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Kommentar: Das Problem mit „Wenn alle nachhaltig leben würden, dann…“


„Was? Du isst noch Cranberrys? Weißt du denn nicht, wie hoch der Wasserverbrauch bei deren Produktion ist?“ Sätze wie diese hört man heutzutage nicht selten. Das Nachhaltigkeitsthema scheint in weiten Teilen der Bevölkerung angekommen zu sein und das nicht nur, wenn es um Reisen mit dem Flugzeug oder den täglichen Fleischkonsum geht. Die Diskussion betrifft mittlerweile jeden erdenklichen Bereich unseres Alltags.

Unser Planet steht knapp vor einem Kollaps und es muss schnell etwas passieren. Aber was? Und wer muss etwas ändern? Die naheliegendste Antwort scheint hier „Wir alle!“ zu sein. In den letzten Jahren hat sich das Narrativ des individuellen Umweltschutzes herauskristallisiert. Anstatt sich über fehlende Klimapolitik zu beschweren, sollten wir alle erst mal bei uns selbst beginnen. Denn wenn wir das alle tun würden, dann wäre das Problem mit dem Umweltschutz gelöst. Doch wäre es das wirklich?

Wer trägt die Verantwortung?

Klar, wir alle leben in einem CO2-intensiven Wirtschaftssystem und jede:r Einzelne kann einen kleinen Teil dazu beitragen, die globalen CO2-Emissionen zu verringern. Allerdings deutet eine Vielzahl an Daten darauf hin, dass der individuelle Konsum einen vergleichsweise geringen Anteil an den absoluten globalen Treibhausgasemissionen trägt. 2017 beispielsweise wurde der „Carbon Majors Report“ veröffentlicht, welcher besagt, dass weltweit nur 100 Konzerne für 71% der globalen Emissionen seit 1988 verantwortlich sind.1 Auch in der Regulierung solcher „Großemittenten“ bleibt noch Luft nach oben. Beispielsweise sind im Europäischen Emissionsrechtehandel (ETS), in dem sich Industrien Berechtigungen kaufen müssen, um Treibhausgase emittieren zu können, Sektoren und Firmen, welche ein hohes Risiko bergen abzuwandern, von der Zahlungspflicht für ihre Treibhausgase ausgenommen.2 Es sieht also derzeit noch nicht nach einer starken Treibhausgasreduktion von Seiten der größten Unternehmen aus. Stattdessen wird die Verantwortung geschickt auf das individuelle Handeln abgeschoben. Beispielsweise brachte der britische Ölkonzern BP, selbst Teil der vorhergenannten Liste der 100 Großkonzerne, vor einigen Jahren einen CO2-Rechner heraus, welcher Einzelpersonen helfen soll, ihren CO2-Fußabdruck zu reduzieren.3

Es bleibt weiterhin offen, ob die größten Firmen durch weitgehende Änderungen im Konsumverhalten sowie durch Boykotte an Einfluss verlieren und ihre Produktionsweisen an die von Konsument:innen nachgefragten Nachhaltigkeitsstandards anpassen würden.

Doch selbst wenn man annimmt, dass eine Entschleunigung des Klimawandels durch eine Änderung des Konsums herbeigeführt werden kann, bringt die Aufforderung an alle, ihr Konsumverhalten zu ändern, ethische Probleme mit sich. Sie setzt nämlich voraus, dass alle Menschen die finanziellen Kapazitäten sowie alle notwendigen Informationen haben, um ihren Lebensstil auf der Stelle verändern zu können.

Der Preis eines nachhaltigen Lebensstils

Hähnchenschenkel um 30 Cent oder ein T-Shirt um 3 Euro – solche Angebote sind verlockend, sogar für Menschen, die sich auch Teureres leisten könnten. Wie sieht es da erst bei Alleinerziehenden mit vier Kindern aus? Nachhaltig leben zu können ist ein Privileg. Das Biobaumwollshirt um 40 Euro oder die Seife im Unverpacktladen um 10 Euro, können sich nicht alle Menschen leisten. Obwohl manche nachhaltigen Entscheidungen, wie beispielsweise Secondhandkleidung statt fast-fashion4 zu kaufen, nicht zwingend volle Taschen erfordern, stellt sich zusätzlich die Frage der zeitlichen Kapazitäten. Viele Menschen haben vermutlich schlichtweg keine Zeit, um am Vormittag noch kurz zum Bauernmarkt zu schlendern, da sie zu dieser Zeit arbeiten. Diese Unterschiede in der Gesellschaft verstärken die Bildung von „Bubbles“ und könnten zu Ausschlüssen aus sozialen Gruppen führen. Es gäbe Entwicklungen in die entgegengesetzte Richtung des gewünschten Effekts: Statt gemeinsam gegen den Klimawandel zu kämpfen, entstünde schnell eine Grundstimmung des Verurteilens und der Intoleranz in beide Richtungen. Beispielsweise Veganer:innen die Fleischessende verurteilen und umgekehrt. Das wäre nicht Sinn der Sache.

Neben den finanziell unterschiedlichen Kapazitäten innerhalb eines Landes, sollte auch die internationale Gerechtigkeit nicht unerwähnt bleiben. Welche Botschaft sendet es nach jahrzehntelanger Ausbeutung der planetaren Ressourcen von Seiten der reichsten Staaten der Erde, nun die Menschen aller Länder der Welt gleichermaßen aufzufordern, ihren Konsum nachhaltiger zu gestalten?

Woher weiß ich, was nachhaltig ist?

Von vielen Firmen wird mit jenen Menschen, die doch in der Lage sind, die Zeit und das Geld für einen klimafreundlichen Lebensstil aufzubringen, wiederum Umsatz gemacht. Die erhöhte Zahlungsbereitschaft für scheinbar nachhaltige Produkte bleibt keinen Moment unbeachtet. Kaum ein Großkonzern hat nicht schon einmal das eigene Logo grün eingefärbt oder ein grünes Blatt auf die Verpackungen gedruckt. Dieses sogenannte „Greenwashing“ ist eine beliebte Verkaufsstrategie. Dabei sind die Etikettenbeschriftungen und beschönigenden Produktbeschreibungen nur selten an tatsächliche Zertifizierungen oder Überprüfungen gekoppelt. Dass das eigene Produkt nachhaltig ist, lässt sich schnell unbestraft behaupten, auch wenn dies nicht stimmt. Oftmals werden von den Unternehmen sogar eigene Nachhaltigkeitssiegel erfunden, um ihren Wiedererkennungswert zu steigern und glaubhafter zu wirken.4 Als Konsument:in ist es da schwer, den Überblick zu bewahren, welche Produkte nun tatsächlich nachhaltig sind und welche nicht. Inzwischen gibt es zwar schon einige Ideen, wie beispielsweise die „Nabu Siegel App“5, die es umweltbewussten Käufer:innen erleichtern soll, nicht auf Greenwashing hereinzufallen, doch wirklich alle Informationen einzuholen, erfordert viel Zeit und Mühe.

Was also tun?

Durch eine steigende Nachfrage an nachhaltigen Produkten kann klar ein Zeichen für Klima- und Umweltschutz gesetzt werden und sich persönlich für einen bewussteren Lebensstil zu entscheiden, hat zahlreiche Vorteile. Allerdings stellen Aufforderungen wie: „Wenn wir alle nachhaltiger leben, dann können wir das Klimaproblem lösen“ eine Verschleierung der Tatsachen dar und bringen neue ethische Problemstellungen auf den Tisch. Denn aus einem „Wir könnten alle nachhaltiger leben!“ wird ganz schnell ein „Du musst nachhaltiger leben!“ Ohne politische Rahmenbedingungen und ökosoziale Maßnahmen, welche ärmeren Haushalten die zusätzliche Last abnehmen, kann eine Gesellschaft, „in der die heutigen Bedürfnisse befriedigt werden, ohne zukünftigen Generationen die Lebensgrundlage zu entziehen“6 nicht funktionieren.

Quellen

[1] https://www.theguardian.com/sustainable-business/2017/jul/10/100-fossil-fuel-companies-investors-responsible-71-global-emissions-cdp-study-climate-change

[2] https://ec.europa.eu/clima/eu-action/eu-emissions-trading-system-eu-ets/free-allocation/carbon-leakage_en

[3] https://www.ardalpha.de/wissen/co2-fussabdruck-carbon-footprint-shell-exxon-bp-taeuschung-100.html

[4] „Fast fashion ist eine Design-, Herstellungs- und Marketingmethode, die sich auf die schnelle Produktion großer Mengen von Kleidung konzentriert.“

https://umweltmission.de/wissen/fast-fashion/

[5]https://www.quarks.de/umwelt/klimawandel/darum-ist-greenwashing-ein-problem/

[6] https://www.nabu.de/umwelt-und-ressourcen/oekologisch-leben/essen-und-trinken/bio-fair-regional/labels/16627.html

[7] https://wirtschaftslexikon.gabler.de/definition/nachhaltigkeit-41203


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