
Bildung + Armut = Bildungsarmut
Der Bildungserfolg von Kindern in Österreich ist stark vom Elternhaus abhängig – das ist mittlerweile gemeinhin bekannt. Besonders Kinder, die in Armut aufwachsen, haben es in der Institution Schule oft besonders schwer. Dass also gerade die Schule diesen Kindern aus der Armut helfen soll, ist eine nette politische Erzählung, greift aber zu kurz.
In Österreich wird Bildung vererbt. Dieser Satz ist spätestens seit den großen Bildungsstudien der letzten zwei Jahrzehnte zu einem Gemeinplatz geworden. Immer wieder wird kritisch hervorgehoben, dass in Österreich wie kaum wo anders der Bildungserfolg von Kindern von ihrer sozialen Herkunft abhängt. Soziale Herkunft, das sind nicht nur die finanziellen Ressourcen, die Kinder in ihrem Elternhaus vorfinden, sondern auch die Werte und Normen, die ihnen mitgegeben werden. Und bei Kindern aus bildungsfernen Haushalten findet sich Bildung eben häufig nicht an der obersten Stelle des Werte-Rankings.
Soziale Segregation
Dies kann dazu führen, dass sich Gruppen bilden, die eine deutliche Kluft zwischen Bildungsgewinner:innen und Bildungsverlierer:innen entstehen lassen. In Österreich wird diese Kluft auch institutionell verstärkt. Hierzulande existiert nämlich ein stark segregierendes Schulsystem, das Kinder nach der 4. Schulstufe auf verschiedene Schultypen aufteilt. Vermeintlich hat diese Trennung mit dem Leistungspotenzial der Schüler:innen zu tun. De facto zeigen Studien aber, dass nur 30% der Schulwahlentscheidungen nach der 4. Klasse Volksschule wirklich auf Leistungsunterschiede zurückzuführen sind. Der Rest lässt sich vor allem dadurch erklären, dass Eltern ihre Kinder entweder eher auf ein Gymnasium schicken wollen oder sie die Mittelschule für besser geeignet erachten. Und diese Tendenzen sind stark vom Bildungsabschluss der Eltern und vom Sozialstatus der Familie abhängig. Besonders Kinder aus armutsgefährdeten Haushalten wechseln nur selten ins Gymnasium; über 80% von ihnen besuchen eine Mittelschule.
(K)ein Raum zur persönlichen Entfaltung
Diese Trennung wird häufig als Erklärung dafür herangezogen, wieso für Kinder, die in armutsgefährdeten oder von Armut betroffenen Haushalten aufwachsen, schlechtere Bildungslaufbahnen quasi vorprogrammiert sind. Das stimmt auch sicherlich, ist aber nur ein Teil der Wahrheit. Ein Erklärungsfaktor, der oft vernachlässigt wird, ist, dass die Institution Schule für viele Kinder mit Armutserfahrung einen Ort darstellt, der sie immer und immer wieder abwertet und der oftmals seine Funktion gar nicht erfüllen kann. Viele Kinder, die in Armut aufwachsen, bringen auch schmerzliche bis traumatische Erfahrungen mit sich in die Schule mit. Materielle Verwahrlosung geht in vielen Fällen nämlich auch mit seelischer Verwahrlosung einher und hindert Kinder daran, sich entfalten zu können.
Auch die Schule kann für diese Kinder und Jugendlichen häufig keinen Raum bieten, in dem sie sich in ihrer Persönlichkeit und ihren Potenzialen voll entfalten können. Denn das System Schule bietet vor allem jenen Schüler:innen Erfahrungen von Erfolg und Wertschätzung, die schon durch ihre Eltern immer wieder Anregungen und Anreize zum Lernen und Entdecken erhalten haben und zuhause Unterstützung und Ressourcen vorfinden. Kinder aus armen Familien fehlen solche Ressourcen, weshalb sie häufiger schlechte Leistungen vorweisen als viele ihrer Peers aus sozioökonomisch starken Familien. Das wiederum führt zur Abwertung: Ihnen wird gezeigt, dass sie die Leistungserwartungen der Schule nicht erfüllen können. Diese Abwertung verstärkt wiederum bestehende Gefühle der seelischen Verwundung – ein echter Teufelskreis.
Bildung ist keine Wunderwaffe
Was kann nun aber die Lösung für diesen Teufelskreis sein? Ironischerweise wird gerade ein Faktor besonders oft genannt, wenn es darum geht, Armut zu bekämpfen: Bildung. Und tatsächlich kann ein hoher Bildungslevel zu besseren Berufschancen und auch einem selbstbestimmteren Umgang mit dem eigenen Leben führen. Allerdings hat die Sache einen Haken. Denn Bildung kann in ihrer aktuellen Form oft keine sinnvollen Angebote für jene liefern, die eigentlich von ihr profitieren sollten.
Zu behaupten, schulische Bildung sei eine Wunderwaffe gegen Armut, greift also zu kurz. Vielmehr braucht es Lösungen, die das gesamte gesellschaftliche System betreffen. Es heißt also, neben Investitionen in den Bildungsbereich und in eine inklusive Pädagogik auch dafür zu sorgen, dass die Existenz von Menschen in Armut gesichert wird, dass sie nicht nur in finanziellen, sondern auch psychischen Krisensituationen unterstützt werden und dass Chancen und Vermögen in unserer Gesellschaft gerechter verteilt werden. Nur so kann eine Teilhabe aller gewährleistet werden – nicht nur im Bildungssystem, sondern auch in unserer Gesellschaft im Allgemeinen.