
Frau Eva und die unhaltbaren Zustände
Die Frau Eva war eine ganz besondere Frau. Bei jedem Coiffeur-Besuch scheiterte der zuständige Frisör aufs Neue daran, ihr eine ihrem Wesen angemessene Blondtönung zu verpassen.
Die Frau Eva zahlte immer mit Kreditkarte, sie hielt es für unter ihrer Würde und sogar ausgesprochen gefährlich, Bargeld mitzuführen. Besonders für eine Frau von ihrem Stand, der ja schon ob ihrer knöpfchengroßen Schuhabsätze ein sehr unsicherer war.
Die Frau Eva hatte viele gesellschaftliche Verpflichtungen, die sie in alle Winkel der Stadt trugen, jedoch niemals mit Straßenbahn oder Bus, sondern stets mit dem Taxi. Eines Tages im Mai begab es sich nun, dass sie zu einer Vernissage eingeladen war, wo unter anderem die Bilder eines alten Schulfreundes ausgestellt wurden. Mit sanftem Lächeln auf den dünnen Lippen trat die Frau Eva aus der Tür ihres Hauses im Grünen, blinzelte in die Nachmittagssonne und stöckelte den kurzen Weg bis zum Gartentor hinunter, vor dem bereits die Taxifahrerin wartete.
Die Frau Eva grüßte und nahm wohlwollend zur Kenntnis, dass die Antwort der etwas korpulenten Mittfünfzigerin in ganz und gar akzentfreiem Deutsch erscholl, eine Seltenheit unter den Taxifahrern der Stadt.
Die Mittfünfzigerin war nicht begeistert, schließlich verhieß ihr in der Taxibranche durchaus nicht unbekannter Fahrgast viel Konversation und einen Arbeitstag, der hauptsächlich aus Warten bestehen würde. Die Mittfünfzigerin hieß Frau Margit, allerdings war sie noch nie so angeredet worden. Sie wartete, bis die Frau Eva sich am Beifahrersitz niedergelassen und den Schminkspiegel heruntergeklappt hatte, dann fuhr sie die hügeligen Straßen hinunter auf die Innenstadt zu.
Als sie an einem Kosmetikwerbeplakat vorbeifuhren, das jemand mit einem aufdringlichen Graffito übermalt hatte, bemerkte die Frau Eva: „Also wirklich.“
Frau Margit sagte nichts und zählte in Gedanken langsam bis drei.
Bei zweieinhalb hatte die Frau Eva ihre gedanklichen Vorbereitungen abgeschlossen und öffnete die Schleusen.
„Gestern war ich in der Stadt und habe zufällig eine alte Freundin getroffen. Also alt ist relativ, ich meine, ja, sie ist zwei Jahre älter als ich, aber das sieht man ihr nicht an. Keine Ahnung wie sie das macht… Sagen Sie ihr das aber bloß nicht, wenn Sie sie einmal fahren, sie fährt nämlich auch oft Taxi. Und da hat sie mir erzählt, dass sie letzte Woche bei so einer zwielichtigen Person im Wagen gesessen hat, der hat nicht einmal ihre Adresse richtig aussprechen können. Dabei sollte man gerade diese Straße… Ich meine, da wohnt ja auch der Bürgermeister!
Eingebrochen wurde übrigens auch bei ihr, letzten Dezember. Sie haben diese Menschen zwar gleich erwischt zwei Tage später, aber ob da irgendwas rausgekommen ist bis jetzt, weiß ich nicht. Die Täter waren natürlich Ausländer.“
„Oje
. Sicher Engländer, oder?“
Der Wagen glitt ruhig dahin im sonntäglichen Verkehr, die Frau Eva verzog die dünnen Lippen. „Hätte man jemals davon gehört, dass ein Brite einen Einbruch begehen würde? Sir Henry, hätten Sie wohl die Güte, mir das Brecheisen zu reichen… Ungarn waren es, oder Rumänen, so irgendwas
. Ob die sich wohl auch gegenseitig beklauen, oder nur uns?“
Frau Margit wartete stumm auf das Weiterrollen der porösen Argumentationslawine.
„Zustände sind das, also wirklich! Inzwischen sieht man ja kaum noch Österreicher auf den Straßen… Ich habe natürlich keine Vorurteile, schon gar nicht wegen der Hautfarbe. Ich mag die Schwarzen sogar sehr gerne, die können sich das ja auch nicht aussuchen. Die Religion kann man sich aber schon aussuchen, ich meine mit Kopftuch wird man ja nicht geboren…
Verstehen Sie mich nicht falsch, mit der katholischen Fraktion habe ich auch nicht viel am Hut, aber so eine gewisse christliche Kultur sollte man schon haben als Österreicher!
Das ständige Mit-dem-Kreuz-Wedeln muss auf der anderen Seite aber wirklich nicht sein. Besonders bei den Bettlern fällt mir das auf, die glauben immer sie kriegen was, wenn sie ihre leeren McDonalds-Becher nur schön mit Kreuzen und Heiligenbildern behängen. Sowas von penetrant! Tragisch natürlich, die Armut, vor allem für die Kinder von denen, aber wenn die sich mal in die Hände spucken und bei sich anständig arbeiten würden, wär ihnen mehr geholfen als wenn sie bei uns ein paar Euro pro Tag dafür kriegen, auf der faulen Haut zu liegen.“
Frau Margit lenkte den Wagen sachte auf den Parkplatz des Veranstaltungszentrums, ihr stressimmunisiertes Taxifahrerinnenherz pumpte einen Tick schneller als sonst. Als auch die Frau Eva rhetorisch gerade auf die Zielgerade biegen wollte, sagte Frau Margit rasch und mit fester Stimme:
„Alle Menschen haben das Recht, gleich behandelt zu werden.“
Die Frau Eva stockte und blinzelte ihre Fahrerin irritiert an. Der Motor erstarb, einen Augenblick herrschte Stille. Mit freundlichem Lächeln fragte die Frau Eva: „Ja, werden Sie denn etwa nicht gleich behandelt?“
Dieser Text des langjährigen Kenne deine Rechte Redakteurs Florian Supé erschien ursprünglich im Pappelblatt, Zeitschrift für Literatur, Menschenrechte und Spiritualität, Nr. 3/2014.