
Für diesen Tag haben sie hart gekämpft
Dieser 23. Oktober war ein entscheidender Tag für die Zukunft Tunesiens. Vor den Wahllokalen bildeten sich lange Warteschlangen, die Stimmung war großartig. Viele Menschen wählten zum ersten Mal in ihrem Leben. Einige TunesierInnen nahmen sogar ihre Kinder mit zum Wahlgang, damit diese diesen einzigartigen Tag miterleben konnten. Wahlbeteiligung: 90%. Kaum jemand nahm sein schwer erkämpftes Recht zu wählen nicht wahr.
Ein langer, harter Weg zur Demokratie
Seit seiner Unabhängigkeit von Frankreich 1956 war Tunesien stets in der Hand von Diktatoren. Die letzten 23 Jahre regierte Zine el-Abidine Ben Ali, der keine politische Opposition zuließ, die Pressefreiheit massiv einschränkte und einen Polizeistaat errichtete, in dem Überwachung und Folter zur Tagesordnung gehörten. Doch nach Bouazizis Verzweiflungstat sollte dies bald sein Ende finden. In nur einem Monat erhob sich das ganze Land gegen den Diktator und vertrieb ihn ins Exil. Die TunesierInnen mussten hart kämpfen für ihre persönliche Freiheit und ihr Recht auf Demokratie. Diese Wahlen sind der erste Beweis für ihren Erfolg.
Die Islamisten gewinnen haushoch
Das Wahlergebnis ist eindeutig: 90 der 217 Sitze im Parlament gehen an die islamistische Partei Ennahda, die unter Ben Ali strengstens verboten war und deren Führer sich deswegen bis zur Revolution im Exil in London aufhalten musste. Der zweite Platz geht an die Partei „Kongress für die Republik“ und Dritte wird die sozialdemokratische Partei „Ettakatol“.
Die Meinungen über den Wahlsieg der Islamisten sind geteilt. Einige befürchten, die Partei könne einen zu streng islamistischen Weg einschlagen. Andere sehen sie nur als demokratische Verteidigung der islamischen Traditionen. Der Führer von Ennahda, Rachid Ghannouchi, sagt in einem Interview mit der „Presse“:“Mein Traum ist es, Tunesien in ein Modell zu verwandeln, in dem Islam und Modernität zusammenspielen.“ Er betont, dass seine Partei die Grundsätze der Demokratie respektiert, islamische Werte aber eine Rolle in der Politik spielen sollen
. Außerdem sei er gegen den Extremismus und seine Partei nur eine „moderate islamische Bewegung“. Die Regierungspartei der Türkei diene ihnen als Vorbild.
Eine ungewisse Zukunft
Wie es wirklich weitergeht mit Tunesien, wird sich erst in den nächsten Wochen und Monaten zeigen. Es gilt für die Regierungsparteien viele schwierige Probleme zu lösen, zum Beispiel die Reduzierung der hohen Arbeitslosigkeit und die großen Entwicklungsunterschiede zwischen den Provinzen zu verringern. Zudem wird sich zeigen, ob Demokratie und Islam in Tunesien wirklich vereinbar sind. Doch von dem starken Willen der TunesierInnen zur Demokratie könnten sich einige westliche Länder, in denen die Wahlbeteiligung von Jahr zu Jahr sinkt und Politikverdrossenheit zur Volkskrankheit Nummer eins geworden ist, eine Scheibe abschneiden. Man kann sich nur wünschen, dass Tunesien den anderen arabischen Ländern als gutes Vorbild vorausgehen wird und die Menschen dort endlich die faire und ehrliche Demokratie bekommen, für die sie so hart gekämpft haben
.
Weiterführende Links:
FAZ.net: Deutlicher Sieg für Islamisten
news@ORF.at: Beteiligung bei den Tunesien-Wahlen bei über 90%
NZZ Online: Islamisten sind klare Gewinner der Wahlen in Tunesien