
Zwischen Isolation und Radikalisierung: Warum Kinderrechte heute wichtiger denn je sind
Zwischen dem 18. und dem 24. November 2024 findet in der Steiermark die Kinderrechtewoche statt. Kinderrechte und der Schutz junger Menschen sind essenziell, um ihnen ein sicheres Leben und eine positive Zukunftsperspektive zu bieten – und damit der Gefahr der Radikalisierung zu entkommen.
Leila* ist 14 Jahre alt. Sie sitzt alleine im Klassenzimmer, obwohl alle ihre Kolleg:innen auch da sind: nur reden sie nicht mit ihr. Wenn sie sich mit dem Mädchen auseinandersetzen, dann nicht um ein normales Gespräch zu führen, sondern um über sie herzuziehen oder sie zu mobben. Deutsch kann sie gut, jedoch bereitet ihr die Sprache noch Schwierigkeiten. Das ist für ihre Klassenkamerad:innen Grund genug, um sie auszugrenzen.
Leila kam 2010 in Montenegro auf die Welt und wuchs muslimisch auf. Als sie acht Jahre alt war und bereits das erste Jahr in der Volksschule absolviert hatte, zogen Leila und ihre Mutter nach Graz, wo das Mädchen es aber nie schaffte, Freund:innen zu finden. Wenn sie nicht in der Schule war, dann verbrachte sie ihre Freizeit am Handy. Doch auf ihrem Handy drehte sie nicht lustige Videos mit amüsanten TikTok-Filtern, wie man es vielleicht von 14-Jährigen erwarten würde. Stattdessen fand Leila eine besorgniserregende Freizeitaktivität: Das Mädchen chattete mit dschihadistischen Extremisten und redete mit ihnen über ihre Fantasien, sogenannte „Ungläubige“ zu töten.
Leila und ihr Handy gegen die Welt
Leila ist nur eine der vielen jungen Personen, die in Österreich radikalisiert wurden. Insbesondere rechtsextreme und dschihadistische Gruppen sind in den vorherigen Jahren dafür bekannt geworden, dass sie Kinder über soziale Medien und Messaging-Plattformen radikalisieren. Die Jugendlichen, die von solchen Inhalten erreicht werden sind allzu oft diejenigen, die am meisten Unterstützung von ihrem Umfeld brauchen.
Jugendliche, die sich sozial isoliert oder diskriminiert fühlen, suchen oft nach Anerkennung in extremistischen Gruppen. Erfahrungen mit häuslicher Gewalt, Missbrauch oder traumatische Erlebnisse wie Krieg oder Flucht erhöhen auch die Anfälligkeit für Radikalisierung. Opfer von Mobbing fühlen sich häufig ausgegrenzt und suchen verzweifelt nach Unterstützung und Zugehörigkeit. Und dies kann dazu führen, dass sich Betroffene online ein gefährliches Umfeld suchen, welches vollkommen abgetrennt von ihrem Alltag existiert.
Plattformen wie TikTok, Instagram oder YouTube werden von extremistischen Gruppen oft gezielt genutzt, um radikale Inhalte zu verbreiten: Diese setzen dabei auf kurze, ansprechende Videos, Memes und Hashtags, um die Aufmerksamkeit junger Menschen zu gewinnen. Durch personalisierte For-You- oder Explore-Pages, die Nutzer:innen immer tiefer in ein Rabbithole stürzen, werden Jugendliche kontinuierlich mit Themen konfrontiert, die ihre Vorurteile und Ängste gegenüber der Gesellschaft verstärken. Verschlüsselte Messaging-Apps wie Telegram oder WhatsApp, mittels denen Extremisten gezielt Kontakt zu Jugendlichen herstellen können, sind auch keine selten benutzten Werkzeuge der Radikalisierung. In geschlossenen Gruppen wird dann den Jugendlichen einen Raum geboten, in dem sie sich austauschen und ihre radikale Ideologien ohne äußere Einflüsse verstärken können. Auch Gaming-Communities und Discord-Server werden zunehmend von Extremisten genutzt, um junge Menschen zu rekrutieren. Über die Anonymität solcher Plattformen fällt es leichter, Beziehungen aufzubauen und Vertrauen zu gewinnen, bevor radikale Inhalte subtil eingeführt werden.
Extremisten nutzen emotionale Appelle und propagandistische Narrative, die auf den individuellen Erfahrungen und Gefühlen der Jugendlichen aufbauen. Dazu gehören Verschwörungstheorien, die die Gesellschaft als feindlich darstellen, oder Ideologien, die versprechen, Teil eines bedeutenden „Kampfes“ zu sein.
Kinderrechte, Schutz, Sicherheit –
Wie Kinder der Radikalisierung entkommen können
Es ist selbstverständlich, dass die Radikalisierung von Jugendlichen eine allzu echte Gefahr für die Gesellschaft darstellt. Wäre Leila dabei erfolgreich gewesen, ihre Fantasien zu verwirklichen und “Ungläubige” zu ermorden, hätte das zum Tod mehrerer Personen führen können. Sie ist auch nicht die Einzige, die wegen Radikalisierung das Leben Anderer gefährden hätte können. Glücklicherweise wurde dies verhindert: Eine der Personen, mit denen Leila oft online chattete, wurde in Deutschland verhaftet. Mittels einer intensiven Zusammenarbeit der deutschen und österreichischen Behörden wurde Leila auch wegen Terrorverdachts verhaftet.
Leila wurde zu zwei Jahren in Haft verurteilt. Sie wird langfristig auch von einem Therapeuten und einem De-Radikalisierungsexperten betreut, so dass sie später wieder Teil der Gesellschaft werden kann. Doch eine Frage bleibt: Wie hätte man das verhindern können? Das lässt sich in Retrospektive unmöglich sagen.
Eines ist aber sicher: Die wichtige Rolle von Kinderrechten kann nicht bestritten werden. Daher ist es wichtig, daran zu denken, dass alle Kinder es verdienen, beschützt zu sein und in Sicherheit aufzuwachsen. Denn die Kinder, die wir heute schützen, sind die Erwachsenen, die morgen die Zukunft beeinflussen werden.
Um Kinderrechte weiter hochzuhalten und zu verstärken, findet zwischen dem 18. und dem 24. November 2024 die Steirische KinderrechteWoche statt. Kinder, Jugendliche und Erwachsene machen jedes Jahr in der Woche um den Internationalen Tag der Kinderrechte, der am 20. November stattfindet, auf vielfältige Weise Kinderrechte hörbar, sichtbar und begreifbar für alle. Diese Rechte konzentrieren sich auf Schutz, Förderung und Partizipation von Jugendlichen in der Gesellschaft: Die Förderung dieser Rechte schafft eine wichtige Basis, die jedoch oft unterschätzt wird. Denn Geschichten wie Leilas gibt es nicht wenige: Die Zahl der Fälle von radikalisierten Jugendlichen in Österreich hat in den letzten Jahren laut mehreren Studien stark zugenommen.
Die Förderung von Kinderrechten hat das Potenzial, die Radikalisierung von jungen Personen zu verhindern, indem sie anfälligen Jugendlichen Perspektiven, Sicherheit und Unterstützung bietet. Es sind insbesondere diejenigen Kinder, die sich in prekären Situationen befinden, ausgegrenzt oder gemobbt werden, die zum falschen Trost der Radikalisierung neigen können, denn Radikalisierung entsteht oft aus einem Gefühl der Ausgrenzung, Perspektivlosigkeit oder Diskriminierung. Daher sind Kinderrechte und der Schutz junger Menschen essenziell, um ihnen ein sicheres Leben und eine positive Zukunftsperspektive zu bieten – und damit der Radikalisierung entgegenzuwirken.
* Der Name des Mädchens wurde wegen Datenschutz geändert. Dieser Artikel basiert zum Teil auf Informationen, die in der Folge „TikTok Terror: Wie eine 14-Jährige zur IS-Anhängerin wurde“ des Podcasts Inside Austria vermittelt wurden. Der Name, der dem Mädchen zugeschrieben wurde, stammt ebenfalls von dieser Quelle.