Kenne deine Rechte

Bildungslücke Universität? Eine schrittweise Erkundung der Fragestellung, warum das Sommersemester 2020 so gelaufen ist, wie es eben gelaufen ist


“Inhalte mittels Selbststudium eigens erarbeiten” – klingt spannend… Ist es auch. Nur hat es ganz und gar nichts mit einem inskribierten Studium “an” der Universität zu tun. Man könnte es eher “Eigenständiges googeln anhand einzelner Stichwörter auf Powerpoint Folien nennen”

…Was zuerst nach der subjektiven, überzeichnet dargestellten Erfahrung einer einzelnen Person klingt, geht ebenso als kollektive Beschreibung des Sommersemesters 2020 für viele Studierende der Karl-Franzens-Universität Graz durch.

Überforderung auf allen Seiten

Von Seiten der ÖH heißt es in einem Interview für Kenne deine Rechte, dass es vor allem in den ersten Wochen der Umstellung auf Fernlehre viele Beschwerden von Studierenden aufgrund von fehlenden oder mangelhaften Unterlagen gegeben hätte. Zu Beginn seien die Studierenden damit vertröstet worden, dass der normale Uni Betrieb nach den Osterferien wieder losgehen würde, was dann nicht der Fall war. Viele Lehrveranstaltungen wurden daher bis Ende April gar nicht auf die Fernlehre umgestellt. Später im Semester habe es dann Probleme mit unfairen Prüfungsmodalitäten gegeben, die oftmals im letzten Moment vor einer Prüfung noch geändert worden seien. Außerdem sei vielen Studierenden Schummeln unterstellt worden. “Wir hatten viele Beschwerden wegen unzureichender bzw. lange nicht existenter Fernlehre. Bei einigen Lehrveranstaltungen wurde auch sehr viel Eigenstudium vorgegeben, wobei eigentlich die Vermittlung der Lehrinhalte die Hauptaufgabe der Lehrenden ist. Der Workload für Studierende hat sich sehr erhöht und ich bezweifle, dass die Anzahl der ECTS Punkte, die man für Lehrveranstaltungen bekommt, gerechtfertigt ist oder ob die ECTS Vergabe viel höher ausfallen müsste”, meint Viktoria Wimmer, die Vorsitzende der ÖH.

Wem ist zu danken?

Bei aufwändigeren Lehrveranstaltungen konnten den ratlosen Studierenden teilweise Tutor_innen helfen, die sich ein bisschen was dazuverdienen wollen, indem sie mit einem Arbeitsaufwand von vier Stunden pro Woche und einer geringfügigen Anstellung, Studierenden der niedrigeren Semester bei Fragen zu Inhalten helfen, über die sie selbst die Prüfungen schon hinter sich haben. Im Sommersemester 2020 stieg dieser Arbeitsaufwand von vier Stunden auf neun Stunden pro Woche (nach eigener Angabe von einzelnen Tutor_innen). Dies sei aber keineswegs gefordert worden, eine der Tutor_innen meint beispielsweise, sie habe gesehen, wie schwer es die Studierenden ohne Erklärungen von Professor_innen hatten und habe sich deshalb hingesetzt, um mit einem Kollegen an Erklärungsdokumenten zu arbeiten, die “Niedrigersemestrigen” das Leben erleichtern sollten. Der zusätzliche Verdienst: Dank der Studierenden.

Wer entscheidet?

Die Reaktion der Studentin, wenn man nun beim Lernen für die nächste Prüfung sitzt und sich ärgert, dass es schon wieder keine online Vorlesung zu den Skripten gibt, ist der Versuch, den Professor_innen die Schuld in die Schuhe zu schieben. Man hat ja gehört, dass diese recht viel verdienen würden und es war auch nichts darüber in den Medien, dass dieses Gehalt nun im Sommersemester 2020 gekürzt worden wäre. Bei genauerer Recherche allerdings stellt sich heraus, dass es für diese ebenfalls nicht einfach gewesen sei. Sie hätten teilweise sogar später als einige Studierende erfahren, dass innerhalb weniger Tage alles auf Online-Lehre umgestellt werden musste und zu diesem Zeitpunkt oft bereits keinen Zugang zu Lehrmaterialien mehr gehabt, heißt es von einer Studienvertreterin.

Muss der Unmut der Studentin also doch in eine andere Richtung gelenkt werden? Öfters hat man schon gehört, dass die Entscheidungen von weiter oben kämen. Was ist nun dieses “weiter oben”? Das Rektorat, das Bildungsministerium, die gesamte Politik? Von wem entschieden wurde, was, wie abläuft ist nicht so genau nachvollziehbar, allerdings ist auffällig, dass es zwischen den verschiedenen Universitäten (Tenchnische Universität, Karl-Franzens Universität, Meduni,…) Unterschiede gab, wann die Uni wieder geöffnet wurde. Viele Studierende der KF Uni seien auf die Lernplätze der Meduni ausgewichen, welche viel früher wieder geöffnet hatten. Die Lernplätze der KF Uni hingegen haben erst seit 13.7. wieder geöffnet, nachdem die meisten Prüfungen für viele Studierende schon vorbei gewesen waren. Auch beim Zeitpunkt, ab wann wieder Präsenzprüfungen abgehalten wurden, gab es Unregelmäßigkeiten zwischen den verschiedenen Universitäten.

Wer setzt sich für eine Verbesserung ein?

Während die Studentin des niedrigen Semesters sich also Gedanken darüber gemacht hat, wer Schuld an einem Sommersemester 2020, in dem man sich alleingelassen fühlte, tragen könnte, wurde sich im Hintergrund für die Rechte der Studierenden eingesetzt: Für den ECTS Nachweis bei Studienbeihilfe und Kinderbeihilfe wird das “Corona-Semester” als neutrales Semester gewertet. Von Studienvertretungen wurde sich dafür eingesetzt, dass trotz Corona eine ausreichende Anzahl an Prüfungsterminen angeboten wurde, dass Fristen für Seminararbeiten verlängert wurden, dass Prüfungen nicht deutlich schlechter ausfielen als die Jahre zuvor, dass die Beurteilungskriterien gut kommuniziert wurden, oder dass es Feedbacktools gab. Dafür, dass Studienbeiträge in diesem Semester nicht gezahlt werden müssen/zurückerstattet werden, kämpft die ÖH weiter.

Auch wenn das Sommersemester 2020 nun für die meisten Studierenden bereits (mehr oder weniger) gut überstanden ist, bleibt die Frage: Ist es gerechtfertigt, dass die Universität das ist, was in einer Krise als erstes schließt und als letztes wieder öffnet?


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