauen – oder übertrieben: 70 Frauen – haben. Ich weiß nicht, woher die Menschen dieses Klischee haben. In meinem ganzen Leben habe ich nur eine Person kennengelernt, die zwei Frauen hatte. Dieser Mann wollte unbedingt Kinder und seine erste Frau war unfruchtbar, deshalb hat er eine zweite Frau geheiratet. Ein Vorurteil, das mich aber viel mehr stört, ist, dass alle Muslime gleich sind. Es wird immer von den Muslimen gesprochen. Aber alle Menschen sind unterschiedlich – auch Muslime. Aber die Frage der Zugehörigkeit zu einer Gruppe ist grundsätzlich ein schwieriges Thema.

KdR: Als der ‚gute‘ Flüchtling müsstest du ja nahezu den Status eines Integrationsexperten haben. Was glaubst du, macht Integration aus?

Omar: Ehrlich gesagt muss ich sagen, dass ich bis heute nicht wirklich weiß, wie genau Integration aussehen soll. Ich habe mich ja nicht komplett verändert. Ich schaue noch gleich aus, esse das gleiche Essen usw. Aber natürlich habe ich mich entwickelt; jeder Mensch entwickelt sich. Also kann ich das nicht so einfach beantworten, was Integration bedeutet.

KdR: Was war für dich an Österreich markant ‚anders‘?

Omar: Puh, ich weiß nicht… Es gab nichts, was mich wirklich schockiert hat. Ungewohnt war für mich die freie Art und Weise, Beziehungen zu leben. Daran habe ich vorher nie wirklich gedacht. Das war für mich anders, aber weder positiv noch negativ. Oder dass in Österreich so wenig Brot gegessen wird. In Syrien gibt es fast zu jeder Mahlzeit Brot. Wir essen quasi Brot mit Brot. *lacht* Vielleicht schreibe ich ja einmal ein Kabarett darüber…

KdR: Jetzt sind wir schon beim nächsten Thema angekommen: Kunst. Du erwähnst oft, dass du in Syrien nicht die Freiheit hattest, deine Texte vor Publikum vorzutragen, ohne mit Konsequenzen zu rechnen. Das ist in Österreich nun anders. Aber kann man denn hierzulande wirklich völlig frei seine Meinung sagen?

Omar: In Syrien ist das wirklich völlig anders. Wenn du es wagst, auf der Bühne zu stehen, frei deine Meinung zu sagen und Kritik zu äußern, besteht tatsächlich die Gefahr, dass du verschwindest. In Österreich habe ich die Bühne anders erlebt. Ich habe einen Text geschrieben und habe mich vor die Leute hingestellt, ohne dass jemand meinen Text kontrolliert hätte. Aber inwiefern du wirklich frei schreiben kannst, ist schwer zu sagen. Vor kurzem habe ich zum Beispiel einen Text für eine Zeitung geschrieben, der nicht abgedruckt wurde, vielleicht, weil er ein bisschen zu politisch war. Das Problem ist, dass Zeitungen Angst haben, dadurch Förderungen zu verlieren oder sich mit einflussreichen Personen zu zerstreiten. Hier wird also schon auch die Freiheit gewissermaßen eingeschränkt – aber eben durch andere Mechanismen.

KdR: Ist Kunst immer politisch?

Omar: Die Aufgabe der Kunst ist es nicht, Menschen zu amüsieren. Die Kunst hat eine Pflicht: Aktuelles zu behandeln. Also ist sie immer politisch. Was ist denn überhaupt nicht politisch? Unsere Kleidung, unsere Essensgewohnheiten usw., alles hat eine politische Seite. Also ist es Blödsinn zu sagen, Kunst sei nicht politisch. Ich finde es beispielsweise auch problematisch, wenn gesagt wird, dass Religion und Staat getrennt sind. Es ist gut, wenn religiöse Vereine politisch nicht mitbestimmen können. Aber sie sind deshalb ja trotzdem politisch aktiv. Und wo ist die Trennung, wenn Politiker immer wieder betonen, Österreich sei ein christliches Land?

KdR: Kommen wir zur Kunst zurück: In deinen Texten sprichst du über sehr persönliche Themen. Welches Gefühl löst es in dir aus, diese Texte der Öffentlichkeit vorzutragen?

Omar: Ich teile mit dem Publikum etwas, ich hole die Menschen in meine Welt. Ich bin in einer Umgebung aufgewachsen, in der über alles geschwiegen wurde – Politik, Religion, Familie, Gefühle usw. Was ich jetzt mache, ist das genaue Gegenteil davon. Manchmal schreibe ich über Themen, die mir peinlich sind. Aber das ist ehrlich – und nicht dieses Versteckspiel, das wir so gerne spielen. Das Interessante ist, dass Dinge, die für die einen peinlich sind, für die anderen vielleicht ganz normal sind und umgekehrt. Aber für mich ist das Publikum eine Heimat, und mit dieser Heimat teile ich meine Welt.

KdR: Ist Liebe auch eine Heimat?

Omar: Auf jeden Fall. Aber da stellt sich wieder die Frage: Was ist eigentlich Liebe? Unser Konzept von Liebe verändert sich ja auch, es ist keine feste Vorstellung. Es gibt unterschiedliche Vorstellungen von Liebe; aber für mich gilt: Immer wenn man sich verliebt fühlt, ist das Liebe.

KdR: Aus welchem Gefühl entstehen die besseren Texte: Liebe oder Trauer?

Omar: Eine Mischung aus beiden. Aber nicht nur diese beiden Gefühle, sondern auch Friede, Tod, Gefahr, Gewalt und viele andere Sachen habe ich einmal erlebt, und das hat mich zum Schreiben gebracht. Es ist die Mischung aus diesen Dingen, die Texte ausmacht.

KdR: Meine vorletzte Frage: Was wünscht du dir für die Zukunft der Menschheit?

Omar: Dass Menschen nicht mehr flüchten müssen.

KdR: Und was wünscht du dir für die Zukunft von bzw. für Österreich?

Omar: Dass Österreich sich weiterentwickelt, aber nicht in die falsche Richtung. Das Problem ist, dass viele Österreicher, mit denen ich gesprochen habe, das Gefühl haben, dass sie sich so weit entwickelt haben und dass deshalb nur die anderen von ihnen lernen können und nicht umgekehrt.

ad personam:

Omar Khir Alanam wurde 1991 in Damaskus, Syrien geboren und ist 2014 nach Österreich geflüchtet. Seit geraumer Zeit verfasst er Texte und Gedichte und ist in der Poetry-Slam-Szene aktiv. Anlässlich der Veröffentlichung seines Buches „Danke“ hat KdR bereits Anfang 2018 mit ihm ein Interview geführt.


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