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Welt ohne Gitter – Ausbruch aus dem Konzept Gefängnis


Ein Mörder auf freiem Fuß? Ein Betrüger, der keinen Tag hinter Gittern verbringen muss? Allein der Gedanke daran klingt wie eine Utopie, gerade in Zeiten, in denen von Politik und Gesellschaft härtere Strafen gefordert werden. „Wegsperren für immer“, ist eine Forderung, die man in sozialen Medien regelmäßig liest, bei vermeintlich geringen Strafen fallen häufig Wörter wie „Kuscheljustiz“. Doch der Strafvollzug wird den gesellschaftlichen Erwartungen nicht gerecht. Immer mehr Experten sagen deshalb dem Gefängnis den Kampf an.

Das Gefängnis gibt es wohl schon so lange wie Gesellschaften selbst. Einst war es ein Mittel zum Zweck. Verbrecher wurden festgehalten um sie anschließend zu foltern oder umzubringen. Erst viel später etablierte sich der Gedanke, dass der Freiheitsentzug an sich den Zweck der Bestrafung übernehmen soll, von barbarischen Sanktionen ist unsere Gesellschaft schon weit entfernt.

Warum strafen wir?

Doch gerade weil die Institution Gefängnis schon so alt ist, dass sie kaum noch wegzudenken ist, gilt es zu hinterfragen was die Freiheitsstrafe eigentlich bezweckt.
Die klassische Kriminologie findet dazu klare Worte. Einerseits dient sie dem Opferschutz. Während jemand hinter Gittern sitzt, kann er keine Straftaten begehen. Andererseits hat die Strafe spezial-, und generalpräventive Gründe. Konkret soll sie also die Abschreckung beim Täter selbst und in der Gesellschaft bewirken. Ein kurzer Blick in die Statistik zerreißt diese Vorstellung aber in der Luft. Laut Statistik Austria wurden im Jahr 2013 53,3% der Straftäter, die aus einer unbedingten Haft entlassen wurden, erneut straffällig.[1] Auch die Abschreckung durch hohe Strafen scheint es nur auf dem Papier zu geben, was ein kurzer Blick in die USA verrät. Straftaten sind dort nämlich ausgerechnet in jenen Staaten häufiger, in denen noch die Todesstrafe verhängt wird.[2]

Der Mythos Resozialisierung

Im modernen Strafvollzug liegt der Fokus aber ohnehin auf der Reintegration von Straftätern in die Gesellschaft. Doch genau hier liegt ein Geburtsfehler des Gefängnisses . Man sperrt Kriminelle zu anderen Kriminellen und erhofft, dass sie dadurch weniger kriminell werden. Das Gefängnis ist kein Ort, der die reale Welt abbildet, eine Resozialisierung in die „echte“ Gesellschaft wird daher trotz aller Maßnahmen und Bemühungen fast unmöglich. Nach dem letzten Tag im Strafvollzug hat der Staat keinen Zugriff mehr auf den Täter. Dieser Umstand gepaart mit der hohen Rückfallquote lässt nur den Schluss zu, dass Kriminelle nach der Entlassung nahezu gleich gefährlich sind, wie vor der Haft.

Kann eine gefängnislose Gesellschaft funktionieren?

Wenn also alle Zwecke, die der Strafvollzug verfolgt, nicht erfüllt werden, stellt sich unweigerlich die Frage, warum es ihn überhaupt noch gibt. Die Antwort erscheint wenig rational, aber erklärt warum es Gefängnisse schon so lange und überall gibt. Es ist der Gedanke an Vergeltung und Rache, der tief in uns verankert ist, und ihn daher zum wohl wichtigsten Strafmotiv macht. Thomas Galli, ein bayrischer Jurist und ehemaliger Gefängnisdirektor, kritisiert diesen Umstand schon lange. Er fordert, man solle weg vom Gedanken der Verbüßung, hin zum Gedanken der Wiedergutmachung kommen. Ähnlich sieht das auch der österreichische Verein für Resozialisierungshilfe NEUSTART[3], der immer wieder lange Haftstrafen und mangelnde Resozialisierung in der Haft kritisiert.[4]

Dass es aber auch anders geht, beweist etwa die Justizanstalt Bastøy in Norwegen. Hier leben selbst schwere Straftäter, zwar abgeschottet von der Gesellschaft, aber im Grunde frei miteinander und haben einen geregelten Alltag. Die Zahlen sprechen für das Modell. Häftlinge aus Bastøy haben die geringste Rückfallquote Europas.[5]

Zugegeben: eine Welt ohne Gefängnisse scheint utopisch und wäre in einzelnen Fällen wohl nicht adäquat. Aber es ist eine Utopie, die einen Gedanken wert ist. Auch in Österreich rückt man immer mehr vom Konzept der Schuldverbüßung hinter Gittern ab. Elektronische Überwachung mittels Fußfessel, Tatausgleich und gemeinnützige Arbeit sind auch hier bewährte Alternativen zum klassischen Vollzug. Das Gefängnis wird es wohl noch lange geben. Aber die Einsicht über dessen Nachteile scheint immer größer zu werden.

Weitere Quellen:

Video (TED Talk von Thomas Galli): https://www.youtube.com/watch?v=U8QwHbbvYGc

Foto: https://de.freeimages.com/photo/captive-1307067


[1] http://www.statistik.at/web_de/statistiken/menschen_und_gesellschaft/soziales/kriminalitaet/index.html

[2] https://kurier.at/chronik/oesterreich/der-gefaengnisdirektor-der-gefaengnisse-abschaffen-will/221.018.848

[3] https://www.neustart.at/at/de/ueber_uns/unser_verein.php

[4] https://www.blickpunkte.co/gesellschaft-ohne-gefaengnisse-utopie-oder-zukunftsmodell/

[5] Ebda.


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