
Ein Tag in der Karlau
Wasser & Brot: Inwieweit entsprechen Gefängnis-Klischees der Wahrheit?
Türen gibt es viele in der drittgrößten Strafvollzugsanstalt Österreichs, besonders einladend sieht keine aus. Die meisten sind vergittert und mit Kameras überwacht, einige aus dickem Metall mit kleinen Futterluken. Mit dem Wissen, in ein paar Stunden wieder im Freien zu stehen, geht es sich leicht durch die Sicherheitsschleusen, etwas Anderes will man sich gar nicht vorstellen.
Hauptmann Christian Fürbaß führt uns in einen Seminarraum im Eingangsgebäude, in dem Direktion und Kantine der Justizwache untergebracht sind. „Gegen den Begriff Gefängniswärter wehren wir uns“, stellt er gleich zu Beginn klar. Überhaupt wird auf korrekte Sprache viel Wert gelegt. Worte wie „Glasscheibenbesuch“, „Maßnahmenvollzug“ und „Sexualkontakte“ erschaffen eine eigentümlich sterile Atmosphäre, zwischen denen Anekdoten mit Schmunzelfaktor deplatziert wirken.
Zwischen Alltag und Unvorstellbarem
„Wir haben hier ca. 570 Insassen, davon sind 520 wegen Bluts- und Vergewaltigungsdelikten hier.“ Die abzusitzende Zeit reicht von drei Jahren bis lebenslänglich.
Wegen zu oft Falschparken kommt man nicht in die Karlau, wer hier sitzt, gehört zu den gefährlichsten Menschen in Österreich
. Aber auch die haben einen Alltag:
Um 6 Uhr früh ist „Tagwache“. Um 7 Uhr gibt es eine Kontrolle, bei der man Wünsche wie Telefonieren oder einen Arztbesuch vermelden kann.
Von 7:30 bis 13 Uhr wird in den hauseigenen Betrieben gearbeitet. Die Insassen bekommen einen geringen Verdienst, von dem sie die Hälfte sofort, die andere Hälfte nach Absitzen der Haftstrafe ausgezahlt bekommen. „Die meisten Häftlinge wollen arbeiten, schließlich bedeutet das einige Stunden weniger in der Zelle“ erklärt Fürbaß. Außerdem hilft ein geregelter Tagesablauf bei der (Re)sozialisierung.
Gangsterrapper und Beamtenwitze
Wie es mit Drogen, Alkohol, Handys etc. aussieht? Eigentlich alles verboten, aber „In der Praxis gibt es alles, was es draußen gibt, auch im Gefängnis“. Trotz strengster Kontrollen gelingt es immer wieder, Dinge einzuschleusen.
Wer aber behauptet, dass es den Insassen eh so gut geht, versteht nicht, was die wirkliche Bestrafung ist. Nicht der Verzicht auf Annehmlichkeiten, nicht einmal die völlige Fremdbestimmung des Lebens, sondern das Zusammenleben mit anderen Häftlingen wird von den meisten Häftlingen als Hauptbelastung empfunden. Niemand ist gern von Schwerverbrechern umgeben, auch wenn man selber einer ist. Diese feindselige soziale Umgebung und der Zwang, sich damit zu arrangieren, sei die eigentliche Strafe, so Fürbaß.
Am Nachmittag sind den Insassen Freizeitaktivitäten wie Sport oder Musikmachen erlaubt, was mitunter seltsame Blüten treibt: „Vor kurzem hat sich eine Gangsterrapper Gruppe formiert“, erzählt Fürbaß. Sicher eine der authentischsten des Genres.
Ironie beweist auch die von Häftlingen produzierte Zeitschrift „Der Insider“, die sich mit Themen wie „Tätowieren im Gefängnis“ oder neuesten Haftrichtlinien befasst. Einbrecher-Comics und eine Seite mit (Justizwache-)Beamtenwitzen inklusive.
Im Film Noir
Nach der Fragestunde verlassen wir den Bereich der Justizwache und finden uns in einer Welt wieder, die dann doch mehr Klischees bietet als erwartet. Zwar tragen die wenigen Insassen, die wir sehen, weder gestreifte Jacken noch orangene Overalls, sondern Freizeitkleidung, aber das war es auch schon mit der Normalität. Betonmauern, Kameras und Asphalt dominieren den Außenbereich, in den hohen Gängen des Hauptgebäudes blättert Farbe von den Rohrleitungen.
Beim Gang durch den Hochsicherheitstrakt kommen Erinnerungen an amerikanische Gefängnisfilme hoch. Glasbausteine werfen milchiges Licht zwischen die Mauern, der Trakt wirkt mächtig und einschüchternd, die dicken Zellentüren dazwischen klein und undurchdringlich.
Nach dem Gefängnisbesuch erscheint die sonnige Grazer Innenstadt wie ein Ort der unbegrenzten Möglichkeiten
. Ich kann mich auf eine Bank setzen, solange ich möchte, oder nach Hause fahren. Ich kann aber auch rennen, ohne Ziel, in irgendeine Richtung, bis mir der Atem ausgeht. Auch wenn es vielen nicht mehr auffällt: Freiheit ist kostbar.
Herzlichen Dank an Herrn Major Bernhard Rathmanner für gute Zusammenarbeit, Hauptmann Christian Fürbaß für das interessante Gespräch und Herrn Kontrollinspektor Klein für die Führung.