
Sophie Scholl – der neue Instagramstar?
Instagram, 2021. Sophie Scholl postet eine Story, in der sie mit ihrem Bruder Hans beim Erstellen von Flugblättern für die Widerstandsgruppe „Weiße Rose“ zu sehen ist. In ihrer Bio steht „Blogger, harter Geist, weiches Herz“. Doch wieso können wir plötzlich eine Geschichte aus 1943 auf Instagram mitverfolgen?
Sophie Scholl, ein Name der in die Geschichte einging, dem jedoch heutzutage kaum Beachtung geschenkt wird. Sophie Scholl war eine Widerstandskämpferin gegen den Nationalsozialismus, gleich wie ihr Bruder Hans Scholl. Beide studierten in München, wo sie auch Teil der Widerstandsgruppe „Weiße Rose“ wurden. Die „Weiße Rose“ bestand aus Student:innen, die sich auf humanistische und christliche Werte beriefen und gegen den Nationalsozialismus richteten. Am 18.2.1943 wurden Sophie und Hans erwischt, als sie das sechste Flugblatt verteilten. Sie wurden daraufhin von der Gestapo festgenommen. Am 21.2.1943 wurden sie am Volksgerichtshof – aus heutiger Sicht rechtswidrig – wegen Vorbereitung zum Hochverrat, Feindbegünstigung und Wehrkraftsetzung verurteilt.
Wie wäre es jedoch gewesen, wenn es im Jahre 1943 bereits soziale Medien gegeben hätte? Wie hätte die Gesellschaft die Ereignisse dieser Zeit wahrgenommen? Diesen Fragen geht das Instagram-Projekt „Ich bin Sophie Scholl“ nach. Zum Anlass des 100. Geburtstags von Sophie Scholl wurde dieses Projekt vom Südwestrundfunk (SWR) und dem Bayerischen Rundfunk (BR) ins Leben gerufen. Sophie Scholl, dargestellt von Luna Wendler, lässt User:innen an ihrem Leben teilhaben; genauer gesagt kann man sie beim Erwachsenwerden im Krieg, während ihres Studentenlebens, beim Erleben ihrer ersten große Liebe und bei der Entwicklung ihrer Ansichten zum Nationalsozialismus begleiten. Unter Einbeziehung von historischem Originalmaterial und den Originalbriefen und Aufzeichnungen von Sophie Scholl lässt Luna Wendler aus der Perspektive von Sophie die User:innen alles hautnah miterleben.
Durch die wöchentlichen Rückblicke kann man nichts verpassen und die Geschichte ist immer abrufbar. Oft sind es Ausschnitte aus der Insta-Story, die Sophie filmt: Sei es der Uni-Alltag oder wie sie mit ihrem Bruder Hans, seinem Freund Alex oder ihrer Freundin Traute feiert, Sophie nimmt die User:innen überall mit. Während der letzten Wochen bekamen die Follower:innen einen Einblick in die Entstehung der Weißen Rose und die Gestaltung der Flugblätter durch die Mitglieder sowie deren Angst davor erwischt zu werden. Zudem spürte man mit jeder Story-Sequenz mehr, wie Sophie anfing, nach und nach das politische System zu hinterfragen, sich dagegen immer stärker wehrte und ihr Widerstand zu wachsen beginn.
Gestartet wurde das Instragram-Projekt am 4.5.2021 und mit Stand 5.8.2021 erreichte das Profil bereits mehr als 875k Nutzer:innen. Jugendliche und junge Erwachsene empfinden das Projekt als wichtig, wie man aus den Kommentaren herauslesen kann. Man lernt die Geschichte von Sophie Scholl auf eine innovative Art und Weise kennen und erreicht so auch mehr Menschen als das durch Geschichtsbücher möglich wäre. Man wird indirekt mit der Geschichte konfrontiert und es scheint einen positiven Lerneffekt zu geben. Fraglich ist, ob solche Projekte in der Zukunft den Geschichtsunterricht ersetzen oder als Vertiefung dienen können.
Das Projekt #ichbinsophiescholl ist ein gutes (und im deutschsprachigen Raum einzigartiges) Beispiel für das Verbinden von Sozialen Medien mit dem Erlernen von wichtigen historischen Ereignissen. Da man das Leben der Sophie Scholl hautnah miterlebt und Einblicke in ihre Gedanken und Gefühle bekommt, schaffen es die Schauspieler:innen, vor allem Luna Wendler, auch eine emotionale Ebene für die Zuschauer:innen zu kreieren, die dadurch das Gefühl bekommen, einer Bekannten/Freundin auf Instagram zu folgen. Folglich setzt man sich mit den historischen Ereignissen auseinander und nutzt auch seine eigene Zeit in den Sozialen Medien sinnvoll. So kann man auch Jugendlichen die Geschichte näherbringen und sie greifbarer machen. Dies ist besonders wichtig, da man sich im Geschichtsunterricht oft zu wenig mit dem Nationalsozialismus auseinandersetzt und somit auch zum Vergessen neigt. Durch die Aufbereitung der Geschichte auf dem Sozialen Medium Instagram kann man die Welt zumindest für kurze Zeit durch Sophies Augen erleben. Wenn Geschichte greifbar wird, berührt sie uns Menschen.
Momentan ist Sophie bei ihren Eltern und ihrer Schwester Inge, da sie zum Rüstungseinsatz in einer Schraubenfabrik einberufen wurde. Doch das hindert sie nicht daran, weiter Widerstand zu leisten und ihre Flugblätter zu verteilen. Wie es weitergeht, erfahren wir in den nächsten Wochen.