
Störung der öffentlichen Ordnung durch bloße Anwesenheit?
Jedermann hat Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens, seiner Wohnung und seines Briefverkehrs.“ (Abs. 1, Art. 8 EMRK). Doch wie kann man von Achtung sprechen, wenn ein Mensch jahrelang in Österreich wohnhaft war, hier eine Familie gegründet, Freundschaften geschlossen, sprich ein Leben aufgebaut hat, nur um dann von einem Tag auf den anderen aus dem Land verwiesen, abgeschoben zu werden? Auf den ersten Blick scheint diese Vorgehensweise aufgrund eines negativen Asylbescheides rechtlich korrekt zu sein. Ruft man sich Artikel 8 EMRK ins Gedächtnis, muss man die Rechtmäßigkeit allerdings hinterfragen. Um in diesen Fällen Menschenrechtsverstöße zu vermeiden, gibt es das sogenannte „humanitäre Bleiberecht“.
Art 8 Europäische Menschenrechtskonvention, EMRK
„ Der Eingriff einer öffentlichen Behörde in die Ausübung dieses Rechts ist nur statthaft, insoweit dieser Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist.“ (Abs 2, Art 8 EMRK)
Der Anspruch auf Achtung des Privat- und Familienlebens darf also dann missachtet werden, wenn es zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ruhe und Ordnung notwendig ist. Wird man zum Beispiel verdächtigt, eine Straftat begangen zu haben, hat die Polizei das Recht deine Wohnung zu durchsuchen. Auch sich illegal in Österreich aufzuhalten wird von der Politik, ebenso wie von einem Großteil der Bevölkerung, als „Störung der öffentlichen Ordnung“ gesehen. Doch man muss sich fragen: „Bringt jemand, dessen Asylverfahren rechtskräftig negativ ausgegangen ist (sprich: Ausreiseverpflichtung!) und der oder die sich weigert, auszureisen (weil gut integriert, d. h. viele „einheimische“ FreundInnen, unbescholten, Aussicht auf Arbeit, gute Deutschkenntnisse usw.) – bringt also so jemand wirklich die „öffentliche Ordnung“ durcheinander oder ist das nicht vielmehr ein Vorwand, um ihn oder sie loszuwerden? – Das ist die eigentlich wichtige Frage“, so Wolf Steinhuber von der Plattform Bleiberecht.
Bleiberecht?
Das humanitäre Bleiberecht bedeutet die „Gewährung eines dauerhaften Aufenthaltsrechts aus menschenrechtlichen oder humanitären oder pragmatischen Gründen für Nicht-ÖsterreicherInnen, die unrechtmäßig oder mit nur prekärem Aufenthaltsrecht in Österreich leben.“(Sebastian Schumacher, nachDas österreichische Bleiberecht, Asylzentrum, Caritas AusländerInnenberatung 2009). Es geht also um Menschen, die illegal nach Österreich gekommen sind und deren Antrag auf Asyl jahrelang nicht bearbeitet wurde. Diese Jahre des Wartens sind aufgrund der fehlenden Möglichkeit legal zu arbeiten und der Ungewissheit über die Entscheidung über den Antrag für die Betroffenen oft so schon sehr schwer. Und als „krönenden Abschluss“ erhalten sie dann die Abweisung ihres Asylantrags, verbunden mit einem Ausweisungsbescheid. Das Leben der Betroffenen würde dadurch komplett zerstört, Familien würden zerrissen werden und sämtliche Integrationsbemühungen wären umsonst. Um diese extremen Folgen abzuwenden, gibt es die Möglichkeit um Bleiberecht anzusuchen, welches den Aufenthalt der Betroffenen in Österreich trotz negativen Asylbescheids legal macht
. Die Bewilligung des Bleiberechts wird an strenge Voraussetzungen geknüpft, insbesondere an das Bestehen eines schützenswerten Familienlebens
. Hinzu kommen noch andere Kriterien, wie zum Beispiel der Grad der Integration (Sprachkenntnisse, FreundInnen…), die strafrechtliche Unbescholtenheit und die Bindung zum Heimatstaat (gibt es dort noch Familie, Arbeit,…?). Und mit all den negativen Folgen, die die Abschiebung für die Betroffenen hat, muss man sich gleichzeitig auch fragen: Sind diese oft gut integrierten, jahrelang hier unbescholten lebenden Menschen wirklich eine „Störung der öffentlichen Ordnung“ in Österreich?
Änderungen ab 2014
Mit 1.1.2014 wurden einige Bestimmung zum Asyl- und Bleiberecht in Österreich wesentlich geändert. Den Asylgerichtshof gibt es nicht mehr, stattdessen wird vom Bundesverwaltungsgericht über Asylanträge entschieden. Vorteil: Eine Beschwerde gegen die Entscheidung beim Verwaltungsgerichtshof ist möglich, der rechtsstaatliche Instanzenzug also gewährleistet. Außerdem wurde das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) geschaffen, welches die bisher zersplitterten Kompetenzen zusammenfasst und damit die Bearbeitung der Anträge erleichtern soll. Ein Kritikpunkt daran ist allerdings, dass derselbe Beamte (oder Beamtin), der (die) über den Asylantrag entschieden hat, in weiterer Folge auch über die Bewilligung des Bleiberechts entscheiden soll und es dieser Person deshalb schwerfallen könnte, den Fall nun plötzlich aus einem anderen Blickwinkel zu betrachten. Weiters könnte diese Neuorganisation wieder zu einem Bearbeitungsstau und damit zu längeren Wartezeiten bei den Betroffenen führen.
Eine weitere Neuerung betrifft die Fremdenpolizei. Diese soll von nun an nur noch für die tatsächliche Ausführung behördlicher Befehls- und Zwangsgewalt (z.B. Ausweisung, Schubhaft…) verantwortlich sein, die Verfahren über deren Bewilligung finden beim BFA statt. Ob der fehlende Bezug der PolizistInnen zu den Betroffenen deren Arbeit (negativ?) beeinflussen wird, bleibt dahingestellt.
Dies wird wohl nicht die letzte Änderung zum Thema Bleiberecht sein. Doch hoffentlich zumindest einmal eine erste Verbesserung der Situation der Betroffenen. Denn mitzubedenken gilt, so Wolf Steinhuber, „Könnte es nicht sein, dass ein(e) AsylwerberIn, dessen oder deren Asylgesuch zwar abschlägig entschieden wurde, nicht dennoch eine Bereicherung für die Gesellschaft wäre? Und wäre es dann nicht ausgesprochen töricht, ihn oder sie des Landes zu verweisen?“