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Pandemieende durch Eigenverantwortung?


Keine FFP2-Maskenpflicht, keine Zutrittsbeschränkungen für Veranstaltungen, kein 3G am Arbeitsplatz mehr: Es scheint so, als wäre die Pandemie vorbei und als wären wir wieder in einer Zeit, in der „Corona“ für viele von uns nur als Biermarke ein Begriff war. Doch leider ist das Gegenteil der Fall.

Der von uns allen lang ersehnte Tag ist am 5.3.2022 gekommen; jener Tag, der weitreichende Lockerungen zahlreicher Corona-Maßnahmen versprach. Mit diesem in den Medien als „Freedom Day“ bezeichneten Tag gehen Lockerungen einher, wie unter anderem das Fallen der FFP2-Maskenpflicht, ausgenommen in Bereichen des täglichen Bedarfs wie in Supermärkten, Drogerien, Arztpraxen oder öffentlichen Verkehrsmitteln. Besonders aber dürfen wir Jugendliche und junge Erwachsene uns über eines freuen:  die Aussetzung der Sperrstunde in der Nachtgastronomie und den Zutritt zu dieser sogar ohne Zugangsbeschränkungen. Endlich ist es wieder möglich, bis zum Morgengrauen zu feiern. Doch trotz all der Euphorie haben immer mehr Menschen das Gefühl, dass angesichts steigender Infektionszahlen und obwohl der Verlauf von Omikron milder ist, dieser Tag vielleicht doch ein bisschen zu früh gekommen ist.

Vertrauen ist gut, Vorsicht ist besser

Am Freitag, 4.3., also am Tag vor dem sogenannten „Freedom Day“, gab es mit 32 419 die höchste Anzahl an Infektionsfällen seit drei Wochen und just am Tag der Lockerung von ziemlich allen Maßnahmen, haben wir nun auch mit Johannes Rauch einen neuen Gesundheitsminister im Amt, was nicht gerade als ein Zeichen für Sicherheit bezüglich der neuen Maßnahmen gilt. Momentan haben wir die Situation, dass die Zahlen sogar steigen: am 11. März gab es beispielsweise bereits 49 323 positive Fälle. Während die Corona-Werte also in die Höhe schießen, geht es bei den Vertrauenswerten in die Regierung ganz in die andere Richtung.

Die Vertrauenswerte in das politische System in Österreich waren im Dezember 2021 laut dem vom Meinungsforschungsinstitut Sora beauftragten „Demokratie Monitor“ auf dem tiefsten Punkt seit dem Erhebungsbeginn 2018. Damals waren immerhin 58 Prozent der 2000 online und telefonisch Befragten der Meinung, dass das politische System in Österreich weniger oder gar nicht gut funktioniert. Neue vertrauenswürdige Quellen sind noch nicht verfügbar, aber angesichts der aktuellen politischen Entwicklungen im Gesundheitsministerium stehen die Zeichen schlecht, dass sich diesbezüglich etwas verbessert habe. Das Aufheben der Maßnahmen hängt somit meiner Beobachtung nach sowohl mit der allgemeinen Skepsis der Regierung gegenüber der Sinnhaftigkeit der Maßnahmen als auch mit dem Misstrauen der Bevölkerung gegenüber dem politischen System an sich zusammen.

Eigenverantwortung ist möglicherweise (wieder einmal) die Devise der Regierung

Die Vorgehensweise der aktuellen Bundesregierung bietet durch die radikale Aufhebung fast aller Schutzmaßnahmen viel Raum für Spekulationen. Es lassen sich verschiedene Mutmaßungen darüber anstellen, welche Ziele die Regierung mit ihren Entscheidungen verfolgt. Es wird aber schon der Anschein erweckt, dass die Regierung empfindet, sie können selbst nicht genug tun, um die Menschen vor dem Virus zu schützen. So war beispielsweise die Nachtgastronomie trotz verfrühter Sperrstunde und 2G-Kontrolle ein Problemfeld in der Virusübertragung. Trotz einer gesetzlichen Verpflichtung zur Impfung ließen sich nicht genug Leute impfen. Demnach sehen die politisch Verantwortlichen es als vernünftigste Maßnahme an, dass man die Verantwortung über das Infektionsgeschehen der Bevölkerung selbst überlässt. Aber ist es überhaupt möglich, an die Vernunft der Bevölkerung zu appellieren, wenn das Überlassen der Eigenverantwortung bei den letzten Versuchen kläglich gescheitert ist? Wie wirkt sich diese Strategie auf junge Menschen aus?

Der schwedische Weg als Chance? Nicht zu 100%

In Europa zeigt das Beispiel von Schweden, dass der Zugang der Eigenverantwortung sehr wohl möglich ist. Es scheint dort realisierbar zu sein, den Menschen zuzutrauen, dass sie sich und ihre Mitmenschen aus Solidarität aber auch aus Eigeninteresse durch Abstand halten, das Verzichten auf Händeschütteln und dergleichen schützen. Das Land im Norden Europas ist nämlich schon seit Beginn der Pandemie für seinen wenig restriktiven Weg in der Pandemiebekämpfung bekannt. Homeschooling kannte man in Schweden genauso wenig wie eine Maskenpflicht. Zwar war am Anfang der Pandemie die Sterberate in Schweden sehr hoch, inzwischen nähern sich die Werte Österreichs jenen Schwedens an. Während der gesamten Pandemie hatte Schweden mit Stand 15. März bei 10.35 Millionen Einwohner:innen 17 798 Todesfälle zu verzeichnen, in Österreich wiederum wurden bis zu diesem Tag bei fast 9 Millionen Einwohner:innen 15 207 Tote gezählt. Trotz den unterschiedlichen Strategien scheint es in keinem der beiden Länder gelungen zu sein, die Sterberate niedrig zu halten. Wo liegt also die goldene Mitte zwischen Eigenverantwortung und striktem Management?

Die epidemiologische Situation hat sich verändert

In Österreich steigen zehn Tage nach dem „Freedom Day“ die Covid-19-Infektionszahlen rapide an und der Trend geht weiter nach oben. Aus diesem Grund ist es jedenfalls an der Zeit, zu handeln und auch diese weitreichenden Lockerungen zu überdenken. Nun wird nämlich klar ersichtlich, dass ganz ohne Corona-Beschränkungen kein Ende dieser epidemiologischen Situation in Reichweite ist. Vielleicht ist es daher gänzlich an der Zeit, die Situation und Strategie neu zu bewerten, um einen Kompromiss zu finden. Die neue Mutation scheint uns aufgrund des weniger schlimmen Verlaufes und trotz der hohen Fallzahlen trotzdem eine Art Aufatmen zu bescheren. Es wäre aus meiner Sicht daher grundsätzlich auf jeden Fall angebracht, Öffnungen anzustreben. Jedoch muss es nicht immer eine extreme Entscheidung zwischen ganz offen und ganz zu sein.

Besonders angesichts der Folgeerscheinungen der Pandemie wäre ein Kompromiss meiner Meinung nach durchaus angebracht. Insbesondere die psychischen Belastungen, die besonders die jungen Menschen betreffen, sollten eine wichtige Rolle bei der Entscheidung spielen. Junge Menschen haben durch die Pandemie einen wichtigen Teil ihrer Jugend nicht wie Generationen vor ihnen mit ersten Clubbesuchen, dem Kennenlernen neuer Leute, dem Feiern von Maturabällen, dem Treffen zum gemeinsamen Sporttreiben und Ähnlichem ausleben können. Immerhin haben laut einer Studie von Marketagent und DocLX, bei der 2.500 Jugendliche im Alter von 14 bis 24 Jahren befragt wurden, 68 Prozent der Befragten angegeben, dass Corona sich negativ auf ihre Psyche auswirkt. 20 Prozent von ihnen führten sogar an, mit suizidalen Gedanken zu kämpfen.

Maßnahmen an die Situation der Jungen anpassen

Aufgrund dieser erschreckenden Ergebnisse dieser Studie sind vor allem in Zeiten, in denen die psychischen Belastungen insbesondere bei jungen Menschen beträchtlich sind, meiner Meinung nach die derzeitigen Corona-Zahlen auf jeden Fall mit den Ergebnissen der Studie zur psychischen Verfassung von Jugendlichen gleichzusetzen. Dennoch ist es extrem wichtig, an den bewährten und einfach umsetzbaren Maßnahmen, wie beispielsweise der Maskenpflicht in systemrelevanten Bereichen (wie Supermärkten, Banken oder Arztpraxen), festzuhalten und zumindest die 3G-Regel in der Gastronomie und auch der Nachtgastronomie beizubehalten. Dies würde – letztlich auch für Jugendliche – in Zeiten der Unsicherheit und Vertrauenslosigkeit ein Gefühl der Sicherheit mit sich bringen. Gleichzeitig würde es signalisieren, dass der Schutz der Jungen der Regierung ein Anliegen ist. Auch vulnerable Bereiche wie Alten- und Pflegeheime sollten jedenfalls bei der 2G+ Regel bleiben, damit genau diese Sicherheit bestehen bleibt.

Dies sollte aber aufgrund der tendenziell weniger schlimmen Verläufe von Omikron genug der Einschränkung sein. Wenn sich die Situation neuerlich verschlechtert und eine andere Mutation kommt, die wieder für schwerere Krankheitsverläufe und mehr Todesfälle sorgt, ist es, wie ich finde, nur richtig und notwendig, rechtzeitig zu handeln und sinnvolle, der jeweiligen Situation angepasste Maßnahmen einzuführen. Dennoch sollte aus dieser Gesundheitskrise nicht auch noch eine größere (psycho-)soziale Krise für junge Menschen werden!

Quellen

https://www.profil.at/oesterreich/corona-regeln-oesterreich-freedom-day-oder-long-covid/401908645

https://www.diepresse.com/6073902/niveau-von-rumaenien-erreicht-vertrauen-in-politisches-system-sinkt

https://kurier.at/leben/gesellschaft/corona-wie-geht-es-oesterreichs-jugend-in-der-pandemie/401898596

https://www.stern.de/gesundheit/sonderweg-in-schweden–so-gut-sind-sie-durch-die-pandemie-gekommen-31599576.html

https://ourworldindata.org/covid-vaccinations?country=OWID_WRL


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