
Mit Geschichte spielt man nicht
Darf die historische Genauigkeit ignoriert werden, um einem Medium einen Unterhaltungsfaktor zu verleihen? „Hunters“ mag zwar einen bekannten Cast liefern, dennoch sind viele Aspekte der Serie kritisch zu betrachten.
Die kürzlich veröffentlichte Amazon-Prime Serie „Hunters“ wird derzeit wegen vielen Aspekten kritisiert und spaltet die Meinungen der Zuschauer*innen. Die Serie spielt Ende der 70er Jahre und beschäftigt sich mit sogenannten „Nazijäger“, die sich auf eine Mission der Rache begeben und untergetauchte Nazibeamten jagen, welche sich in den USA ein neues Leben geschaffen haben. Ein sogenanntes „viertes Reich“ zu erbauen ist das Ziel dieser Nazis, die sich in viele verschiedene Institutionen geschlichen haben, unter anderem auch in die US-Regierung. Der Protagonist ist Serie ist Jonah Heidelbaum (Logan Lerman), dessen Großmutter am Beginn der Serie von einem Nazi ermordet wurde. Von diesem Erlebnis angeleitet schließt er sich den „Hunters“ an. Die selbsternannten Nazijäger werden von dem Holocaust-Überlebenden Meyer Offerman (Al Pacino) angeführt, der seine eigene Zeit im KZ Auschwitz-Birkenau und die seiner Mitgefangenen, Jonah’s Großmutter, rächen will.
Viele der Charaktere wie Meyer Offerman und Johan‘s Großmutter bringen als Opfer der Shoah (Holocaust) auch ein eigenes Rache-Motiv mit sich. Ihr eigenes Motiv verstricken sie mit Rache für alle Opfer der Shoah, für die sie sich als ehrliche Rächer der Verluste empfinden. In der Serie werden auch immer Erlebnisse der Charaktere, welche alle übrigens frei erfunden sind, im ehemaligen Konzertrationslager mit Hilfe von Rückblicken dargestellt, um dem/der Zuschauer*in einen Einblick in die Gräueltaten des NS-Regimes zu ermöglichen. Allerdings haben gewisse Szenen und Praktiken, die in der Serie dargestellt werden, niemals nachweislich stattgefunden und somit wird mit Geschichte gespielt. So wird zum Beispiel eine frei erfundene Szene eines brutalen Schachspiels mit menschlichen Figuren hergenommen, um die Brutalität der Nazis darzustellen. Dies wurde sehr deutlich vom Auschwitz Museum kritisiert, denn genau so etwas kann Holocaust-Gegnern und desweitern Freiraum geben, um ihr Gedankengut zu verbreiten und dieses Beispiel als Beweis herzunehmen.
Die Serie hantiert falsch mit Fakten und Erlebnissen und kann daher nur als Realfiktion bezeichnet werden. In der Beschreibung von „Hunters“ wird erwähnt, dass die Serie auf wahren Begebnissen beruht und teilweise mag dies auch stimmen. Viele Nationalsozialist*innen sind tatsächlich nach Ende des 2. Weltkrieges untergetaucht, führten ein normales Leben und kamen straffrei mit ihren Taten davon. Unter diesen Menschen war zum Beispiel auch Josef Mengele, welcher als Arzt unter anderem eine grausame Zwillingsforschung im SS-Lager im KZ Auschwitz-Birkenau betrieb. Er verstarb Ende der 70er Jahre in Brasilien ohne jemals für seine Taten verurteilt zu werden. Der Eichmann-Prozess und die daraus folgenden Theorien der Banalität des Bösens von Hannah Arendt spielten tatsächlich im Erschaffungsprozess der Serie eine große Rolle.
Hannah Arendt erläutert in ihrem 1963 erschienenen Buch „Eichmann in Jerusalem. Ein Bericht der Banalität des Bösens“ die Manipulation des NS-Regimes und wie angesichts dessen Täter zu Opfern werden können. Arendt erkennt, dass es manchmal schwierig ist einen einzelnen Menschen für den gesamten Mechanismus des Regimes/eines totalitären Staates zu verurteilen, wie es zum Beispiel bei der Verurteilung von Eichmann, der für die Gefangenentransporte der Konzentrationslager verantwortlich war, der Fall war. Vielmehr ist hierdie Moral eines Einzelnen gefragt. Ist es moralisch vertretbar sich Verpflichtungen hinzugeben bei denen Andere zu Schaden kommen, man aber seine eigene Familie oder das eigene Leben in Sicherheit wiegt? Angesichts solcher Hintergründe entwickelt man als Zuschauer*in der Serie teilweise sogar Mitgefühl gegenüber den Nazis in der Serie, die durch die Rachegefühle der Nazijäger ihr Ende finden.
„Hunters“ verdreht Geschichte, versucht Realität sowie den grausamen Geschehnissen des Holocausts einen Unterhaltungsfaktor zu entlocken. Auf der anderen Seite liefert die Serie jedoch auch einen vielseitigen Plot und mag vielleicht an Quentin Tarantinos Kultklassiker Inglorious Basterds erinnern. Dennoch überwiegen die Nachteile, denn es kann zu gravierenden Folgen kommen, wenn Geschichte falsch inszeniert wird oder verändert wird. Mit Geschichte spielt man einfach nicht.