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Geschlechterrollen – ein Kampf gegen alle?


Der Feminismus leidet – und ich leide mit ihm. Viel zu viele Menschen, jeglichen Geschlechts und aus allen Bereichen der Gesellschaft, leiden mit ihm. Jetzt meint man schon, mit dem Begriff Feminismus „aufpassen“ zu müssen und sich lieber davon zu „distanzieren“. Warum das alles? Weil viele Menschen sich nicht die Mühe machen, ernsthaft über die Bedeutung von Feminismus nachzudenken, sondern sich lieber in vermeintlich natürliche Muster eingliedern. Somit kann genau das, was seit Jahrhunderten zur Unterdrückung der Frau führt, weiterhin unsere Welt bestimmen: Geschlechterrollenbilder.

Nach wie vor bleibt es bei einem Privileg der Männer in der Gesellschaft. Neu ist jedoch, dass es inzwischen unter allen Geschlechtern Menschen gibt, die meinen, unter derartiger Geschlechterunterscheidung durch Rollenbilder zu leiden. Genauso wie auch alle Menschen dazu beitragen, dasselbe gesellschaftliche Rollensystem zu erhalten, wenn sie sich der stereotypen Geschlechtervorstellungen bedienen, wie etwa angefangen von „Ach, immer diese Männer, die verstehen ja gar nichts von tiefen Gefühlen und Gedanken wie wir Frauen sie haben“, „Alle Männer haben immer nur das eine im Sinn; und keiner kann sich kontrollieren“, „Wir Mütter wissen, was unsere Kinder brauchen – ohne uns läuft Zuhause nichts“ bis hin zu „Ich habe Kinder zur Welt gebracht. Ich bin eine Frau. Frauen stehen für Fürsorge. Wären nur Frauen an der Macht, wäre die Welt viel sanfter und einfühlsamer“. All diese Behauptungen gepaart mit etwas RTL II und Werbetechniken helfen beim Nachvollziehen der Kritik an vermeintlichem Feminismus.

Nichtsdestotrotz ist Feminismus – richtig verstanden – wichtiger denn je, wenn man sich die männliche Dominanz in den verschiedensten Bereichen genauer ansieht. Diese reichen noch weit über die Gender-Pay-Gap hinaus: So dominieren Männer weiterhin Belästigungsvorfälle, respektlose Kommentare gegenüber anderen Geschlechtern sowie Vergewaltigungen und Morde an Frauen. Was gäbe es Schöneres als einen nächtlichen Spaziergang in unbekannten Gegenden? Doch gerade als Frau wird einem zurecht davon abgeraten. Wie unkompliziert wäre es, nachts einfach allein von Clubs etc. nach Hause gehen zu können, ohne sich unerwünschte Begleiter und Kommentare einzufangen? Wie kann es sein, dass obdachlose Frauen kaum eine Chance haben, sexueller Gewalt zu entkommen? Genau hier muss der Feminismus einsetzen: Er soll Antworten auf diese Fragen finden, ein Bewusstsein schaffen und Handlungswege vorschlagen.

Geschlechterrollen in der Berufswelt

Ein wichtiger Bereich, der nach wirksamem Feminismus schreit, ist die Berufswelt. Politik, Wirtschaft, Wissenschaft, Sport, Musik – noch immer sind Domänen wie diese klar von Männern dominiert, vor allem die höheren Positionen. Weiterhin scheinen Berufe nach einer Geschlechterordnung besetzt zu werden. So gibt es zum Beispiel viele weibliche Pädagoginnen und viele männliche Techniker. Selbst Bereiche, die nicht im Geringsten mit Unterschieden im Körperbau etc. zu tun haben, was evtl. die Benachteiligung einer Frau als Bauarbeiterin o.Ä. rechtfertigen könnte, sind davon betroffen. So bestehen etwa die meisten namhaften Bands überwiegend aus Männern und haben eventuell eine weibliche Sängerin. Obwohl ungefähr gleich viele Frauen und Männer ein Instrument spielen, gibt es viel mehr männliche Berufsmusiker. Als ich beispielsweise dabei war, meine eigene Band zu gründen, fand ich fast nur Ausschreibungen, Antworten und Bands von Männern. Eine andere Person wollte eine Statistik über Grazer Musiker:innen erstellen, fand aber nicht genügend Vertreter:innen für eine alle Geschlechter abbildende, weshalb er sich auf die männlichen beschränken musste.

Vor allem in Leitungspositionen werden Frauen systematisch unter dem Vorwand einer möglichen, zukünftigen Schwangerschaft benachteiligt. Doch warum ist es denn immer noch so, dass Frauen häufiger bzw. länger in Karenz gehen als Männer? Im Durchschnitt verdienen Männer mehr als Frauen; das Karenzgeldsystem begünstigt das zu Hause bleiben der Frau beim Kind – und die Erwartungen der Gesellschaft vom Rollenbild der Frau. Mütter, die bald nach der Schwangerschaft wieder arbeiten gehen, werden häufig als schlechte Mütter verurteilt; was jedoch von einem Vater niemand behaupten würde. Traditionell sind wir es gewohnt, dass es die Mutter ist, die am längsten in Karenz geht. Das führt dazu, dass sich noch heute Frauen aufgrund von Erwartungshaltungen und Gewohnheit tatsächlich so „entscheiden“. Dadurch ist in weiterer Folge das Karenzsystem immer noch nicht ausgeglichen und die Arbeitswelt behauptet munter weiter, Frauen in Leitungspositionen seien aufgrund des hohen Ausfallsrisikos im Falle eines Kindes ein zu hohes Risiko für Firmen. Dabei lassen sich derzeit laut Statistiken²³ die meisten mittelfristigen Arbeitsausfälle auf Nervenerkrankungen und psychosomatische und psychische Probleme, wie Depressionen, Angststörungen und Burnout, zurückführen. Diese können genauso „unerwartet“ ausbrechen wie eine Schwangerschaft eintreten kann und sind im Gesamten geschlechtsunabhängig. Auch die Wahrscheinlichkeit einer mittelfristigen Berufsunfähigkeit hält sich bei Frauen und Männern etwa die Waage, wobei laut einer Statistik des Gesamtverbands der Deutschen Versicherungswirtschaft Männer ein in jeder Altersstufe gleichbleibend höheres Risiko von 1% im Vergleich zu Frauen haben².

Ursprung der Rollenbilder

Doch warum sind Frauen immer noch nicht gleichgestellt? Bestimmt ist die Evolution schuld. Die menschliche Natur kann ja gar nicht anders. Mann und Frau sind doch füreinander geschaffen und haben völlig unterschiedliche Aufgaben im Leben. Die Frau ist für die Kinder verantwortlich; sie macht sich auf die Suche nach dem einzigen, besten und stärksten Mann; mehr braucht sie nicht für ein gelungenes Leben. Der Mann hingegen möchte sein Erbgut möglichst weit verteilen, weshalb die schöne Natur ihm den Trieb nach möglichst vielen Frauen gegeben haben soll. „Ich kämpfe gegen meine Biologie. Wie soll ich mich denn als Mann mit einer stabilen, geschlossenen Beziehung zufriedengeben können?“ und auf der anderen Seite „Männer bekommen zu wenig intime Gespräche. Was bei Frauen als normal gilt, zählt bei uns als Schwäche. Worum man sich bei Frauen kümmert, wird bei Männern nicht beachtet“, „Ich möchte als Vater auch eine so enge Bindung zu meinem Kind haben. Durch Gesten wie etwa Wickeltische in Damen-WCs wird da aber sogar entgegengewirkt“, viele derartige Aussagen bekam ich in Gesprächen mit diversen Menschen zu hören. Wie absurd, dass in einer vermeintlich aufgeklärten, demokratischen und freien Gesellschaft noch solche Eindrücke und Rollenbilder vermittelt werden, beispielsweise in Werbungen, den Medien und sogar Bildungseinrichtungen wie Schulen.

Dabei ist das doch ein fataler Trugschluss. Kein:e ernstzunehmende:r Wissenschaftler:in, Philosoph:in, Psycholog:in etc. würde dieser missverstandenen Interpretation der Natur des Menschen zustimmen. Genau das, was seit Jahrhunderten als Vorwand für die Unterdrückung der Frau verwendet wird, formt nun die Rollenbilder und Ideale, die uns so zu schaffen machen: die Auffassung des Menschen als ein von Instinkten getriebenes Wesen und die daraus vermeintlich resultierende „sanfte Frau“ und der „starke Mann“. Doch Gesetze der Natur verlieren angesichts der Entstehung von Zivilisation und Kultur an Bedeutung: Steinzeitliche Urtriebe sind inzwischen nur noch eine Komponente von vielen, der Mensch hat neue Bedürfnisse sowie ein Bewusstsein und hohe Intelligenz entwickelt und kann vorausschauend Entscheidungen treffen.

Entscheidungsfähigkeit, Werte, Bedürfnisse nach tiefen Beziehungen, stabiler zwischenmenschlicher Bindung sowie Individualität und Fähigkeiten abseits körperlicher Veranlagung gewinnen für alle immer mehr an Bedeutung. Die Unterschiede zwischen einzelnen Individuen eines Geschlechts werden größer als die Unterschiede zwischen Geschlechtergruppen sind.

Die hohen Vergewaltigungs- und Femizidzahlen durch Männer sind da kein Gegenbeispiel. Vergewaltigung dient in den seltensten Fällen nur zur Befriedigung seiner Triebe oder sexueller Unzufriedenheit. Es ist eine Demonstration, eine Ausübung von Macht. Eine Macht, die diese Männer sich aufgrund unserer steinzeitlichen Rollenbilder anmaßen.

Warum sonst sinken Vergewaltigungs- und Femizidzahlen, je liberaler eine Gesellschaft ist? Warum sonst kommt es zu weniger Diskriminierung, je mehr Menschen sich darüber Gedanken machen? Warum sonst findet man in populären Modelshows mehr „geschlechtertypisches“ Verhalten als in zeitgenössischen Kunstmuseen?

Fazit

Diskriminierung beginnt bei jeder Rollenzuschreibung und Vorverurteilung. Wir müssen aus den Rollen ausbrechen, bis niemand mehr Zweifel daran hat, in Persönlichkeit, Verhalten und Vorlieben alles sein zu können. Bis wir nicht mehr in Geschlechterschubladen gesteckt werden, sondern man uns einfach als Mensch wahrnimmt. Bis wir uns gegenseitig, auch als an sich unterschiedliche Individuen, dieselben Chancen und bedingungslose Wertschätzung geben. Denn die größten Gegner:innen des Feminismus sind nicht „die Männer“ als individuelle Menschen, es ist das Patriarchat. Das Patriarchat ist ein System; ein System, das zur systematischen Benachteiligung von Frauen führt. Ein System, das vor Jahrhunderten im ärgsten Geschlechterrollendenken entstand und bis heute besteht (und durchaus auch heute leider von manchen Männern ausgenutzt wird), indem Rollenbilder erlernt, angenommen und gelebt werden. Jede:r von uns kann dieses System stützen. Genauso kann sich jede:r, völlig unabhängig vom Geschlecht, für den Kampf für Gleichberechtigung einsetzen!

Quellen

² https://www.berufsunfaehigkeitsversicherung-test-vergleich.com/ursachen-statistik
abgerufen am: 16.01.2023
³https://web.archive.org/web/20200929043752/https://www.morgenundmorgen.com/downloadcenter/PRESSEMITTEILUNGEN/2020_05_13_PM_MM_BU_Rating.pdf
abgerufen am: 16.01.2032

 


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