
Gesichtsverhüllung: vom Verbot zur Pflicht
Die Maske versteckt, sie verhüllt unsere Gesichtszüge. Gehörte das Verdecken des Gesichts laut dem umstrittenen Anti-Gesichtsverhüllungsgesetz im Jahr 2017 „nicht zu unserer Kultur“, ist es nun seit März 2020 Bestandteil unseres Lebens in Österreich. Im Folgenden werden in keinster Weise die Maßnahmen gegen das Coronavirus an sich hinterfragt, sondern das „Ziel“ und die Glaubwürdigkeit eines Gesetzes, welches in die Religionsfreiheit eingreift.
2017
Wir befinden uns im Jahr 2017, das Anti-Gesichtsverhüllungsgesetz – kurz AGesVG – wird vom österreichischen Nationalrat verabschiedet und somit verbindlich. Gemäß § 1 dieses Gesetzes seien die Ziele „die Förderung von Integration durch die Stärkung der Teilhabe an der Gesellschaft und die Sicherung des friedlichen Zusammenlebens in Österreich.“ Des Weiteren heißt es: “Integration ist ein gesamtgesellschaftlicher Prozess, dessen Gelingen von der Mitwirkung aller in Österreich lebenden Menschen abhängt und auf persönlicher Interaktion beruht.“. Das Ziel ist es also, die Integration zu fördern und laut diesen Überlegungen kann man keine Integration haben, wenn man seine Gesichtszüge versteckt.
2019
Zwei Jahre später gab es bereits das nächste Gesetz, das Verhüllung untersagte. Ab Herbst 2019 galt das Kopftuchverbot in den Volksschulen. Dieses später noch sehr umstrittene Verbot oder Gesetz wurde von den damaligen Regierungsparteien ÖVP und FPÖ – sowie mit 2 Abgeordneten der Parlamentsfraktion JETZT – beschlossen. [1] Das bedeutete, dass „Volksschülerinnen ihr Haupt in der Schule künftig nicht mehr mit einem Kopftuch verhüllen dürfen. Tun sie es doch, droht ihren Eltern eine Verwaltungsstrafe von 440 €.“[2]
März 2020
Es kommt – es ist da. Das Coronavirus hat Österreich erreicht. Neben eventueller Panik und verständlicher Unsicherheit war eines klar: es müssen dringend Maßnahmen gesetzt werden, um dieses Virus aufzuhalten. Sie kam. Die Maske. Mit einem sogenannten – und damals noch sehr unbekannten – Mund-Nasen-Schutz (kurz MNS) waren sich Expert:innen sicher, können wir das Virus eindämmen.
So, nun ist es geschehen. All unsere Gesichtszüge mussten verdeckt werden. Und dann? Gab es ab diesem Zeitpunkt einfach keine Integration mehr? Hinderte die Maske unsere Fähigkeit, miteinander persönlich zu interagieren? Natürlich, es war fremd, es war ungewohnt… Aber fehlte dadurch wirklich die Integration? In der Logik des damaligen Gesetzes müsste die Antwort auf diese Frage ein klares JA sein.
11. Dezember 2020
Während die Corona-bedingte Maskenpflicht für viele längst zur Routine geworden ist, wurde das Kopftuchverbot an Volksschulen gerichtlich angefochten. „Das Kopftuchverbot an Grundschulen in Österreich ist vom Verfassungsgericht des Landes aufgehoben worden. Das Gesetz verstoße gegen den Gleichheitsgrundsatz und sei damit verfassungswidrig“, urteilten die Richter. [3] Das ab Herbst 2019 geltende Kopftuchverbot wurde nun gekippt. Das Gesetz „birgt das Risiko, muslimischen Mädchen den Zugang zur Bildung zu erschweren beziehungsweise sie gesellschaftlich auszugrenzen.“, so der Präsident des Verfassungsgerichtshofes Christoph Grabenwarter. [4] Was heißt das? Es wurde festgestellt, das Kopftuch bzw. die Verhüllung hat keinen negativen Einfluss auf die Integration. Im Gegenteil, das Verbot verhindert die Integration.
Dieses Gesetz musste also aufgehoben werden. Dennoch – die Maske bleibt und auch das umstrittene Anti-Gesichtsverhüllungsgesetz bleibt, mit der oben dargestellten Logik, aufrecht.
25. Jänner 2021
Nun wurde – verständlicher Weise – der „normale“ Mund-Nasen-Schutz durch eine FFP2 Maske ausgetauscht. Die hohen Infektionszahlen rechtfertigen ein Meer an weißen Masken. Die eigene Individualität, die man durch eine bunte selbstgewählte oder selbstgemachte Maske ausleben und darstellen konnte, fällt hier nun gänzlich weg. Haben wir uns nun doch so an die Maske gewöhnt, dass es nun ein Teil unserer Kultur unserer Gesellschaft ist?
Heute und immer
Führt man sich diese Parallelentwicklungen nochmals vor Augen – das Aussprechen eines Gesichtsverhüllungsverbotes, das Kippen eines Kopftuchverbotes und die Maskenpflicht, die uns seit 2020 begleitet – so fragt man sich: ist es wirklich gerechtfertigt, dass Integration noch immer mit der Frage zusammenhängt, ob jemand etwas vor seinem Gesicht hat oder nicht? Integration beginnt bei jeder Person selbst – im Inneren. Das hat nichts mehr mit dem Äußeren zu tun. Das hat nichts mehr mit Maske oder Verschleierung zu tun. Das hat etwas mit der Einstellung Deines Gegenübers zu tun, ob dieser Mensch überhaupt bereit ist, zu integrieren und ob die notwendigen Rahmenbedingungen für Integration gegeben sind. Der Fehler liegt also, wie bereits vermutet, nicht beim Thema der Verhüllung.
Also seien wir offen und bereit zu integrieren. Anders bedeutet nicht schlecht – es bedeutet Vielfalt.
Daher:
Stay safe, wear your mask, and integrate.
Quellen
[1] https://www.parlament.gv.at/PAKT/AKT/SCHLTHEM/SCHLAG/J2019/099NR_Kopftuchverbot.shtml , 02.02.2021.
[2] https://www.parlament.gv.at/PAKT/AKT/SCHLTHEM/SCHLAG/J2019/099NR_Kopftuchverbot.shtml , 02.02.2021.
[3] https://www.zeit.de/news/2020-12/11/oesterreich-kopftuchverbot-an-grundschulen-verfassungswidrig?utm_referrer=https%3A%2F%2Fwww.google.com%2F , 02.02.2021.
[4] https://www.zeit.de/news/2020-12/11/oesterreich-kopftuchverbot-an-grundschulen-verfassungswidrig?utm_referrer=https%3A%2F%2Fwww.google.com%2F , 02.02.2021.