Kenne deine Rechte

Gleiche Rechte für alle – wirklich alle?


„Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren.“ [1] Aber sieht das in der Praxis genauso aus? In einem Interview mit Kenne deine Rechte berichtet eine Lehramtsstudentin, die die Spezialisierung Inklusive Pädagogik als Drittfach studiert, über ihr Studium und die Lage der Inklusion in Österreich.

Wie bist du dazu gekommen, Inklusionspädagogik zu studieren?

Hauptsächlich habe ich angefangen, weil ich in einem meiner Fächer, Geschichte, schon fertig war. Das habe ich in sechs Semestern abgeschlossen. Ich wollte etwas mit der Zeit machen, während ich mein Erstfach noch abschließe, deswegen habe ich mit Inklusionspädagogik angefangen. Ein anderer Beweggrund war meine eigene Neurodiversität – meine eigenen Lehrer*innen sind schlecht damit umgegangen und ich möchte es selbst als Lehrkraft besser machen. Generell wollte ich mehr über Neurodiversität lernen, über mich selbst, und wie man als Lehrperson richtig damit umgeht. Das war meine Hauptmotivation.

Was ist für dich Bildungsgerechtigkeit?

Also die Theorie von Inklusion ist das Ideal, aber das gibt es eben nicht, weil alle inklusiven Schulen keine Inklusionsschulen sind, sondern wenn überhaupt Integrationsschulen, was früher die Sonderschulen waren. Meistens gibt es eine Klasse von Kindern mit SPF (Sonderpädagogischer Förderbedarf) oder SEF (Schüler*innen mit erhöhtem Förderbedarf), oder die Kinder werden separiert. In meinem Praktikum war genau das der Fall – es gab eine Klasse mit SEF- und SPF-Kindern, also Inklusion war nur in einer Klasse. Südtirol wäre aber das beste Beispiel – die haben eigentlich die Inklusion geschafft, zumindest in der Volksschule funktioniert es. In Österreich hat man aber das Gefühl, wenn man eine Beeinträchtigung hat, hat man keine Chancen – den Lehrplan gibt es nämlich nur für die Unterstufe, also die Oberstufe ist mit SPF gar nicht machbar. Entweder schafft man es quasi raus oder man macht eine Lehre – das ist für mich keine Gerechtigkeit, weil es keinen Lehrplan für die Oberstufe gibt. Also Bildungsgerechtigkeit wäre für mich, dass jede*r die Möglichkeit hat, die Matura zu machen.

Kannst du noch ein bisschen erklären, wie es mit der Bildungsgerechtigkeit in Südtirol aussieht?

Also in der Volksschule, vielleicht auch in der Unterstufe, werden alle Kinder gemeinsam beschult, in jeder Schule. Wenn man in der Nähe wohnt, geht man eben in diese Schule. Kinder mit Downsyndrom können zum Beispiel in eine Regelschulklasse gehen, hin und wieder werden sie aus dem Unterricht herausgenommen, um lebensweltbezogene Sachen zu lernen, wie einkaufen oder kochen. Das ist aber sinnvoll – in Österreich werden die Kinder eher willkürlich aus dem Unterricht herausgenommen.

Also würdest du sagen, dass die Inklusion in Österreich eher wenig fortgeschritten ist?

Das Problem ist eher, dass viele Eltern ihre Kinder nicht in Inklusionsschulen schicken wollen – das ist aber verständlich, weil viele Schulen nicht die passenden Ressourcen haben oder viele Barrieren. Die Regierung hat zwar ein Projekt gestartet, wo Schulen Inklusionsklassen bekommen, aber sie sind teilweise nicht gut genug ausgestattet – also die Inklusion ist nicht weit fortgeschritten, weil die finanziellen Ressourcen nicht da sind.

Kommen wir zu einem weiteren Menschenrecht – hochwertiger Bildung. Wie sieht es in Bezug auf das IP-Studium aus?

Das ist schwierig zu sagen – das Studium ist sehr allgemein, nur im letzten Semester hat man eine Spezialisierung. Das Studium macht einen aber sehr sensibel und man weiß danach, wo man Informationen bekommen und wo man recherchieren kann. Ich bin ein wenig zwiegespalten – einerseits ist es zu wenig Spezialisierung, aber man bekommt einen guten Überblick von allem.

Was fehlt dir im Studium?

Die Tiefe. Ich finde es aber gut, dass man viel Praxis hat. Also man hat die Schulpraxis wie in anderen Fächern, aber man hat viel mehr Freiraum. Wir können alles ausprobieren und machen was wir wollen, und man hat viel mehr Stunden, die man machen kann. Dann hat man noch ein Praktikum, ich hatte das in der Individuellen Studienunterstützung der Uni, und ein Praktikum in der Vertiefung.

Was müsste in Österreich getan werden, damit für alle Bildungsgerechtigkeit gegeben ist?

Es bräuchte mehr Gelder, damit jede Schule Ressourcen hat. Jedes Kind sollte an jede Schule kommen können, egal was deren Beeinträchtigung ist. Aktuell fehlen dafür aber die Gelder. Die Idealvorstellung wäre generell, dass es nur sehr kleine Klassen gibt von sechs Kindern pro Klasse. Insgesamt ist die Inklusion ja für alle da – also von sehr kleinen Klassen würden auch Kinder ohne SPF oder SEF profitieren. Aber der Lehrer*innenmangel ist eben problematisch.

Was kann man als Einzelne*r tun, um die Bildungsgerechtigkeit zu unterstützen?

Also ich kann das Studium empfehlen [2], weil es die Augen sehr öffnet. Andererseits gibt es viele Leute, die zum Beispiel sagen „das arme Kind“ oder „das muss so schlimm sein“ – aber für das Kind ist das ganz normal, weil sie keinen anderen Zustand kennen. Man sollte also dieses Denken wegbekommen, dass eine Beeinträchtigung etwas Negatives ist. Wichtig ist es auch, Fragen zu stellen, zum Beispiel bei einer blinden Person, ob man ihr Nachrichten schreiben kann. Dann sagt es die Person einem – man kann zum Beispiel auch am Handy mit Braille schreiben, aber man sollte nachfragen, weil manche das vielleicht nicht mögen. Oder in einer Situation, wo eine Person mit einem Blindenstock geht, sollte man die Person nicht einfach am Arm packen und ihr „helfen“ – das ist vielleicht nett gemeint, aber man sollte niemanden einfach ungefragt angreifen.


Quellen

[1] Allgemeine Erklärung der Menschenrechte

[2] Uni Wien Spezialisierung Inklusive Pädagogik bzw. Uni Graz Spezialisierung Inklusive Pädagogik mit Fokus Behinderung


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