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Was unrasierte Powerfrauen mit Gewalt zu tun haben


Am 25. November ist der Internationale Tag zur Beseitigung von Gewalt gegen Frauen*[1]. Daher wird dieses Thema von den Medien um diese Zeit des Jahres besonders häufig aufgegriffen. Meistens geht es dabei um Femizide oder physische Gewalt. Genau das sind auch die Themen, die die meisten Menschen im Kopf haben, wenn sie den Begriff Gewalt hören oder lesen: Jemand wird geschlagen oder auf andere Art und Weise physisch verletzt, im schlimmsten Fall ermordet. Was ist aber mit dem Begriff „Powerfrau“? Oder mit der Tatsache, dass Frauen* im Fernsehen oder in Werbungen immer perfekt rasiert sind? Ist das auch Gewalt? Die meisten würden nun wohl mit nein antworten. Die Antwort ist aber: Ja, auch das ist Gewalt. Aber wie kommt es dazu und was hat die französische Philosophie damit zu tun?

Eine Gewalt, die nicht als Gewalt wahrgenommen wird

Bei den zuletzt genannten Beispielen handelt es sich um „symbolische Gewalt“. Der Begriff stammt vom französischen Soziologen Pierre Bourdieu und wird auch als „sanfte Gewalt“ bezeichnet. Diese Form von Gewalt ist viel schwerer zu durchschauen als beispielsweise physische Gewalt, da sie die Menschen dazu bringt, eine „natürliche Herrschaft“ zu verinnerlichen und zu akzeptieren. In anderen Worten: Bestimmte Gruppierungen, in diesem Fall Frauen*, werden von anderen Gruppierungen beherrscht, ohne das überhaupt aktiv mitzubekommen. Ganz im Gegenteil: Das Ganze wird als normal angesehen. Damit das funktioniert, muss es jedoch einen „symbolischen Code“ geben, den sowohl die Beherrschenden als auch die Beherrschten kennen. In diesem Fall sind es zum Beispiel die rasierten Beine, über die alle Menschen wissen, dass sie als attraktiv wahrgenommen werden.

Frauen* werden also auch unterdrückt, wenn sie dazu aufgefordert werden, sich zu rasieren, oder wenn sie als „Powerfrau“ betitelt werden – und das wird von der Gesellschaft akzeptiert. Es wird anerkannt, dass eine Frau* sich die Bezeichnung „Powerfrau“ erst erarbeiten muss. Die Menschen haben nämlich automatisch und unbewusst verinnerlicht, dass beispielsweise Führungspositionen meistens von Männern übernommen werden und es daher eine Ausnahme ist, wenn eine Frau* einen höheren Posten bekommt.

Und habt ihr in einer Werbung schon einmal eine Frau* gesehen, die nicht rasiert war? Rasierer, Haarentfernungscremes und Epilierer für stoppelfreie Beine werden in unzähligen Werbungen beworben und auch wenn es in einer Werbung einmal nicht um die Haarentfernung geht, sieht man in den meisten Fällen neben Kopf, Augenbrauen und Wimpern kein einziges Haar auf einem weiblichen Körper. Die ganze Gesellschaft hat – unabhängig vom Geschlecht – die Erwartung an Frauen*, dass sie immer rasiert sein müssen. Egal, ob sie das selbst wirklich wollen oder nicht.

Verinnerlicht, aber nicht in Stein gemeißelt

Gewisse Denkmuster werden bereits im Kindesalter von den Menschen aufgenommen und verinnerlicht. Das Musikvideo mit den halbnackten Frauen*, die eigentlich gar nichts mit dem Song zu tun haben, die Werkstatt in der nur Männer arbeiten, weil Frauen* „sich eh nicht auskennen“ oder der pinke Plüschhase, der extra für Mädchen* entworfen wurde – all diese Dinge werden meistens nicht hinterfragt, sondern als normal wahrgenommen. Dadurch verbreitet sich symbolische Gewalt sehr schnell. Glücklicherweise hat sich in unserer Gesellschaft bereits viel zum Positiven verändert. Und das geschieht dadurch, dass viele Muster heutzutage hinterfragt werden. Das ist meistens jedoch schwierig, da man oft selbst nicht einschätzen kann, ob es sich nun um eine persönliche Präferenz handelt oder ob man gewisse Sachen einfach macht, um den Erwartungen der Gesellschaft zu entsprechen. Viele Frauen* würden wohl beispielsweise mit großer Sicherheit sagen, dass sie sich regelmäßig rasieren, weil sie sich dann einfach selbst wohler fühlen. Ob das nun wirklich so ist (was natürlich auch vollkommen in Ordnung wäre) oder ob sie es doch nur machen, weil sie es eben gewohnt sind, dass Körperbehaarung an einer Frau* von der Gesellschaft eher als unattraktiv wahrgenommen wird, lässt sich schwer überprüfen.

Das ist eben nicht so!

Gleichzeitig stellt auch die Bequemlichkeit der Gesellschaft eine Hürde dar. In anderen Worten, selbst wenn ein möglicher Missstand hinterfragt wird, bekommt man oft „Das ist nun einmal so“ oder „Hab dich nicht so, ist ja nicht so schlimm“ zu hören. So ist Catcalling zum Beispiel weiterhin ein Problem, das jedoch nach wie vor als „keine große Sache“ oder sogar als „Kompliment“ abgetan wird. Erfreulicherweise gibt es aber immer mehr Personen, die das nicht mehr hinnehmen und akzeptieren wollen. Dinge zu hinterfragen, ist ein wichtiger erster Schritt in die richtige Richtung. Hat man einen „versteckten“ Missstand erst einmal als solchen erkannt, sollte man andere Betroffene darauf aufmerksam machen. Dadurch ist es einfacher, gegen das Problem vorzugehen, und gleichzeitig hilft man anderen dabei, gewisse Dinge ebenfalls zu hinterfragen und sich gegebenenfalls dagegen wehren zu können.

Als Frau* sollte man sich zudem aber auch immer Folgendes im Hinterkopf behalten: Auch wenn wir von verschiedenen Formen von Gewalt besonders betroffen sind, sollte es eigentlich nicht alleine unsere Aufgabe sein, solche Probleme zu lösen, sondern die der gesamten Gesellschaft. Trotzdem brauchen wir uns auch nichts gefallen lassen.

Quellen

Bourdieus Konzept der symbolischen Gewalt

Symbolische Gewalt – symbolische Kämpfe

Warum der Begriff „Powerfrau“ überholt ist

Was ist eigentlich… symbolische Gewalt?

[1] Das Sternchen steht in dem Fall für Frauen und weiblich gelesene Personen, da in diesem Beitrag besonders auf diese Gruppe eingegangen wird. Am 25. November wird aber natürlich auf Gewalt gegen alle FINTA* aufmerksam gemacht.


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