Kenne deine Rechte

Goliath fällt


Unser Land, ganz Europa, ist paralysiert. Alles steht still, fast alles, wegen einem Virus, der noch bis vor wenigen Wochen jeden Witz wert war. Und jetzt? Was geschieht nach dem Ende der Pandemie?

Seitdem die bundesweiten Ausgangsbeschränkungen gelten hat sich das komplette Leben der Österreicher*innen verändert. Alles ist im Ruhemodus, eine Art verspäteter Winterschlaf. Eine Ruhepause für jede/n einzelne/n, von einem winzigen Mikroorganismus aufgebürdet. Ironisch, nicht? Dass die ungeschlagene Spezies Mensch, der es gelang, sich einen gesamten Planeten zu unterwerfen, Natur zu verändern, Tiere zu bändigen, ins Weltall zu fliegen, von einem Virus in die Knie gezwungen wird, der Prinzipiell „nur so was wie eine Grippe ist“ (Aussage eines Deutschen Virologen noch vor wenigen Wochen). Internationale Medien verurteilen diesen Vergleich, sind entsetzt, als Humoristen von einer Ameise sprechen, die den Geparden im Wettrennen bezwingt. Als wäre das ein neues Modell, schließlich hat noch niemand etwas von David gegen Goliath gehört, ganz klar.

Vielleicht ist es überspitzt, aber zweifelsfrei zutreffend zu behaupten, der Mensch sei Opfer seiner eigenen Überheblichkeit geworden. Ihm ist bewusst, was Menschen untereinander zerstören können, ihm ist bewusst, was die Natur zerstören kann, aber er lässt außer Acht was geschieht, wenn sich die Natur dem größten Vorteil des Menschen ermächtigt, den er je erarbeiten konnte: der Globalisierung.

Niemand hat im Jänner besorgt gen Osten geblickt und erste Befürchtungen geäußert. Da war die Generation Zwischenkriegszeit schon mehr auf der Hut, vor „der gelben Gefahr“. Sie werden jetzt erschrocken die Luft einziehen und die Zitierten des Rassismus bezichtigen. Sie haben Recht, es war Rassismus. Doch in erster Linie war es Angst vor dem Unbekannten. China ist so weit weg, Wien-Peking, das sind 7.456 km. Doch sie haben etwas vergessen. Es sind weniger als 10 Stunden mit dem Flugzeug. Weniger als 10 Stunden und das Virus hätte Österreich erreichen können. Es dauerte fast 3 Monate, Glück gehabt, so konnten wir uns gut davor wappnen. Haben wir aber nicht, wir haben abgewartet, Witze gerissen wenn jemand hustete und uns heiter des Lebens erfreut. Nicht einmal als die Schulen geschlossen und Arbeitskräfte beurlaubt wurden, kehrte Nachsicht ein, nein. Die Menschen genossen ihren freien Tag zusammen mit ihren Freund*innen und Bekannten in der Frühlingssonne, Tuch an Tuch liegend im Park. Vielleicht waren es die gleichen Freund*innen und Bekannten, die 8 Tage später Klopapier und Nudeln auf Lebenszeit kauften und den Diskontern den wahrscheinlich größten Umsatz der letzten Jahre einbrachten, wer weiß.

Wer weiß, ob es die gleichen Freund*innen sind, die etwa als Mitarbeiter*innen des ORF 14 Tage im Sendestudio campieren werden, abgeschottet von ihren Familien. Niemand kommt raus, niemand kommt rein.

Wer weiß, ob es Mitarbeiter*innen einer Lebensmittelkette sind, die Tag für Tag Gefahr laufen sich zu infizieren.

Diese Freund*innen aus dem Park könnten wir alle sein. Pensionist*innen, denen scheinbar nicht klar ist, dass sich die gesamte Gesellschaft zu ihrem Schutz zurückzieht, sonst würden sie wohl kaum wegen einem läppischen Croissant zum nächsten Supermarkt gehen. Schüler*innen, insbesondere Maturant*innen, die sich Tag für Tag „selbst“ unterrichten dürfen und sich zurecht fragen, was in diesen Wochen mit ihrer Zukunft passiert.

Denn es ist nicht erst seit Matthias Horx gewiss, dass unser Leben n.C., nach Corona, nicht im Geringsten so sein wird wie zuvor.

Vielleicht werden wir, von Entzugserscheinungen geplagt, sofort wieder in die Einkaufzentren stürmen, auf die Flughäfen, in die Jets in die Karibik, sozusagen als Erholung von der Erholung, man versteht sich. Vielleicht auch China, die Flüge dorthin werden bestimmt ein Schnäppchen.

Vielleicht werden unzählige Arbeitskräfte entlassen, weil man nach Corona erkennt wie überraschend gut man ohne sie den Motor des Unternehmens am Laufen halten konnte. Eine Aussage, die nun vielleicht auch auf viele Lehrer*innen zutrifft.

Ein Jammer.

Denn eigentlich könnte es auch anders laufen: Vielleicht sehen wir, wie viel Pendler-Abgase man sich sparen kann, wenn man seinen Mitarbeiter*innen Homeoffice ermöglicht. Vielleicht sehen wir, dass wir den Massenkonsum überhaupt nicht vermisst haben. Vielleicht werden wir gelassener, ruhiger, weil wir gesehen haben wie schwer es ist eine Pause einzulegen, wenn man es nicht gewohnt ist.

Und vielleicht, nur vielleicht, erkennen wir, wie leicht der große Unbesiegbare, der fehlerlose Homo Sapiens, zu besiegen ist.

Wer weiß.


Matthias Horx  – 48 – die Welt nach Corona


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