
Köhlmeier: Eine Konfrontation mit der Vergangenheit
Mit seiner Rede zum Gedenktag gegen Gewalt und Rassismus am 5. Mai löste der Autor Michael Köhlmeier eine Kontroverse aus. Mit klaren Worten attackierte er die FPÖ und ihre Nähe zu rechtsradikalem und antisemitischem Gedankengut. Eine Neupositionierung der Freiheitlichen sieht er als Versuch an, eine nicht abgeschlossene Geschichte nicht etwa zu Ende zu bringen, sondern sie unter den Tisch zu kehren und vergessen zu machen. Würde das gelingen, wäre es nur ein weiteres Kapitel in der langen Geschichte der so oft missglückten österreichischen Vergangenheitsbewältigung.
Österreich ist ein Land der Verdrängung. Konfrontation – mit anderen und mit uns selbst – wird vermieden, um unsere Harmoniesucht zu befriedigen. Der Schrecken des 20. Jahrhunderts, der seinen hässlichsten Ausdruck in den Dreißigern und Vierzigern gefunden hat, wirkt in Form von kollektivem Trauma und Schuld bis heute nach. Österreichs Geschichte des Faschismus muss in mindestens zwei Teilen erzählt werden. Erst kam der Austrofaschismus, als die Vorgängerpartei der ÖVP die Demokratie abschaffte und eine Diktatur installierte. Eine ehrliche Aufarbeitung dieser Zeit fand nie statt – ein Porträt von Dollfuß hing bis zum letzten Jahr im Parlamentsklub der Volkspartei, denn den „vaterländischen“ Schergen kam zugute, dass ihr Regime von einem anderen einverleibt wurde, das in seiner mörderischen Menschenverachtung bis heute nicht nur in der Geschichte Österreichs, sondern auch in der Geschichte der Welt unübertroffen bleibt. Doch auch hier griff der Verdrängungsmechanismus. Den Anschluss durch die Nationalsozialisten, der ohne erheblichen Widerstand verlief und sogar Teile der österreichischen Bevölkerung in Euphorie versetzte, deutete man nachträglich zu einer feindlichen Invasion um, so dass sich die wiedergeborene Alpenrepublik als erstes Opfer inszenieren konnte. Erst in den Achtzigern und Neunzigern tat man die ersten Schritte zur Aufarbeitung, wachgerüttelt durch die Waldheimaffäre und den Heldenplatzskandal. Doch genau in diese Zeit fiel auch der Aufstieg der FPÖ unter Jörg Haider und ein Wiederaufleben und Erstarken des offen gezeigten Rechtsradikalismus.
Seitdem werden sogenannte „Einzelfälle“ innerhalb der FPÖ in nahezu regelmäßigen Abständen Gegenstand politischen Diskurses und öffentlicher Kontroverse. Viele dieser Skandale drehen sich um Aussagen, die irgendwo im Graubereich zwischen Rechtmäßigkeit und Wiederbetätigung liegen. So bezeichnete Jörg Haider Österreich als „ideologische Missgeburt“, nannte Konzentrationslager „Straflager“, lobte die Beschäftigungspolitik des dritten Reiches und huldigte Mitgliedern der SS, die maßgeblich an der Durchführung des Holocaust beteiligt war, als „anständige Menschen mit Charakter“. Über den nationalsozialistisch geprägten Begriff „Umvolkung“ stolperte Andreas Mölzer bereits 1992, der damalige freiheitliche Parlamentsabgeordnete Johannes Hübner verwendete das Wort auch 2016 in einer Rede vor einer vom deutschen Verfassungsschutz als rechtsextrem eingestuften Gesellschaft. Die Liederbuchaffäre rund um den FP-Spitzenkandidaten Udo Landbauer sorgte erst vor kurzem für großes Aufsehen
. Seit der Machtergreifung Haiders in der FPÖ 1986 hat sich kaum etwas geändert. Die antisemitischen Kodes, die Köhlmeier anspricht, werden teilweise seit mehr als hundert Jahren von Rechtsextremen, Faschisten und Nationalsozialisten verwendet
. Im Nachhinein so zu tun, als wüsste man von nichts, scheint unglaubwürdig, zum Beispiel wenn Innenminister Herbert Kickl davon spricht, Flüchtlinge zu „konzentrieren“ oder wenn Johann Gudenus den jüdischen Milliardär George Soros für die Flüchtlingskrise verantwortlich macht und im Stile des Orwell’schen Neusprech von „stichhaltigen Gerüchten“ spricht und sich die ganze freiheitliche Führungsriege rund um Strache und Hofer hinter ihn stellt, oder wenn man als Partei über Jahre das Magazin „Aula“ unterstützt, in dem KZ-Überlebende als „Landplage“ und „Verbrecher“ verunglimpft werden.
Angesichts dieser elendslangen Liste von „Ausrutschern“ und „Patzern“, wie diese teils gefährlichen, teils menschenverachtenden Äußerungen verharmlost werden, kann eine Distanzierung vom Antisemitismus und rechtsradikalen Ideologien vielleicht wirklich nur von Idioten und Zynikern geglaubt werden, wie Köhlmeier es ungeschönt darstellt. Vor allem weil dieser neugefundene, angebliche „Anti-Antisemitismus“ nur dazu dient, für die Islamfeindlichkeit instrumentalisiert zu werden. Natürlich bedarf es einer ehrlichen Auseinandersetzung mit und ein klares Auftreten gegen Antisemitismus in all seinen Ausprägungen, auch unter Muslimen. Doch Toleranz ist eine Grundhaltung und die Abkehr vom historisch – wie ein Krebsgeschwür – gewachsenen Antisemitismus vorzugaukeln, um eine andere Gruppe auszugrenzen, ist an Perfidität kaum zu übertreffen. Köhlmeiers Gewissensworte ermahnen Österreich, sich als Nation endlich seiner Vergangenheit zu stellen und rechtsradikale Ideologien in die Geschichtsbücher zu verbannen. Keine leichte Aufgabe in einer Zeit, in der rechtspopulistische Ressentiments überall in Europa wieder aufflammen. Aber auch wenn es uns nicht ganz gelingen sollte, so wäre es wichtig, wenigstens den ersten Schritt zu machen und die Dinge beim Namen zu nennen und die Konfrontation nicht mehr zu scheuen, so wie es uns Michael Köhlmeier auf beeindruckende, mutige Weise vorgezeigt hat. Die Geschichte der Verdrängung muss abgeschlossen werden und deshalb dürfen seine Worte nicht verhallen.
Links zum Thema
Die Rede von Michael Köhlmeier im Wortlaut
ÖVP verzichtet künftig auf Dollfuß-Porträt in Klubräumen (derStandard)
Die braunen Rülpser der FPÖ (Kurier)
Rede von FPÖ-Politiker mit antisemitischen Codes (Kurier)
„Aula“-Affäre: OGH entschied gegen rechte Zeitschrift (orf.at)
Faktencheck: Das Verhältnis der FPÖ zur „Aula“ (Kurier)
Gudenus attackiert Stiftung von US-Milliardär Soros (derStandard)