
Das Damoklesschwert über der Pressefreiheit
Man sagt, Sophie Scholl hätte ihrem Vater nach dessen Inhaftierung aufgrund von hitlerkritischen Äußerungen im August 1942 abends vor den Ulmer Gefängnismauern die Melodie von „Die Gedanken sind frei“ auf der Blockflöte vorgespielt. Davon, dass unsere demokratischen Ansprüche heute, rund 75 Jahre später, etwas weiter gehen als Gedankenfreiheit, ist auszugehen
. Wie kann es also sein, dass ExpertInnen das Recht auf freie Meinungsäußerung, insbesondere die Pressefreiheit, zunehmend bedroht sehen?
Meinungsäußerungsfreiheit erfasst nicht nur das Recht auf eigene Meinung, sondern bedeutet auch, dass es einem Mensch möglich sein sollte, sich frei und unabhängig zu informieren und informiert zu werden. Dabei bildet sie das Fundament, auf dem weitere Grundrechte aufgebaut sind – so auch die Informations- und Pressefreiheit, welche die freie Berichterstattung von Rundfunk, Presse und anderen Medien garantiert. Somit soll jede Form der Zensur ausgeschlossen werden und eine pluralistische Meinungsvielfalt vorherrschen, welche die demokratische Willensbildung sowie die Transparenz und Kontrolle der Politik durch die Öffentliche Meinung fördert. Die Pressefreiheit kann direkt aus dem Artikel 19 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte aus dem Jahr 1948 abgeleitet werden – eine UN-Resolution, die auch von der Türkei unterschrieben wurde.
Eine dunkle Zeit für türkische Journalist/innen
Im Jahr 2003, als Erdogan Ministerpräsident wurde, belegte die Türkei Platz 116 von 180 auf der Rangliste der Pressefreiheit, die jährlich von der Nichtregierungsorganisation Reporter ohne Grenzen erstellt wird. Mittlerweile ist das Land auf Platz 157 abgerutscht. Nach der Index-Skala ist die Pressefreiheit innerhalb der Türkei in einer schwierigen Situation – tatsächlich fehlt wohl nicht mehr allzu viel, um deren Lage als „sehr ernst“ einzustufen. Schon 2013 nach den Gezi-Protesten haben schätzungsweise rund 4000 JournalistInnen ihren Arbeitsplatz wegen kritischer Berichterstattung verloren. 2016 wurden dann infolge des Putschversuchs im Juli weit über 100 JournalistInnen verhaftet, rund 150 Medien geschlossen und unzählige Presseausweise annulliert. Auch heute noch, im Jahr 2018, ist die Türkei das Land mit den meisten inhaftierten Medienschaffenden. Dabei sieht Staatspräsident Erdogan selbst die Türkei als Pionierin der Pressefreiheit – es sei nun mal aber so, dass manche die „Sensibilität in Sachen Meinungsfreiheit“ innerhalb der Landesgrenzen gezielt ausnutzen „und versuchen, durch Desinformation und manipulative Nachrichten die Brüderlichkeit unseres Volkes und die Integrität unseres Staates zu zerstören“. Fakt ist, dass infolge des schicksalshaften Putschversuchs in der Türkei ein rund zwei Jahre andauernder Ausnahmezustand ausgerufen wurde, welcher der Regierung weitreichende Vollmachten bescherte. In diesem Zeitraum sind nicht nur JournalistInnen, sondern auch RichterInnen und AkademikerInnen entlassen oder inhaftiert worden
. Erdogan zielte bei dieser selbsternannten „Säuberung“ vor allem auf AnhängerInnen der Bewegung rund um den im Exil-lebenden Prediger Fethullah Gülen ab, den Erdogan als Drahtzieher hinter dem gescheiterten Militärputsch sieht. Seither scheint seine strafende Hand weiterhin unverändert jeden zu treffen, dem es an Loyalität zum Staatsoberhaupt zu mangeln scheint. Erst letzte Woche gab es am Wiener Juridicum eine Diskussion mit dem verheißungsvollen Titel „Türkei – Wie und warum jeder als Terrorist angeklagt werden kann“ – eine Anspielung auf gewisse strafrechtliche Paragraphen innerhalb der türkischen Gesetzestexte. Diese werden aufgrund ihrer Disposition auch „Gummiparagraphen“ genannt, da sie sehr weit ausdehnbar sind und somit deren politischen Missbrauch ermöglichen, um die freie Meinungsäußerung einzuschränken.
Zunehmend medienfeindliche Hetze in Europa
Doch auch in Europa ist längst nicht alles Gold, was glänzt. Wie Reporter ohne Grenzen berichtet, hat sich in keiner anderen Weltregion die Situation der Pressefreiheit im letzten Jahr dermaßen spürbar verschlechtert wie in Europa. Repressive Regime sind längst nicht mehr die einzigen, die Hetze gegen kritischen Journalismus betreiben – auch immer mehr demokratisch legitimierte Staats- und Regierungsoberhäupter schüren ein zunehmend medienfeindliches Klima. Hierbei muss man sich nicht einmal mehr unbedingt auf Donald Trump berufen, bei dem die Diffamierung von MedienvertreterInnen als „Volksfeinde“ et cetera sowieso schon an der Tagesordnung steht – auch in Österreich mehren sich Vorfälle, die darauf schließen lassen, dass die Pressefreiheit eventuell doch nicht so unantastbar ist, wie wir uns alle wünschen. Ein prominentes Beispiel wäre die einigen Medien im September 2018 zugespielte E-Mail aus dem Innenministerium, in welcher die Empfehlung an die LPD-Pressestellen artikuliert wurde, den Umgang mit explizit genannten „kritischen Medien“ auf das Nötigste zu beschränken. Rubina Möhring, die Präsidentin von Reporter ohne Grenzen Österreich, betont ebenso: „Attacken nicht nur gegen Medien an sich, sondern gegen einzelne JournalistInnen persönlich haben zugenommen.“
Wichtig ist also ein Bekenntnis zum kritischen, unbequemen Journalismus, denn erst durch öffentlichen Diskurs und Kritik werden Demokratien zu mehr als einem bloßen Lippenbekenntnis. Dass die Mächtigsten der Mächtigen Unmut über die „vierte Gewalt“ im Staat verbreiten wollen, ist letztendlich wenig überraschend – wie bereits der amerikanische Verleger Malcolm Forbes meinte: „Feder und Papier entzünden mehr Feuer als alle Streichhölzer der Welt.“
Die Anregung zu diesem Artikel lieferte der Film „Türkei – Ringen um Demokratie“, welcher im Rahmen des Crossroads-Festivals für Dokumentarfilm und Diskurs in Graz gezeigt wird. Kenne deine Rechte übernimmt gemeinsam mit dem Europäischen Trainingszentrum für Menschenrechte und Demokratie (ETC Graz) die Co-Präsentation der Filmvorführung und lädt auf diesem Wege alle Leinwandliebhaber und Menschenrechtsfreundinnen zur Österreichpremiere am Samstag, 10. November, um 21 Uhr im Forum Stadtpark ein. Der Eintritt ist frei, freiwillige Spenden sind nach dem Prinzip „pay as you wish“ sehr willkommen.
Weiterführende Links
Committee to Protect Journalists