
Von der Stadt der Volkserhebung zur Stadt der Menschenrechte
Graz, 24. Februar 1938. Tausende steirische Anhänger des Nationalsozialismus strömen durch die Grazer Innenstadt, schwingen Hakenkreuzfahnen, singen Lieder und verteilen Flugblätter. Der Höhepunkt: das Hissen der Hakenkreuzfahne am Grazer Rathaus. In Anerkennung ihrer Verdienste erhält die Stadt Graz im Juli 1938 vom „Führer“ den Ehrentitel „Stadt der Volkserhebung“ – und bleibt bis Kriegsende die einzige Stadt der „Ostmark“ mit dieser „Anerkennung“.
Auch nach 1945 lebte das nationalsozialistische Gedankengut in den Köpfen vieler fort
. Mitunter kam es in Graz zur Ehrung „Ehemaliger“ und zu Straßenbenennungen nach vormaligen Nationalsozialisten. Im Jahr 2001 schlug Graz jedoch entschieden einen anderen Weg ein und erklärte sich als erste europäische Stadt zur „Stadt der Menschenrechte“. Wegbereitend dafür waren eine vitale NGO-Szene in den 1990er-Jahren, gepaart mit politischem Reformwillen und starkem Engagement von Altbürgermeister Alfred Stingl. „Die Stadt Graz, insbesondere die Mitglieder ihres Gemeinderates und der Stadtregierung, werden sich in ihrem Handeln von den internationalen Menschenrechten leiten lassen“, wurde 2001 einstimmig in der Menschenrechtserklärung der Stadt Graz festgehalten. Diese Erklärung und die Bezeichnung „Menschenrechtsstadt“ ist demnach keine Auszeichnung, sondern bringt eine Menge Verantwortung mit sich. Graz hat sich laut Univ.-Prof. Dr. Wolfgang Benedek dazu verpflichtet, sowohl „alle wichtigen Entscheidungen an den Menschenrechten zu orientieren“, als auch „dafür Sorge zu tragen, dass möglichst alle Grazer über die Menschenrechte informiert werden.“
Um dieses Vorhaben effektiv umzusetzen, wurde seit 2001 eine Vielzahl an demokratie- und menschenrechtsfördernden Institutionen gegründet. Seit 2005 arbeitet das Integrationsreferat an der Koordination und Umsetzung von Integrationsmaßnahmen. Seit 2006 ist Graz Mitglied der Europäischen Städte-Koalition gegen Rassismus (ECCAR), einer Initiative der UNESCO mit dem Ziel, ein internationales Netzwerk von Sta?dten einzurichten und so den Kampf gegen Rassismus, Diskriminierung und Fremdenfeindlichkeit gemeinsam zu bestreiten.
Einen maßgeblichen Meilenstein stellt auch die Einrichtung des Menschenrechtsbeirates im Jahr 2007 dar. Dieser hat die Aufgabe, die Entwicklung der Menschenrechtsstadt Graz kritisch zu begleiten und mit Ratschlägen zu unterstützen. Seit 2008 veröffentlicht der Menschenrechtsbeirat jährlich den Menschenrechtsbericht der Stadt Graz, welcher die Stadt über die Umsetzung der Menschenrechte auf kommunaler Ebene informiert. Laut Karl-Heinz Herper, ehem. Stadtrat (SPÖ), wies der letzte Menschenrechtsbericht 2016/2017 eine Fülle von Themen auf, die verdeutlichen, dass die Stadtspitze bis heute zum Vorhaben „Menschenrechtsstadt Graz“ steht und weiterhin stehen will. Besonders große Wichtigkeit wird der Integration von Flüchtlingen, Geschlechterdemokratie, Jugendarbeit und Prävention gegen Extremismus und Gewalt beigemessen.
Zudem führt der MR-Beirat die menschenrechtliche Wahlkampfbeobachtung der Grazer Gemeinderatswahlen durch, bei der Wahlwerbungen auf die Verletzung menschenrechtlich relevanter Themen untersucht werden. Mit Hilfe einer Ampel (grün-gelb-rot) wird der Wahlkampf schließlich eingestuft. Weiters wurde 2010 das Jugendprojekt „Kenne deine Rechte“ ins Leben gerufen. Dieses gibt Jugendlichen die Möglichkeit, menschenrechtliche Fragen auf journalistischer Basis zu behandeln. Artikel und Videobeiträge zu aktuellen Themen erscheinen wöchentlich auf der Projekt-Homepage und auf Facebook.
Das Europäische Trainings- und Forschungszentrum für Menschenrechte und Demokratie, kurz ETC Graz, ist dabei als Geschäftsstelle des Menschenrechtsbeirats tätig. Die sonstigen Hauptaufgaben des bereits 1999 gegründeten Zentrums liegen in den Bereichen Forschung und Bildung zu Menschenrechten und Demokratie. 2017 wurde von der UNESCO Generalversammlung einstimmig beschlossen, das ETC als Kategorie-II-Zentrum zur Förderung von Menschenrechten auf lokaler und regionaler Ebene etablieren zu wollen. Laut Bürgermeister Siegfried Nagl bedeutet dies, „dass wir für den afrikanischen und südosteuropäischen Raum Menschenrechtsausbildung künftig hier in Graz durchführen werden.“ So können PolitikerInnen Methoden nähergebracht werden, wie auch in ihren Staaten Freiheit, Frieden und Rechtsstaatlichkeit erzeugt und die Menschenrechte gelebt werden können
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Im Jahr 2010 veröffentlichte die Stadt Graz den ersten Armutsbericht der Stadt Graz, 2012 wurde die Antidiskriminierungsstelle des Landes Steiermark eingerichtet, welche als Anlauf- und Beratungsstelle für Betroffene verschiedener Formen von Diskriminierung tätig ist und auch jährlich einen Antidiskriminierungsbericht veröffentlicht.
„Es gibt immer neue Ideen, es gibt immer Verbesserungsbedarf“, betont Altbürgermeister Stingl. Aus diesem Grund gibt es derzeit auch die starke Intention, nach der Menschenrechtsstadt Graz an einer Menschenrechtsregion Steiermark zu bauen. Ganz nach dem Motto: „Nicht nur Schifahren, sondern Menschenrechte!