Kenne deine Rechte

Guantanamo in Graz


Vom 30. Mai bis zum 2. Juni fand an der Universität Graz die zweite internationale Konferenz zum Themenkomplex ‚Lager‘ statt. Nach einer erfolgreichen ersten Ausgabe im Jahr 2022 fanden sich wieder Gäste aus verschiedenen Ländern in Graz ein, um darüber zu diskutieren, auf welche verschiedenen Weisen ‚Lager‘ historisch, aber auch in der Gegenwart von politischen Akteur:innen für verschiedene Funktionen eingesetzt wurden und werden. Die Frage von nationalsozialistischen Konzentrations- bzw. Vernichtungslagern wurde bewusst ausgeklammert, damit dieser Aspekt das Thema nicht überfrachtet: Das KZ könnte nicht als ein Typ von Lager neben anderen behandelt werden, sondern müsste in seiner Singularität einen ganz eigenen Raum als Diskussionsgegenstand einnehmen. Stattdessen lag der Fokus auf Lagern, die zur Internierung von Flüchtlingen, Zivilist:innen feindlicher Nationen in Zeiten des Krieges oder von Verdächtigen, die nicht im regulären juristischen Verfahren verfolgt werden, dienen.

Letzterer Typ war von besonders zentraler Bedeutung für die Konferenz, da vier ehemalige Insassen des amerikanischen Internierungslagers in Guantanamo zur Konferenz eingeladen waren, wobei einem, Abdellatif Nasser aus Marokko, die Ausreise in letzter Minute aus nebulösen Gründen verweigert wurde. Alle vier wurden weder verurteilt noch angeklagt, mussten aber teilweise Jahre der Gefangenschaft in Guantanamo verbringen, wo sie Opfer von systematischer Folter und Misshandlung wurden. Mansoor Adayfi, Moazzam Begg und Mohamedou Ould Slahi-Houbeini konnten den Konferenzteilnehmer:innen persönlich ihre Erfahrungen schildern und verknüpften dies mit dem Plädoyer, das Lager in Guantanamo endlich zu schließen und alle verbleibenden Gefangenen freizulassen. Doch selbst nach der Freilassung endeten für viele Insassen die juristischen Schikanen nicht. Viele Herkunftsländer weigerten sich, ehemalige Gefangene zurückzunehmen und hielten Reisepässe der Betroffenen zurück. Auch Drittstaaten verhinderten die Ein- oder auch nur Durchreise. Jahre nach der Entlassung befinden sich so viele ehemalige Insassen in einer juristischen Grauzone und das obwohl die Vereinigten Staaten nie einen Beweis für die Schuld dieser Männer erbracht haben.

Grauzone in der Karibik

Diese vertrackte Situation hat auch mit dem ambivalenten legalen Status Guantanamos zu tun. Die Militärbasis, in der das Gefangenenlager für Terrorismusverdächtige eingerichtet wurde, befindet sich auf der Insel Kuba. Infolge des Spanisch-Amerikanischen Kriegs 1898 erlangte Kuba nominell die Unabhängigkeit, wurde aber zu einem Satellitenstaat der USA. Dieser Status wurde durch das sogenannte Platt-Amendment juristisch legitimiert, auch wenn die Zustimmung Kubas nur durch massiven Druck seitens der USA erreicht werden konnte. Das Platt-Amendment ermöglichte den USA, ein Stück Land in Guantanamo Bay auf unbefristete Zeit zu pachten. Infolgedessen wurde dort ein Marinestützpunkt errichtet. Schon in den 1990er Jahren diente die Basis parallel als Lager, nur dass es sich bei den Internierten nicht um Terrorverdächtige handelte, sondern um kubanische Flüchtlinge. Erst in Folge der Terroranschläge vom 11. September 2001 erhielt Guantanamo die Funktion und Bedeutung, für die es heute steht.

Die Attraktivität – aus amerikanischer Sicht – in der Verwendung der Militärbasis als Internierungslager besteht auch darin, dass sich diese nominell nicht auf amerikanischem Territorium befindet und somit argumentiert werden kann, dass dort die amerikanische Rechtsordnung nicht in derselben Weise Geltung hat wie auf heimischem Boden. Dieser Umstand wurde dazu benützt, an der amerikanischen Verfassung vorbei Menschen auf Verdacht hin zu internieren, ohne ihnen jene Rechte zuzugestehen, nach denen sie als Gefangene in den USA behandelt worden wären. In dem juristischen Niemandsland Guantanamo kam es so zu massiven Menschenrechtsverletzungen und zu einer Travestie des liberalen Verfahrensprozedere. Menschen wie Mansoor Adayfi, Moazzam Begg und Mohamedou Ould Slahi-Houbeini müssen bis heute mit den Folgen dieses Unrechts kämpfen.

Das Recht, Rechte zu haben

Das Beispiel Guantanamo beweist, wie wichtig es ist, dass die juristische Zuständigkeit und die Reichweite nationalstaatlicher Kontrolle klar geregelt sind, sodass sich Menschen nie außerhalb des Rechts in einer Situation wiederfinden, in der sie staatlicher Macht und Gewalt ohne jeglichen Rekurs ausgeliefert sind. Schon Hannah Arendt hat in diesem Zusammenhang über die Wichtigkeit der Staatsbürgerschaft und des Rechts, Rechte zu haben, geschrieben. Gleichzeitig ist die Bedeutung der Menschenrechte zu betonen, da sie – zumindest dem Anspruch nach – garantieren, dass sich kein Mensch je in einem völlig rechtsfreien Raum befindet, auch dort, wo die nationalstaatliche Zuständigkeit nicht geklärt ist, und auch in Fällen, wo Menschen staatenlos geworden sind. Guantanamo zeigt, dass auch liberale Demokratien, wie die USA eine ist, vermeintliche Schlupflöcher nutzen, um jenseits des Rechts und der Verfassung zu operieren, wenn es den nationalstaatlichen Interessen zu dienen verspricht. Dagegen sind einerseits die Menschenrechte im Rahmen des Völkerrechts sowie auf einzelstaatlicher Eben zu stärken, aber anderseits ist auch Klarheit zu schaffen, was die rechtliche Zuständigkeit, aber auch politische Verantwortung in Bezug auf alle Territorien betrifft. Das ist gerade heute vor allem im Kontext von Flüchtlingslagern relevant, die von Staaten außerhalb ihres Territoriums in Drittstaaten errichtet werden. Keinesfalls darf dies ein Freibrief für Menschenrechtsverletzungen und staatliche Willkür sein.


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