Kenne deine Rechte

Bildung – (k)eine Privatsache?


Österreich ist in der Krise – die Corona-Pandemie zwingt uns wie nie zuvor, unseren Alltag radikal umzustellen und vermeintliche Gewissheiten zu hinterfragen. Doch nicht nur das, die Krise agiert wie ein Brandbeschleuniger und zeigt uns gnadenlos, wo es auch davor schon gebrannt hat. Einer diese Bereiche ist das Bildungswesen und die damit verbundene Gretchenfrage: Nun sag, Österreich, wie hast du’s mit der Bildung?

Leere Gänge, staubige Klassenzimmer. An den meisten Schulen in Österreich herrscht im Moment Totenstille. Was zunächst nach Sommerferien oder dem Traum so mancher Schüler*innen klingt, ist der aktuellen Corona-Krise Realität. Bis auf Weiteres ist ein großer Teil des Schulbetriebs in Österreich lahmgelegt. Für viele Kinder und Jugendliche heißt das Homeschooling, stundenlanges Sitzen vor dem Laptop und vor Arbeitsmaterialien – ein Zugang, der stark an die Autonomie und Mittel der Jugendlichen, aber auch an die Unterstützung deren Eltern gebunden ist. Auf den ersten Blick klingt das nach einer Revolution des Unterrichts. Auf den zweiten Blick entpuppt sich die momentane Situation aber eher als Beispiel dafür, wie wichtig ein starkes öffentliches Bildungssystem ist, das allen Schüler*innen Zugang zu qualitätsvoller Bildung gewährt. Durch das Aussetzen des Unterrichts im konventionellen Klassenzimmer und den Umstieg auf Distance-Learning im Zuge der Corona-Krise zeigen sich nämlich jene Probleme, die in unserem Schulsystem schon seit Jahren schlummern, deutlicher denn je.

Die Basis unseres öffentlichen Schulsystems wurde vor fast 250 Jahren gelegt: 1774 kam es unter Maria Theresia zur Schulreform und damit zur Einführung der allgemeinen Unterrichtspflicht. Sechs Jahre lang sollte jedes Kind in die Schule gehen und so das allgemeine Bildungsniveau im Land angehoben werden. Bildung wurde damit auch jenen zugänglich gemacht, die sich teuren Privatunterricht durch Hauslehrer nicht leisten konnten.

Fast forward ins Jahr 2020. Die Unterrichtspflicht besteht immer noch. Der Schulbesuch ist nicht länger ein Privileg, sondern vielmehr zur Selbstverständlichkeit geworden. Und doch zeigt die aktuelle Krise, dass vor allem im Falle des Wegfalls des öffentlichen Schulsystems gesellschaftliche Ungleichheiten noch viel deutlicher zutage treten. Kindern aus Familien mit niedrigem sozio-ökonomischen Hintergrund fehlt es aktuell oftmals an den nötigen technischen Ressourcen oder an Unterstützung vonseiten ihrer Eltern, die durch den fehlenden Kontakt mit Lehrpersonen dringend benötigt wird. Denn für viele Eltern ist die Fülle an neuen Herausforderungen, die durch die Krise entstanden sind, kaum zu bewältigen. Überdies fehlt es vielen auch an den nötigen Kompetenzen, die es ihnen erlauben würden, ihre Kinder in schulischen Belangen zu unterstützen. Eine Rückkehr in die Schulnormalität ist deshalb nötig, und zwar so bald wie möglich.

Aber auch wenn wir wieder zur Realität zurückgekehrt sein werden, werden wir uns die Frage stellen müssen, wie exklusiv Bildung in Österreich in den letzten Jahren geworden ist. Denn der Privatschulsektor boomt, und das trotz durchaus beachtlicher Schulbeiträge – durchschnittlich 60€ bis 90€ pro Monat, wie die Arbeiterkammer festhält. Dabei ist die Unterrichtsqualität in privaten Bildungseinrichtungen meist durchaus vergleichbar mit jener in öffentlichen Schulen. Vielmehr als um akademische Qualität gehe es den meisten Eltern, die ihre Kinder in eine Privatschule schicken, um die „richtigen“ sozialen Netze, so der Bildungsforscher Stefan Hopmann (Universität Wien) im Gespräch mit der Tageszeitung „Die Presse“.

Doch Schule sollte nicht ein Ort sein, an dem soziale Segregation praktiziert wird. Vielmehr ist sie ein Ort des gemeinsamen Lernens, an dem Kinder mit verschiedenen Hintergründen einander begegnen und voneinander profitieren können. Eine stärkere soziale Durchmischung wäre also wünschenswert, wird aber u.a. durch die Bindung an Schulsprengel[1] nahezu verunmöglicht. Besonders in größeren Städten finden sich deshalb – meist örtlich konzentriert in bestimmten Bezirken – sogenannte „Brennpunktschulen“, an denen zahlreiche Kinder aus bildungsfernen Familien aufeinandertreffen. Wer es sich leisten kann, schickt sein Kind dort auf eine Privatschule und trägt somit – gewollt oder nicht – dazu bei, dass sich an den öffentlichen Schulen hauptsächlich sozial benachteiligte Kinder wiederfinden.

Diesem Problem entgegenzuwirken ist durchaus nicht einfach. Geldspritzen für Brennpunktschulen sind dringend notwendig, können aber keine Langzeitlösung sein. Vielmehr bräuchte es eine sinnvolle Stärkung des gesamten öffentlichen Schulsystems, damit dieses wieder Anreize für alle bietet. Wichtig dafür wären bessere Betreuungsverhältnisse und der Ausbau der Ganztagsschule, damit sich Lehrende ihren Schüler*innen intensiver widmen können, mehr Schulsozialarbeiter*innen und eine verstärkte Einbindung von Schulpsycholog*innen. Dieses Supportnetz und eine verschränkte Ganztagsschule bieten genau das, was so vielen in der aktuellen Krise fehlt: schulische wie auch persönliche Unterstützung sowie Zugang zu Ressourcen wie Büchern und Technik, die viele Jugendliche zuhause nicht vorfinden. Überdies braucht es Angebote, die es den Schüler*innen ermöglichen, ihre individuellen Talente und Begabungen zu fördern und an Schwächen zu arbeiten. Auch eine Loslösung vom Schulsprengelsystem in größeren Städten ist durchaus ein Ansatz, der diskutiert werden sollte. Das sollte jedoch ohne Stigmatisierung und mit Rücksicht auf realistische Distanzen passieren – für den Schulbesuch täglich an das andere Ende der Stadt zu pendeln ist wohl kaum zielführend.

Bewusstsein für diese Problematik und die möglichen Lösungsansätze besteht in der österreichischen Politik schon seit Jahren. Ein durchaus schmerzhaftes Bewusstsein, denn eine Bildungspolitik, die unser Bildungssystem so umkrempelt, dass es qualitativ hochwertige (Aus-)Bildung bei gleichzeitiger Förderung und Forderung der Schüler*innen nach ihren individuellen Bedürfnissen liefert, würde kosten. Und zwar viel. Dafür müsste eine ordentliche Stange Geld in die Hand genommen werden. Aber das will keiner so wirklich. Also werden punktuell Investitionen getätigt, die Probleme nur kurz- oder mittelfristig aus dem Weg schaffen. Richtig zukunftsfähig wird das System nicht gemacht.

Doch gerade ein zukunftsfähiges öffentliches Schulsystem wäre dringend nötig. Denn eine Investition in Bildung ist – wie so oft gepredigt und leider so selten praktiziert – eine Investition in die Zukunft. In der aktuellen Corona-Krise sind Rieseninvestititonen das Gebot der Stunde. Ob es eine wahre Bildungskrise brauchen wird, damit endlich in das Schulsystem investiert wird?


[1] Kinder in Österreich sind grundsätzlich dazu verpflichtet, die ihrem Schulsprengel (= Schulbezirk) zugeordnete Pflichtschule zu besuchen.


Quelle

Bayrhammer, B. (2020). Privatschulen werden weiter wachsen. https://www.diepresse.com/5771159/privatschulen-werden-weiter-wachsen?from=rss


Das könnte dich auch interessieren