
Zeitenwende – Chronologie des Geschehenen
Klimakrise, Krieg, Pandemie und die Angst vor einer bevorstehenden Rezession – zugegeben, wir leben in schwierigen Zeiten. Rein objektiv gesehen geht es uns in Europa natürlich noch immer ziemlich gut, insbesondere im historischen Vergleich: Unsere Urahn:innen hatten es wohl härter als wir. Doch man kann sich ja nicht aussuchen, zu welchem Zeitpunkt man in die Weltgeschichte hineingeboren wird. Dass die Zukunft vor der Jahrtausendwende, zumindest dem Anschein nach, noch rosiger ausgesehen hat, da bin ich mir sicher. Heute wird die soziale Ungleichheit, bedingt durch die wachsende Kluft zwischen Arm und Reich, immer größer und die menschengemachte Klimakrise zerstört langsam, aber sicher unseren Planeten. Es wird schwieriger, an all dem Weltschmerz nicht zu verzweifeln.
Der Begriff „Zeitenwende“ wird verwendet, um das Ende einer Epoche oder Ära und den Beginn einer neuen Zeit zu definieren. Die letzte große Zeitenwende in Europa gab es 1989, als sich die kommunistischen Herrschaftssysteme in Mittel- und Osteuropa aufgelöst hatten. Wie das in der Geschichtsschreibung nun mal so ist, kann man derartige historische Ereignisse in der Regel erst im Nachhinein als solche wahrnehmen. Dennoch hört man momentan immer wieder „Zeitenwende“ als Schlagwort in den Medien, um die derzeitige globale Lage zu beschreiben. Um einen kleinen Beitrag zur Geschichtsschreibung zu leisten, folgt nun mein persönlicher Rückblick auf die letzten Jahre –beginnend im Jahr des vermeintlichen Anfangs vom Ende, 2020:
2020
„Wow, was für ein Jahr! Schlimmer kann’s nun echt nicht mehr kommen. Die nächsten Jahre werden sicher besser“, dachte ich 2020 als die Corona-Pandemie die Welt überschwappte. Dass Derartiges zu meinen Lebzeiten eintreten wird, schien mir kurz zuvor noch geradezu denkunmöglich. Schließlich waren „Seuchen“ ja etwas, womit man sich vordergründig im Geschichteunterricht in der Schule befasste – außer man hat ein architektonisches Faible für Pestsäulen. Zugegeben, vielleicht war ich ein bisschen naiv. Dass Bill Gates bereits 2015 in einem TED-Talk[1] erklärte, dass die größte Gefahr einer globalen Katastrophe in den nächsten Jahrzehnten, jene des Ausbruchs einer Pandemie sein wird, ist dabei auch kein Trost. Heute jedenfalls gehören Maskentragen bei steigenden Infektionszahlen, penibles Händewaschen und Videokonferenzen genauso zu meinem Alltag wie Zähneputzen vor dem Schlafengehen und nach dem Aufstehen – Stichwort „neue Normalität“.
2021
Zum Jahreswechsel befanden wir uns in einem Lockdown. Dies war kein „wischiwaschi“ Lockdown, sondern einer von der ernsten Sorte, den man mit dem eigenen Haushalt drinnen zu verbringen hatte und während dem man beim freizeitbedingten Verlassen der Wohnung ein Ziel, nämlich „körperliche oder psychische Erholung“, vor Augen haben musste – zumindest laut Verordnung. Die Hoffnung, dass es dieses Jahr endlich wieder bergauf gehen würde, war groß. Schließlich wurde kurz vor Silvester die erste Impfdosis in Österreich verabreicht. Dass sich so viele Menschen gegen die Impfung entscheiden werden, hatte ich damals nicht erwartet. Bekanntlich sind Impfstoffe eine der bedeutendsten gesundheitspolitischen Errungenschaften der Menschheit, denen wir die Ausrottung mehrerer tödlicher Krankheiten zu verdanken haben. Sie wurden ein Opfer ihres eigenen Erfolges, hörte man immer wieder. 2021 endet wie es begonnen hat: in einem Lockdown, dieses Mal jedoch lediglich für „Ungeimpfte“.
2022
Mittlerweile bin ich, was das endgültige Ende der Corona-Pandemie anbelangt, wohl weniger naiv geworden. Genauso wie ich mich mittlerweile damit abgefunden habe, dass wir der Klimakrise nicht entscheidend entgegentreten werden, da die Akteur:innen der Weltpolitik die Lage offensichtlich nicht so ernst sehen, wie viele Menschen in meinem Alter. Traurig stimmt mich das trotzdem. Was mich aber trotz allem kalt erwischt hat, war der Ausbruch eines Krieges auf meinem Heimatkontinent. All die Demokratieverluste der letzten Jahre und das zunehmende Erstarken des Autoritarismus hätten mich nicht darauf vorbereiten können. Dabei hätten seit der Krim-Annexion wohl alle Alarmglocken läuten müssen – taten sie aber nicht. Krieg in Europa, davon erzählen die Zeitzeug:innen, von denen es, zumindest aus der Zeit des Nationalsozialismus, immer weniger gibt. Doch die Menschheit lernt wohl wirklich nichts aus ihren Fehlern – Homo insipiens[2] eben.
Noch dazu kommt eine irrsinnige Teuerungswelle, die größte seit mehr als 40 Jahren[3], getrieben durch Rohstoffknappheit in gewissen Bereichen und die hohen Energiepreise. Spüren tun wir das alle: Egal was, egal wo – alles wird teurer. Mein Freund und ich, wir scherzen mittlerweile fast täglich beim Einkaufen im Supermarkt: „Kauf lieber gleich zwei Packungen, beim nächsten Einkauf ist’s sicher wieder teurer.“ Lachen können wir darüber aber schon lange nicht mehr. „Bin ich froh, dass ich bald mit dem Studium fertig werde und richtig ins Berufsleben einsteige – mit diesen Lebenshaltungskosten hätte ich mir das Studium nicht so gut leisten können“, habe ich letztens zu meinen Eltern gesagt. Kein Wunder, ist doch etwa die Familienbeihilfe seit 2018, das war zu Beginn meiner Studienzeit, nie mehr erhöht worden.[4] Der deutsche Wirtschaftsminister Robert Habeck meinte kürzlich: „Wir werden alle ärmer werden.“ Das sei nun Mal der Preis, den man für die Unterstützung der Ukraine in diesem Krieg zu zahlen hat.
Beklemmend bleibt, dass es nun aber wiederrum jene besonders hart trifft, die es ohnehin eigentlich immer hart trifft, nämlich die ärmeren Bevölkerungsschichten. Währenddessen wissen die obersten 10 % gar nicht, wohin mit all dem Geld, und die reichsten 1 % besitzen so viel, dass ihr Reichtum das BIP gewisser Staaten um ein weites übersteigt. Immer mehr Menschen fallen aus der Mittelschicht und rutschen in die Armutsgefährdung, während sich Überreiche in ihren Gated Communitys auf die Reise ins Weltall, mit Kurs auf die Zerstörung eines zweiten Planeten, begeben – zumindest fühlt es sich für mich so an. Die Welt ist nun mal ungerecht, würden einige sagen. Doch muss sie das wirklich sein? Niemand erwartet, dass wir jetzt „mutig in die neuen Zeiten“ schreiten. Was ich mir aber wünschen würde, wäre eine ehrliche Politik, die Probleme anspricht, wie Überreichtum und die Klimakrise es sind. Eine Politik, die der Inflation nicht mit einmaligen Gutscheinen für die Bevölkerung entgegentritt, sondern gestaltende Maßnahmen mit Weitsicht erlässt. Maßnahmen, bei denen man nicht das Gefühl bekommt, dass hier nur auf Umfrageergebnisse geschaut wird.
Quellen
[1] Bill Gates, “The next outbreak? We’re not ready” (3.4.2015) https://www.youtube.com/watch?v=6Af6b_wyiwI.
[2] Der Begriff „Homo insipiens“ soll beschreiben, dass die Menschheit an sich töricht und kurzsichtig ist. Dabei wird „sapiens“ (weise) mit „insipiens“ (unklug, einsichtslos) ausgetauscht um zu verdeutlichen, dass der Mensch erst durch Bildung und Erziehung zu einem wirklichen Homo sapiens werden kann.
[3] Siehe https://help.orf.at/stories/3212949/.
[4] Kürzlich wurde angekündigt, dass die Sozialleistungen wie beispielsweise die Familienbeihilfe in Zukunft mit der Inflation steigen sollen. Der Beschluss ist nach der Sommerpause des Nationalrats geplant. Mehr dazu: https://www.finanz.at/news/valorisierung-sozialleistungen-2023-8343/.