
„Ich habe gar keine Stimme!“
Karen Meixner ist gebürtige Engländerin, lebt aber schon seit über 20 Jahren in Österreich. Wählen darf die Lehrerin, die in Graz lebt, in keinem der beiden Länder. Im Interview mit Kenne deine Rechte (KdR) erklärt sie, warum sie kein Wahlrecht hat, was das für sie bedeutet und was sie sich für Menschen in ihrer Situation wünschen würde.
KdR: Hallo Karen. Du bist gebürtige Engländerin. Wann und wie bist du nach Österreich gekommen?
Karen Meixner: Während meinem Studium habe ich ein Auslandsjahr in Österreich absolviert und habe dort meinen jetzigen Ehemann kennengelernt. Ich lebe seit dem Sommer 1989 fix in Österreich, also schon seit über 20 Jahren.
KdR: Wir führen ja aus einem besonderen Grund dieses Gespräch und der ist, dass du ein ganz spezifisches Problem hast: du darfst nicht wählen.
Karen Meixner: Ja, das ist richtig. Ich darf nirgendswo wählen, also ich habe gar keine Stimme.
KdR: Du wohnst in Österreich und du darfst hier also nicht wählen?
Karen Meixner: Nein ich darf weder in Österreich noch in England wählen. Als Engländerin habe ich in England wählen dürfen. Wenn man ins Ausland zieht, darf man auch noch in England wählen, allerdings nur 15 Jahre lang. Und weil ich in den letzten 15 Jahren nie meinen Hauptwohnsitz in England hatte, darf ich in England eben nicht mehr wählen. In Österreich habe ich bis letztes Jahr wenigstens in der Europa- und in der Grazer Gemeinderatswahl wählen dürfen. Wegen dem Brexit darf ich das jetzt auch nicht mehr.
KdR: Also du darfst in Österreich jetzt nach dem Brexit überhaupt nicht mehr wählen?
Karen Meixner: Nein, nur für den Migrantinnenbeirat in Graz, da habe ich wählen dürfen, aber sonst für gar nichts.
KdR: Gäbe es eine Möglichkeit wie du eine Stimme bekommen könntest – entweder in England oder Österreich?
Karen Meixner: Ja, ich könnte zurück nach England ziehen oder ich könnte meine britische Staatsbürgerschaft aufgeben und Österreicherin werden. Dann könnte ich in Österreich wählen.
KdR: Würdest du das machen?
Karen Meixner: (lacht) Viele fragen mich, warum ich das nicht mache, weil logisch wäre es schon. Ich wohne hier, ich zahle Steuern, ich habe meine Kinder, meine Familie, mein Haus und meinen Hund hier in Österreich. Warum bin ich nicht einfach Österreicherin? Ich bin zwar eine Mischung aus Engländerin und Österreicherin, jetzt bin ich ja schon so lange hier, aber im Herzen bin ich Engländerin. Es ist also ein emotionaler Grund. Es ist vielleicht irrational, aber ich möchte meine Staatsbürgerschaft nicht aufgeben.
KdR: Kennst du auch andere Leute, die auch betroffen sind und wirklich nirgendwo wählen dürfen?
Karen Meixner: Ja genug! Ich kenne Leute aus England, die jetzt das gleiche Problem haben. Auch mein Nachbar aus Kanada hat dieses Problem. Ich denke mir, dass es auch genug Geflüchtete oder Menschen mit Migrationshintergrund gibt, die hier ihren Lebensmittelpunkt haben und nicht wählen dürfen.
KdR: Ist dieses Thema der Wahlberechtigung für dich persönlich wichtig?
Karen Meixner: Es ist mir schon sehr wichtig. Es ist halt jetzt wegen Brexit besonders akut, weil ich nun gar keine Stimme mehr habe. Für mich persönlich ist es nicht so schlimm, dass ich in England nicht mehr wählen darf, weil ich dort ja nicht mehr lebe. Was mich aber schon sehr stört ist, dass ich nicht einmal in dem Referendum zum Brexit mitwählen durfte und mich das aber doch sehr stark betrifft. Ich bin neugierig, wie das Referendum ausgegangen wäre, wenn alle sogenannten „Auslandsengländer:innen“ abstimmen hätten dürfen . Das Schlimme ist, dass ich wirklich nirgendwo ein Mitspracherecht habe! Wenn du die Menschenrechte anschaust, steht in Artikel 21, dass jede:r das Recht hat, an den Angelegenheiten seines:ihres Landes mitzuarbeiten und die Menschen zu wählen, die eine:n im Parlament oder in der Regierung vertreten sollten. Diese Leute sollten die Bevölkerung repräsentieren. Wenn aber Leute wie ich gar nicht wählen können, dann repräsentieren sie ja nicht das ganze Land,da sie einfach einen Teil der Bevölkerung auslassen! Es wäre schon interessant zu sehen, was anders wäre, wenn alle Menschen, die in meiner Position sind, wählen dürften. Es könnte schon sein, dass die Machtverteilung ganz anders wäre.
KdR: Was würdest du tun, um diese Situation zu ändern? Sollte sie geändert werden?
Karen Meixner: Ja, ich finde auf jeden Fall, dass sich etwas ändern muss. Ich wohne seit über 20 Jahren in Österreich und habe kein Mitspracherecht! Hier geht es um meine Zukunft und mein Leben und ich möchte mitentscheiden! Österreich ist eine Demokratie, aber ich bin nicht Teil dieser Demokratie. Eine einfache Lösung wäre für mich die Doppelstaatsbürgerschaft einzuführen. Dann könnte ich Engländerin bleiben, wäre aber auch Österreicherin und dürfte somit hier wählen. Vielleicht könnte man auch ein Wahlrecht für Leute mit dem Hauptwohnsitz in Österreich einführen. Ich denke mir, wenn man hier lebt, warum darf man hier nicht wählen?
KdR: Vielen Dank für das Gespräch.
Karen Meixner ist eine der 1.1 Millionen Menschen, die in Österreich nicht wählen dürfen, da sie die österreichische Staatsbürgerschaft nicht besitzen. Das sind rund 15% der Menschen im wahlfähigen Alter. In den vergangenen Jahren stieg der Anteil der Bevölkerung, der nicht wählen darf, da die Staatsbürgerschaftsregelung in Österreich sehr streng ist. Dass Menschen ohne Staatsbürgerschaft nicht wählen dürfen, ist aber kein Einzelfall. In nur vier Länder dieser Welt dürfen Nicht-Staatsbürger:innen auf Bundes- sowie auf lokaler Ebene wählen: in Neuseeland, Chile, Malawi und Uruguay.
Für weitere Informationen über Menschen in ähnlichen Situationen wie Karen Meixner:
https://www.oesterreich.gv.at/themen/leben_in_oesterreich/wahlen/1/Seite.320210.html#ausschluss
https://fm4.orf.at/stories/2866280/
Defizitäre Demokratie. Staatsbürgerschaft und Wahlrecht im Einwanderungsland Österreich von Gerd Valchars