
Auslandsdienst statt Bundesheer
Nach der Matura fängt das Leben an. Wäre da bloß nicht die Wehrpflicht. Dass dies auch anders geht, zeigen Vinzenz Schwarz und Raffael Winkler. Denn die beiden verbrachten ihren „Wehrdienst“ nicht wie die meisten ihrer Altersgenossen. „Wehrdienst“ einmal anders – wie Vinzenz eine Familie aus 1.700 Franzosen:Französinnen unterstützt und wieso Raffael fast zu spät zum Interview kam, lest ihr hier.
Alternativen gibt es fast immer – so auch zum Bundesheer und zum Zivildienst. 1998 wurde der Verein „Österreichischer Auslandsdienst“ von Prof. Andreas Maislinger gegründet. Der Verein ermöglicht es Volontär:innen oder Zivildienstpflichtigen, ihren Einsatz im Ausland abzuleisten. Bis heute absolvierten bereits mehr als 550 Menschen einen Auslandseinsatz in Afrika, Asien oder sonst irgendwo auf der Welt. Sie zeigen dadurch, dass das Übernehmen von Verantwortung auch außerhalb des eigenen Landes geschehen kann und soll. Sie übernehmen Verantwortung, bauen Brücken zwischen verschiedenen Ländern, Kulturen und Menschen, helfen bei der Entwicklung ganzer Strukturen und entwickeln sich nicht zuletzt selbst zu verantwortungsvollen, reifen jungen Erwachsenen.
Die Auslandsdiener:innen handeln in ihrem Einsatz ausnahmslos im Interesse der Republik Österreich und der EU, welches sich einerseits darauf beläuft, die Geschehnisse während des zweiten Weltkrieges aufzuarbeiten, andererseits aber auch darauf, soziale Projekte im Ausland zu fördern oder zur weltweiten Friedenssicherung beizutragen. Daher bietet der Verein seit einigen Jahren neben dem klassischen Gedenkdienst in Einsatzstellen wie der „Yad Vashem Gedenkstätte“ in Israel auch die beiden Projekte „Sozialdienst“ und „Friedensdienst“ an.
Auch nicht wehrpflichtigen Österreicher:innen können einen Auslandsdienst absolvieren. Mädchen und Senior:innen sind genauso willkommen wie auch Menschen, die mitten aus dem Berufsleben kommen.
Gedenkdienst in der „Grande Nation“
Der Niederösterreicher Vinzenz hat sich für so einen Auslandseinsatz in Frankreich entschieden. Er hilft in Paris im Rahmen eines Gedenkdienstes, die Verbrechen des zweiten Weltkrieges aufzuarbeiten. Der Verein „Amicale de Mauthausen“ hat es sich zum Ziel gesetzt, eine Art Familie unter den KZ-Überlebenden und deren Nachfahren in Frankreich zu schaffen. Neben regelmäßigen Treffen und Gedenkreisen zum ehemaligen Konzentrationslager Mauthausen kümmert sich der Verein auch um die Weitergabe der schrecklichen und doch so wertvollen Erinnerungen an die jungen Franzosen:Französinnen. „Der Verein hat das Ziel, eine Art Familie zu kreieren, zwischenmenschliche Verbindungen, die dabei helfen, die Lebensgeschichten der Deportierten nicht zu vergessen.“, sagt Vinzenz. „Natürlich gehört da klassische Vereinsarbeit, also Übersetzungsarbeiten sowie Sekretariatsarbeit, zum Arbeitsalltag. Das Schönste jedoch sind die Begegnungen mit den Vereinsmitgliedern und das Gefühl, etwas Gutes getan zu haben.“
Doch auch die Freizeit kommt während seines Aufenthalts in einem vielseitigen Land wie Frankreich nicht zu kurz. Er hat die Zeit vor allem außerhalb seiner Pariser WG genützt, um das Land und seine Schönheit kennenzulernen. Wenn er nicht gerade in der Bretagne, Normandie oder entlang der Loire unterwegs ist, gibt er sich auch mit Sport in der Großstadt zufrieden.
Anerkennung für seinen Einsatz kommt sowohl aus Österreich als auch aus Frankreich. Die Verabschiedungsfeier am Ende seines Einsatzes fand vor Kurzem statt und war ein besonderes Highlight für den Niederösterreicher. Die Vereinsmitglieder beschenkten ihn mit Sekt, Kuchen und vielen Büchern. Auch der Staat Österreich zeigt sich von der Arbeit der „kleinen Botschafter:innen, wie die Auslandsdiener:innen nicht selten genannt werden, begeistert und würdigt sie regelmäßig mit Empfängen in der Hofburg.

Die bevorstehende Heimreise kann Vinzenz aber nicht von seinem Engagement abhalten: „Ich möchte mich auch nach meinem Auslandsdienst noch weiter engagieren. Das ist mir ein persönliches Anliegen. Mir wurde immer mehr bewusst, welche Verantwortung und Wichtigkeit hinter der Aufgabe des Erinnerns steckt.“
Wahlheimat Regenwald
Im sogenannten „Regenwald der Österreicher“, ein von Professoren er Universität Wien in den Tiefländern Costa Ricas gegründetes Projekt, wird geforscht was das Zeug hält. Auf dem 400ha großen Areal befinden sich die unterschiedlichsten exotischen Tier- und Pflanzenarten so weit das Auge reicht. Inmitten des Naturparadieses steht die „Tropenstation La Gamba“, das temporäre Zu Hause für Auslandsdiener Raffael Winkler.
Von einer sanften Annäherung an die Tropen kann bei Raffael keine Rede sein. Am 01.12.2020 flog der Wiener quasi von einem Tag auf den anderen von der Donaumetropole in den Regenwald. Keine 48 Stunden später wurde er spätnachts von einer Fledermausfamilie auf der Klotür überrascht. „Am Anfang war es sehr ungewöhnlich, ja total beeindruckend, irgendwelche exotischen Tiere zu sehen. Mittlerweile hab‘ ich mich voll daran gewöhnt.“, lacht Raffael.
Gemeinsam mit österreichischen Forscher:innen sowie costa-ricanischen Arbeiter:innen setzt er nachhaltige Projekte langfristig um. Dabei könnten seine Tage unterschiedlicher nicht sein: so ist Auslandsdiener Raffael dort Bauer, Fotograf, Social-Media-Manager, Meteorologe, Bürokraft und nicht zuletzt Taxifahrer für die Beschäftigten in einer Person. „Um 7 Uhr gibt es Frühstück. Das ist meistens Reis mit Bohnen. Danach starte ich so richtig in den Tag. Auf der „finca modela“, einer Farm für Forschungszwecke heißt es zunächst Hochbeete pflegen und gießen, Eier einsammeln und die Katze füttern. Danach kommt jeden Tag eine neue Aufgabe, jeden Tag ein neues, spannendes Abenteuer in der Natur.“

Auch in puncto Sprache kommt Raffael so richtig auf seine Kosten: „In anderen Regionen gilt man als Österreicher als Tourist, hier ist man Bestandteil des Landes. Für mich bedeutet das: Spanisch sprechen, rund um die Uhr.“ Zu seinen Freunden auf der anderen Seite der Erdkugel hat Raffael trotzdem noch Kontakt: „Natürlich machen es die acht Stunden Zeitverschiebung nicht einfacher, funktionieren tut es aber. Meine Freunde kamen mich sogar einmal hier besuchen, das war ein Highlight.“
Das Leben im Regenwald ist mit dem Großstadtdschungel an der Donau wohl kaum vergleichbar. „Es ist einfach alles anders. Gemerkt hat man den Unterschied jeden Tag, ganz besonders waren aber der Heilige Abend und mein Geburtstag hier in der Tropenstation.“ Die Vorteile können sich aber sehen lassen: Nach Dienstschluss zum Beispiel mit dem Mountainbike zu einem Urwaldwasserfall zu fahren, um dort dem Gezwitscher von verschiedensten Vogelarten zuzuhören, kann schließlich nicht jede:r.
Und warum Raffael es kaum rechtzeitig zum vereinbarten Telefonat geschafft hat? „Es saß schon wieder so eine giftige Schlange vor der Tür, die musste ich erstmal wegbekommen“
Bestimmt ist ein Auslandsdienst nicht für jede:n etwas, diejenigen aber, die motiviert und passioniert an die Sache herangehen, haben am Ende nicht nur die Welt ein Stück besser gemacht, sondern können auch wie Vinzenz und Raffael unvergessliche Geschichten erzählen.
Titelbild: Raffael Winkler