Fragiler Feminismus?
Seit Oktober letzten Jahres kann in der Neuen Galerie Graz die Ausstellung „Ladies and Gentleman – das fragile feministische Wir“ besucht werden. Das Thema ist die zweite Welle des Feminismus ab den 1960er-Jahren, deren Vielfalt sich in den Kunstwerken und den Künstler:innen selbst widerspiegelt. Doch was hat es mit dem Titel – das fragile feministische Wir – auf sich? Ist Feminismus fragil? Ein Einblick in die Ausstellung und was wir davon mitnehmen können.
Die vielen Gesichter des Feminismus
Die heimischen und internationalen Künstler:innen beschäftigen sich in ihren Werken mit Diskussionen aus der Vergangenheit sowie der Gegenwart und machen Vergessenes genauso wie Vertrautes zum Thema. So finden sich in der bunten Ausstellung zum Beispiel Andy Warhols Serie von Drag Queens neben Bildern zum Thema Transvestismus und Rollenspiel. Ebenfalls mit Geschlechtsidentität befasst sich Petra Maitz, die ihren Models gehäkelte und gestrickte Unterwäsche in Form von weiblichen und männlichen Genitalien anzieht.
Ein weiterer Bereich der Ausstellung betont weibliche Lust und Sinnlichkeit: Pipilotti Rist schafft in ihrem „Pickelporno“ akustisch und farblich dramatische Nahaufnahmen von Körpern als Gegensatz zum üblichen, aus männlicher Sicht gemachten Porno.
Dem Symbolismus kommt in der gesamten Ausstellung eine große Bedeutung zu. So etwa bei Sylvie Fleruy, die Konsum, Macht und Status thematisiert und anhand von glamourösen Schuhen zeigt, wie Kunst und Leben vermischen. Schuhe, genauer gesagt High Heels, kommen noch einmal bei Birgit Jürgenssen vor, die fragt, was Schuhe über ihre Träger:innen und deren Charakter aussagen. Noch mehr: Stöckelschuhe als Fetischobjekt geben Anlass, um darüber nachzudenken, ob nur die Frau als Objekt des Begehrens oder die Begehrenden selbst in gleicher Weise unterdrückt werden.
Die idealisierte Darstellung von Frauen in Werbung und Social Media macht Kiki Kogelnik zum Thema: Sie stellt Models in typische Posen wie wir sie aus Werbung und Magazinen kennen, macht dies aber auf übertriebene und bewusst klischeehafte Weise.
Bunt, facettenreich und inspirierend
Schlendert man durch die Räume der Ausstellung, laden die Kunstwerke ein, die Welt aus anderen Blickwinkeln zu betrachten. Das funktioniert auch, denn das jeweilige Zielpublikum findet sich – unabhängig von Hautfarbe, sexueller Orientierung und Genderidentität – in den Werken wieder. Gleichzeitig ist der spezifische Blickwinkel aber auch anderen, die sich nicht unmittelbar damit identifizieren können, zugänglich. Mir als junge Frau ist dadurch neu klar geworden, dass dieses „feministische Wir“ viele sind. Wir sind viele, wir sind vielschichtig und so sind auch die Hindernisse, die uns gegenüberstehen.
Thema in der Kunst, Realität im Alltag
Oben angeführt waren nur wenige Eindrücke und Künstler:innen. In der Ausstellung werden noch viele andere Aspekte behandelt, die oft eine dunkle Hintergrundgeschichte haben und zeigen, dass die Kunst das Leben imitiert. Oder ist es vielleicht doch auch anders herum?
Unterdrückung, Krieg, Kolonialismus, Gewalt, Privatsphäre, Stereotype und Selbstbestimmung – das alles sind auch Themen, die uns alltäglich begleiten; sind Probleme, zu denen wir Lösungen suchen. Die Identität von Frauen, die große Erfolge – sei es in der Politik, sei es im Sport – erzielen, wird untergraben, indem sie anstatt ihres eigenen Namens durch den ihres (Ex-)Mannes identifiziert werden. Fast kein Tag geht vorbei, an dem nicht über einen weiteren Fall sexuellen Missbrauchs berichtet wird. Videos von Überwachungskameras, die zeigen wie ein Mann von hinten eine Frau angreift und auf den Boden heftet, sind keine Seltenheit, vielmehr hat sich solches und ähnliches Verhalten unzweifelhaft in den gewöhnlichen Lauf der Dinge eingeschlichen. Transmenschen wird ihre Existenz verneint, Nicht-Heterosexuelles wird als unnatürlich betitelt und dämonisiert.
Wie oft müssen wir noch den Unterschied zwischen Belästigung und Zuquatschen erklären? Wie lange dauert es noch, bis der Unterschied zwischen einem Kompliment und Catcalling klar wird? Wie kann es sein, dass sich eine Bewegung für und von Frauen wieder um Männer dreht?
Kunst, was soll das überhaupt?
Vielleicht kann uns Kunst keine Antworten auf diese Fragen geben und schon gar nicht vermag Kunst allein diese Probleme zu lösen. Was Kunst aber sehr wohl kann und worin sie brilliert, ist, auf Probleme aufmerksam zu machen. Die Kunst in „Das fragile feministische Wir“ irritiert und verstört, um Oberflächlichkeiten und Vorurteile zu hinterfragen. Die Betrachtenden werden mit viel (nacktem) Körper konfrontiert, die Künstler:innen verletzen sich selbst, um auf den Körper als nicht ersetzbares Material hinzuweisen1. Wir brauchen Kunst und wir brauchen die übertriebene exzessive Darstellung realer Lebensinhalte, um uns die Augen zu öffnen und Probleme in ihrem ganzen Ausmaß zu erkennen. Denn erst, wenn das Problem erkannt wurde, kann etwas dagegen unternommen werden. Diese Sichtweise wirkt übrigens auch erfrischend auf den Feminismus, die Klimabewegung und Demonstrationen angewendet – was oft als sinn- und ziellos abgetan wird, hat dann nämlich schon Sinn und das Ziel erreicht, wenn es wahrgenommen und darüber nachgedacht wird.
Fragil = robust
Und was ist nun das Fazit zum Feminismus? Ist Feminismus fragil, weil es so viele Punkte gibt, die die Bewegung verlangsamen, weil die Anliegen nicht ernst genommen werden und die Anhänger:innen jeden Tag für ihre Daseinsberechtigung kämpfen müssen? Um das zu beantworten, soll noch einmal auf die Kunst zurückgegriffen und ein Symbol herangezogen werden, das einige Male in den Kunstwerken von „Das fragile feministische Wir“ verwendet wird: Die Feinstrumpfhose. Die Feinstrumpfhose ist fragil und leicht zu zerstören. Doch sie ist auch äußerst elastisch und strapazierfähig. Zugleich fragil und robust – das ist auch der Feminismus.
Die Ausstellung kann noch bis 30.10.2022 in der Neuen Galerie Graz besichtigt werden.
1 Sogenannte „Body Art“, bei der eigene der Körper als Material, Objekt oder Ausdrucksmittel der Kunst dient. Der Körper kann beispielsweise als Leinwand oder für Fotografien und Performances verwendet werden. Siehe auch: https://de.gallerix.ru/pedia/definitions–body-art/
Quellen und weiterführende Links
https://kultur.graz.at/kalender/event/1635842310
Die Kurator:innen über die Austellung: https://www.youtube.com/watch?v=iHzdTeFtzlo
Bildergalerie und Audioguide: http://www.museum-joanneum.at/neue-galerie-graz/ausstellungen/ausstellungen/events/event/8914/ladies-and-gentlemen?utm_medium=email&utm_campaign=Newsletterversand&utm_source=