Im Zweifel für die Gesundheit
Seit März 2020 sind wir dazu angehalten, möglichst daheim zu bleiben und nur, wenn es absolut notwendig ist – oder wenn es der:die Arbeitgeber:in sagt – Wege auf uns zu nehmen. Zusätzlich ist die Zeit auch beängstigend und insbesondere die Anfangsphase der Pandemie war durch absolute Unsicherheit und Furcht vor dem unbekannten Virus gekennzeichnet. Doch trotz dieser Turbulenzen blieben die österreichischen Behörden fleißig am Werk und so konnten auch während einer globalen Pandemie 3.569 Menschen aus Österreich abgeschoben werden. Das ist zwar ein Drittel weniger als 2019, jedoch hatten wir im Jahr 2020 auch 100% mehr Pandemie als 2019.[1] Aber muss das eigentlich sein, dass Menschen auch während einer globalen Gesundheitskrise abgeschoben werden?
Abschiebeschutz in Österreich
Elementare Norm bezüglich des Abschiebeschutzes in Österreich ist der Art 19 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (GRC), dessen Absatz 2 folgendermaßen lautet: „Niemand darf in einen Staat abgeschoben oder ausgewiesen oder an einen Staat ausgeliefert werden, in dem für sie oder ihn das ernsthafte Risiko der Todesstrafe, der Folter oder einer anderen unmenschlichen oder erniedrigenden Strafe oder Behandlung besteht.“ Die GRC ist auf gleicher Ebene anzusehen wie die Verträge der Europäischen Union, stellen somit Primärrecht dar und sind dadurch unmittelbar gültig für die Mitgliedstaaten.
Dementsprechend muss sich Österreich bei seiner Abschiebepolitik auch an den Art 19 GRC halten. Ein simples Beispiel zum Verständnis: Person X wird in ihrem Herkunftsstaat Y aufgrund ihrer religiösen Zugehörigkeit verfolgt und ihr droht dort aufgrund dessen lebenslängliche Haft. Hier wäre, im Normalfall, eine Abschiebung in den Herkunftsstaat verboten. Eine klassische Frage in der juristischen Beurteilung von Sachverhalten ist die Auslegung der Worte einer Norm, also was bedeutet zum Beispiel unmenschliche Behandlung? Emanuel Matti vom Diakonie Flüchtlingsdienst, schreibt in einem Kommentar zur Grundrechtecharta, dass die Anwendung des Art 19 Abs. 2 GRC auch die allgemeine Sicherheitslage im Herkunftsstaat bereits begründen kann.
Wichtiger für den Pandemiefall, ist aber die weitere Ausführung des Artikels: „Andere objektive Kriterien, die im Zielstaat zu einer Verletzung iSd Art 19 Abs 2 GRC führen können, sind etwa eine Hungersnot oder Umweltkatastrophen.[2] Wenngleich wir uns wohl einig sind, dass eine Pandemie weder eine Hungersnot noch eine Umweltkatastrophe ist, so ist es auch wichtig darauf zu achten, dass dies eine exemplarische Aufzählung ist, man beachte das „etwa“, und dass die Gründe somit auch erweiterbar sind.
Hier wäre eine Erweiterung auf den Begriff „Pandemie“ durchaus plausibel, aber dazu nun mehr.
Erbarmungslose Entscheidungen
Abschiebungen geschehen aufgrund von Rechtsakten, zumeist aufgrund eines Bescheides des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (BFA). Oft werden diese Bescheide aber bekämpft und man kommt dann vor das Bundesverwaltungsgericht und in manchen Fällen auch vor den Verwaltungsgerichtshof.
In einer Entscheidung vom 18. Jänner 2021[3] wies das Bundesverwaltungsgericht die Beschwerde eines Irakers, gegen einen Bescheid des BFA, als unbegründet ab. Mir geht es in der Beurteilung dieses Sachverhalts nicht darum, ob dieser Mensch nun asylberechtigt ist oder nicht, sondern ob eine Abschiebung in den Irak während Covid-19 notwendig ist. Die Gerichte verwenden bei Asylentscheidungen Länderberichte von verschiedenen Behörden oder Organisation, wie z. B. dem EASO – European Asylum Support Office oder auch die Staatendokumentation des BFA, hierzu kann ich auch die Website www.ecoi.net empfehlen, da kann man vieles selbst nachlesen.
Im Bericht „Irak – Zentral sozioökonomische Indikatoren September 2020“ vom EASO ist nachzulesen, dass die Maßnahmen und Folgen der Covid-19-Krise vielen Menschen im Irak die Existenzgrundlage gänzlich rauben und sie somit weder sich selbst noch ihre Familien ernähren können.
Hierzu noch ein weiteres Beispiel: Am 26. Februar 2021 beschloss der Verwaltungsgerichtshof, dass die Rückkehrentscheidung gegen einen afghanischen Staatsbürger konform ist.[4] Hier führt der VwGH aus, dass eine schwierige Lebenssituation im Zielstaat aufgrund von Covid-19 nicht ausreicht um eine Rückkehr unzumutbar zu machen. Das gilt laut dem VwGH bis zu dem Zeitpunkt, wo die Sicherung der existenziellen Grundbedürfnisse als nicht mehr gegeben anzunehmen wäre. Laut dem Bericht „Die COVID-Krise in Afghanistan: Welche Auswirkungen auf die humanitäre und politische Lage?“ der Konrad-Adenauer-Stiftung vom Juli 2020 hat die Covid-19-Situation zu einer sich noch weiter „zuspitzenden Nahrungsmittelkrise in vielen Landesteilen bei gleichzeitig fehlender medizinischer Versorgung“ geführt. Wohlgemerkt hatten bereits 14 Millionen der 34 Millionen Einwohner:innen Afghanistans keinen ausreichenden Zugang zu Nahrung.
Wegfall der Grundlage
Sollte die Pandemie ein Freibrief sein, dass alle Menschen ein fixes Bleiberecht in Österreich bekommen? Wohl nein. Jedoch gibt es den Status des subsidiär Schutzberechtigten, der für all jene Menschen gilt, die kein Recht auf Asyl haben, aber auch nicht abgeschoben werden dürfen, wenn diese Abschiebung z. B. gegen den Artikel 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention verstoßen würde. Ebenjener Art 3 klingt ganz ähnlich wie der oben erwähnte Art 19 der Grundrechtecharta. Dementsprechend können die obigen Ausführungen auch hierbei angewendet werden.
Und all jenen, die sich davor fürchten, dass die Menschen, die aufgrund der Pandemie temporär in Österreich bleiben dürften, dann für immer hierbleiben, lege ich den § 9 Abs. 1 Z 1 Asylgesetz ans Herz: „Einem Fremden ist der Status eines subsidiär Schutzberechtigten von Amts wegen mit Bescheid abzuerkennen, wenn die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht oder nicht mehr vorliegen.“ Also, wenn die Pandemie weg ist, ist auch die Anspruchsgrundlage weg. Wäre es zu viel verlangt, angesichts einer globalen Gesundheitskrise 3.569 Menschen im sicheren Österreich, mit guter Gesundheitsversorgung, zu belassen, bis Covid-19 nachhaltig bekämpft wurde? Definitiv nicht.
Quellen
[1] https://www.profil.at/oesterreich/2020-deutlich-weniger-abschiebungen/401217060
[2] Matti in Holoubek/Lienbacher, GRC-Kommentar2 Art 19 (Stand 1.4.2019, rdb.at)
[3] BVwG I408 2169756-1
[4] VwGH Ra 2021/14/0044-7