Kenne deine Rechte

Aktiv gegen Rassismus vorgehen


Seit der brutalen Ermordung des schwarzen US-Bürgers George Floyd werden vermehrt auf Social Media Bilder, Videos und Informationen geteilt. Die erhöhte Aufmerksamkeit, zuzuhören und sich für das Thema Rassismus zu sensibilisieren, erreicht nun viel mehr Menschen als je zuvor. Doch hilft diese mediale Präsenz oder muss Rassismus anders bekämpft werden? Enrico (@enricoany), ein deutsches, schwarzes Model, zeigt auf seinem Social Media Account, wie er aktiv gegen rassistische Beleidigungen online und offline vorgegangen ist.

Anfang Mai ist ein Video über Sexismus von den deutschen Entertainern Joko und Klaas „viral“ gegangen – der Instagram-Feed war voll damit, fast jede und jeder es geteilt. So schnell das Thema präsent war, so schnell war es dann auch wieder weg. Genau das war meine Sorge bei den Posts über Rassismus, bis ich erfahren habe, dass diese 15 Minuten Sendezeit im Hauptabendprogramm und das intensive Teilen beispielsweise schon dazu geführt haben, Frauen zu erreichen, die unter häuslicher Gewalt stehen und zum ersten Mal Hilfe bei einer im Video vorgestellten Frauenhotline geholt haben.

Beiträge teilen und weiterleiten – eine generelle Präsenz im Web und auch in den traditionellen Medien ist also sinnvoll, auch wenn die Erfolge oft verborgen oder erst später enthüllt werden. Genau mit dieser Einstellung habe ich seit Ende Mai immer wieder Inhalte an Freund*innen weitergeleitet, gemeinsam mit ihnen darüber gesprochen und diskutiert. Am sogenannten #blackouttuesday, einer der größten medialen Aufmerksamkeitskampagnen, fanden sich tausende Menschen weltweit zusammen, um das normalerweise von Werbung und unrealistischen Schönheitsmaßen geprägte Instagram mit schwarzen Bildern zu überfluten. Das geschah als Zeichen der Trauer für diskriminierte und ermordete Black/Indigenous People of Color (BIPOC).

Mit dem Hashtag #blacklivesmatter wird sowohl im Internet als auch bei Demonstrationen Aufmerksamkeit für die Ungleichberechtigung geschaffen. Seit es diesen Hashtag gibt, gibt es auch eine Gegenbewegung, die die Aussage #alllivesmatter, also „alle Menschenleben sind wichtig“, vertritt. Gerade das trifft die BIPOC-Community hart, denn mit #blacklivesmatter wird kein Privileg, sondern eine Gleichberechtigung und gleiche Anerkennung in der Gesellschaft angestrebt. #alllivesmatter hört sich schön und gut an, ist aber auch Ausdruck von Rechtsradikalen und Xenophob*innen, die ihren Rassismus-Gedanken mit falsch platzierten Menschenrechts-Aspekten beschönigen wollen.

Genau solch ähnliche Aussagen tätigte eine Frau aus Deutschland mit ihrer Freundin online in ihrer Instagram-Story. Nicht nur regten sie sich über die jüngsten Entwicklungen in den USA auf und verharmlosten den Tod von George Floyd, sie verbreiteten auch Argumente wie „Wenn sich Schwarze endlich richtig verhalten würden, würden wir sie ja gleichbehandeln“ oder „Ihr sollt euch kultiviert benehmen“. Sie betonten dann aber immer, dass sie alle Menschen gleichbehandeln und wertschätzen würden. Als Enrico, ein deutsches, schwarzes Model, zufällig auf das Video in der Insta-Story gestoßen ist, verspürte er, dass er etwas dagegen tun musste. Er schrieb einer der Frauen, die das Video gepostet hat, eine Nachricht und fasste darin die Aussagen zusammen und zeigte ihr auf konstruktive und sachliche Art auf, wie beleidigend diese Worte für schwarze Menschen sind. Enrico hat den ganzen Chat und die Statements der Frau gespeichert und auf seinem Instagram-Profil hochgeladen. Währenddessen hat eine von den Frauen begonnen, ihre Nachrichten und Sprachaufnahmen wieder zu löschen, in denen sie von Gewaltaufrufen an Schwarze gesprochen hat. Ihm hat sie schlussendlich vorgeworfen, dass er ihr die Worte im Mund verdrehe.

Das war für Enrico Anlass genug, am nächsten Tag mit den Screenshots und Sprachnachrichten zur Polizei zu gehen. Die gespeicherten Nachrichten wurden angehört, aufgenommen und Anzeige erstattet. Am Nachmittag veröffentlichte er dann ein Video, in dem von der Aktion erzählte und Menschen aufrief, auch offline gegen Rassismus aktiv zu werden. Ein Online-Wortwechsel kann zwar stattfinden, doch wenn es in eine Odyssee an diskriminierenden Beleidigungen ausufert, sei die Diskussion sinnlos.

Enricos Video hat bis jetzt über 100.000 Aufrufe. Darunter viele Kommentare, in denen sich Menschen bedanken, dass er nicht geschwiegen, sondern reagiert hat. Er meint: „Das ist genau der Fehler, den wir die letzten Jahre immer gemacht haben. Man muss aktiv dagegen vorgehen. Das ist der einzige Weg, um eine Veränderung zu schaffen.“

Ich konnte Enrico in den Tagen nach dem Vorfall direkt über Instagram erreichen und ihm einige Fragen zu seinem Vorgehen stellen.

Was genau hat dich am Instagram-Story verletzt und wie bist du vorgegangen?

Was mich sofort persönlich verletzt hat, war, dass sie in ihrer Story den Tod von George Floyd verharmlost und einfach die ganzen Demonstrationen als komplett unnötig angesehen hat. Wer so ein Weltbild hat, da kann irgendwas nicht stimmen, und das hat mich verletzt, so etwas zu hören, und das dann auch mit krass gemeinter Ernsthaftigkeit. Da habe ich keine Worte mehr, einfach unglaublich frech und falsch, dass ich da erstmal was dagegen machen wollte. Daraufhin habe ich mich dazu entschieden, das in meine Story zu packen und vor allem das Ganze zu kommentieren, wie man im Jahr 2020 Rassismus verharmlosen kann. Die ganzen Worte von ihr fand ich einfach schlecht und ich habe es mir zu Herzen genommen, das den Leuten klarzumachen, dass es auch in deutschsprachigen Raum solche Leute gibt, die so einen Bullsh*t reden.

Hat dich jemand darin unterstützt, aktiv gegen diese Ungerechtigkeit vorzugehen?

Ich bin zwar alleine auf den Gedanken gekommen, etwas dagegen zu tun, allerdings sieht man ja bei den Kommentaren, dass mich viele unterstützt haben. Ich bin überwältigt, dass es so weite Kreise gezogen hat und ich dadurch viele neue Kontakte knüpfen konnte. Zudem wurde ich motiviert, weiter daran zu arbeiten. Es gibt einige bekannte Leute, die mich unterstützen und mir eine Reichweite geben.

Wie ist das Gespräch mit der Polizei abgelaufen?

Ich bin in die Hauptwache einer Zentrale hineingegangen. Die Polizistin hat mich gefragt, was alles passiert ist. Ich hab mir in der Nacht davor alle Bildschirmaufnahmen und Nachrichten gespeichert und alles rausgeschrieben.  Nachdem wir das alles durchgegangen sind, hat die Polizistin mir mitgeteilt, dass sie den Staatsschutz kontaktiert, der auf mich zukommen wird. Man hat mir versichert, dass man das ernstnimmt. Zudem wurde mir auch mitgeteilt, dass Anzeigen genau gegen diese Frau bereits laufen. Ich bin sehr positiv gestimmt und erwarte mir ein zufriedenstellendes Ergebnis. Auf Instagram haben mir auch viele geschrieben, dass sie mir bei der Suche eines Anwalts helfen würden, aber das ist in diesem Fall nicht nötig. Es ist natürlich schön zu hören, dass, sollte es zu einer Gerichtsverhandlung kommen, es Menschen gibt, die mich dabei unterstützen würden.

Was möchtest du anderen BIPOC bzw. diskriminierten Menschen weitergeben und was hast du daraus gelernt? 

Ich möchte an alle Diskriminierten appellieren, dass man aktiv werden soll. Dass man nicht nur zuhört und nicht diskutiert – dieses Diskutieren bringt nichts, solche Menschen sind einfach stur, da kann man diskutieren, wie man will, die werden auch nicht dazulernen. Das einzige, was etwas bringt, ist, wenn Menschen sehen, dass die ganze Sachen Konsequenzen hat. Genau an meinem Beispiel sollten manche sehen, dass rassistische Beleidigungen keine gute Idee sind. Diskriminierte sollten sich auf keinen Fall alleine fühlen und denken, dass sie nichts dagegen machen können.

Enrico möchte diskriminierte Menschen ermutigen, sich Hilfe zu holen und ihre ungerechte Behandlung aufzuzeigen. In Zeiten, in denen nicht jede Polizeizentrale wie die bei Enrico reagiert, sollte der Fokus zudem auf mehr Empathie, Zusammenhalt und vor allem Menschlichkeit gelenkt werden. Von großen Demonstrationen bis hin zum Teilen eines Posts kann mitgewirkt werden für eine Sensibilisierung, für Anerkennung und Gleichberechtigung – für eine Veränderung, die sich die BIPOC-Community schon seit hunderten Jahren wünscht.

Du kannst auch aktiv werden gegen Rassismus im Netz – sicher und schnell. Auf der Seite der Antidiskriminierungsstelle Steiermark findest du Meldeformulare sowie den Verweis auf die App „Ban Hate“, mit deren Gründer wir schon mit Kenne Deine Rechte vor Jahren ein Interview über die App geführt haben. In anderen Bundesländern finden sich ebenso Antidiskriminierungsstellen sowie Antidiskriminierungsbeauftragte, die du kontaktieren kannst.


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