
Digitalisierung: Freundin oder Feindin der Demokratie?
Digitalisierung ist im Jahr 2022 wohl allen ein Begriff. Sie beschreibt im allgemeinsten Sinn den Übergang vom Analogen zu digitalen Technologien. Die Digitalisierung zieht sich durch all unsere Lebensbereiche und bringt Vor- und Nachteile – doch wie sieht es im Zusammenhang mit Demokratie aus? Welche Gefahren und Chancen verbergen sich hier?
The Good and the Bad
Eines gleich vorweg: Die Digitalisierung hat viele gute Seiten. Wir haben ihr unter anderem die Möglichkeit eines breiteren Diskurses zu verdanken, sowie die einfachere und für die Mehrheit zugängliche Teilnahme an diesem durch technische Hilfsmittel wie Smartphones mit Internetzugang. Dieser Umstand, also dass alle jederzeit und überall „ihren Senf dazugeben“ können, hat auch zur Selbstverständlichkeit der „digitalen Demokratie“ geführt: Für uns ist es vor allem in Verbindung mit Sozialen Medien zur Normalität geworden, ja wir verlassen uns sogar darauf, dass wir uns zu allem äußern können und unsere Stimme gehört wird.1 Auch die Kommunikation mit der staatlichen Seite hat sich vereinfacht, z.B. kann man Volksbegehren und Petitionen online mittels Handy-Signatur unterschreiben. Neue und bessere Möglichkeiten der demokratischen Beteiligung durch Digitalisierung sind ebenso zu begrüßen wie das daraus folgende höhere Maß an Beteiligung und Informiertheit. Diskutiert wird auch über „E-Voting“, also dass man in Zukunft bei Wahlen über das Internet abstimmen kann. Jedoch darf man dabei nicht vergessen, dass mehr Wählen nicht gleich mehr Demokratie bedeutet.
Digitalisierung hat allerdings auch nicht so gute Seiten: Soziale Medien verändern die Art, wie wir kommunizieren; auch eine stärkere Polarisierung und Fragmentierung der Gesellschaft ist eine Folge hiervon. Zwei Phänomene, die besonders gut während der Pandemie sowie in der andauernden Energie-, Teuerungs- und Klimakrise beobachtbar sind. Zur Veranschaulichung reicht ein schneller Blick in die USA, wo sich die Gesellschaft in 50% Demokrat:innen und 50% Republikaner:innen spaltet. Wie von selbst entstehen Filterblasen, aus denen man nur schwer wieder herauskommt. Wer kennt das nicht? Man liked ein Katzenvideo, plötzlich kommen im Feed nur mehr Katzenvideos. Man sucht online nach neuen Kopfhörern und bekommt wenig später in der Werbung auf Facebook schon mehrere Angebote vorgeschlagen. Genau so funktioniert die Filterblase – die sozialen Medien arbeiten mit den Daten, mit denen sie von User:innen gefüttert werden und stellen somit sicher, dass jede:r nur mehr das sieht, was ihm:ihr gefällt. Oft ist der Übergang nicht einmal bemerkbar, bis man schließlich gar nicht mehr mit Andersdenkenden konfrontiert wird. Ständig nur vom gleichen Weltbild umgeben und in der eigenen Meinung bestärkt werden, bewirkt eine leichtere Radikalisierung und Intoleranz gegenüber anderen Ansichten.
Veränderungen mit und durch Digitalisierung
Durch die Digitalisierung hat sich nicht nur das Verhältnis zwischen den Menschen verändert, sondern auch zwischen Repräsentierenden und Repräsentierten. Ausdruck davon ist beispielsweise sogenanntes „Micro-Targeting“: Die Politik wird hier gezielt auf eine kleine Gruppe ausgerichtet und zugeschnitten. Mit diesen Änderungen der Struktur der Öffentlichkeit (Kommunikation, Umgang miteinander, Informationszugang) gerät auch der Journalismus zunehmend in Gefahr, so etwa durch Mobilisierung, eine unüberschaubare Zahl an Diskursen und Fake News. Überhaupt stellt sich die Frage, ob der Journalismus noch gebraucht wird in Zeiten, in denen sich jede:r immer und überall Informationen beschaffen kann. Dabei sind es nicht die technischen Möglichkeiten, sondern unsere Nutzungsgewohnheiten derselben, die bestimmen wie Digitalisierung den Journalismus, die Medien und letztendlich die Demokratie verändert. Denn man muss nicht der Meinung anderer sein, aber dass wir von ihrer Meinung überhaupt wissen, verdanken wir freien und vielfältigen Medien.2
Selbstreflexion im analogen und digitalen Raum
Digitalisierung stellt uns auch in anderen Bereichen vor neue Herausforderungen. Fragen nach dem Wert des Analogen, ob es etwas Schützenswertes an der analogen Erfahrung gibt und was vom Analogen ins Digitale verloren geht, tun sich auf. Es entsteht ein neuer Verantwortungsbereich zwischen digitaler Welt und menschlicher Wahrnehmung: Wie verändert Digitalisierung unsere Wahrnehmung und unsere Bezugnahme zur Wirklichkeit? Wir haben Konzentrationsprobleme, eine geringere Aufmerksamkeitsspanne und verfallen der Kurzlebigkeit. Zum Beispiel fühlt sich die Berührung der glatten Oberfläche des Smartphones immer gleich an, aber wir sehen etwas ganz anderes. Die Auswirkungen davon, wenn wir einen Touchscreen berühren und Schmutz oder Leichen sehen, werden in den nächsten Jahren wohl stärker zu Tage treten, wenn wir uns diesen Unterschied stärker bewusst machen. So viel ist jedoch sicher: Die Beschäftigung mit dem Digitalen verändert uns; und sie verändert uns – als Individuen und Gesellschaft – nachhaltig.
Digitalisierung mitgestalten
Ziel muss es sein, Digitalisierung im Rahmen der Demokratie aktiv mitzugestalten. Dazu dürfen wir Digitalisierung nicht (nur) als etwas sehen, dass uns passiert, dass von außen auf uns einwirkt, sondern als etwas, das wir mitgestalten und von dem wir ein Teil sind. Demokratie ist nicht einfach nur eine Regierungsform, sie ist viel mehr: eine kollektive Idee des Zusammenlebens, das geprägt ist von Werten wie Diversität, Pluralität und Toleranz. Eine Aufgabe der Gesellschaft als Ganzes im Kontext der Digitalisierung ist es deswegen, digitale Formen der Kommunikation und Partizipation im demokratischen Umgang zu erlernen. 3 Es ist nämlich die Qualität der Öffentlichkeit, die über die Qualität der Demokratie entscheidet.
Quellen
1 https://www.oeaw.ac.at/detail/news/digitalisierung-veraendert-die-demokratie
2 https://www.derstandard.at/story/2000134928617/medienethik-in-zeiten-der-krise