Kenne deine Rechte

How just is your ETHOS Conference?


Eine weibliche Übersetzerinnenstimme hallt dumpf und bedeutungsschwer durch den Raum. Das Studio des ORF Steiermark ist gefüllt mit Menschen verschiedenster Herkunft und Altersgruppen, allesamt mit Headsets und Notizblöcken ausgestattet. Man hat schlagartig den Eindruck, dass hier etwas Wichtiges vor sich geht. Sogar man selbst fühlt sich, auch ohne Fachwissen oder akademischen Abschluss, sofort ebenfalls „wichtig“, einfach aufgrund der Tatsache, Mensch zu sein.

Bei diesem Szenario kann es sich nur um die ETHOS Abschlusskonferenz handeln, die am Freitag, dem 15. November 2019, im ORF Landesstudio Steiermark stattfand. Für das EU Forschungsprojekt kooperierte das ETC Graz, Geschäftsstelle des Menschenrechtsbeirats, mit Universitäten aus den Niederlanden, Portugal, Großbritannien, der Türkei und Ungarn, um ihren forschenden Blick „Towards a European Theory of Justice and Fairness“ zu richten. Über 3 Jahre hinweg wurde in verschiedensten europäischen Ländern die Lage und Dynamik der dort herrschenden Gerechtigkeit analysiert. Dazu wurde auch eine App entwickelt, die individuelle Gerechtigkeitswahrnehmungen visualisiert. Getitelt wird mit „How just is your world?“

Doch was ist Gerechtigkeit überhaupt? Wäre beispielsweise eine Welt gerecht, in der alle Menschen mit demselben Qualifikationsprofil dasselbe Einkommen erhielten, aber nicht alle Individuen politisch mitbestimmen dürften? Wäre alles gut, wenn rechtlich eine hundertprozentige Gleichstellung aller erreicht, aber Diskriminierung auf privater Ebene dennoch existent wäre? Wohl eher nicht!

Das ETHOS Forschungsteam antwortet auf die Diskrepanz rund um die Definition von Gerechtigkeit mit einer „dreifaltigen“ Gerechtigkeitstheorie: Gerechtigkeit äußert sich in drei Aspekten des Lebens: Verteilung (Wem stehen welche Ressourcen zur Verfügung?) , Anerkennung (Wessen Identität und Bedürfnisse werden anerkannt?) und Teilhabe (Wessen Stimme wird gehört?)

. Diese Aspekte sind ineinander verschränkt, verstärken sich gegenseitig, können aber auch miteinander in Konflikt geraten.

Die OrganisatorInnen der Abschlusskonferenz des Projekts taten, was in ihrer Macht stand und gingen vor allem in Bezug auf die Aspekte Anerkennung und Teilhabe mit gutem Beispiel voran: Die ca. 80 TeilnehmerInnen der Konferenz, die vielfältiger nicht hätte sein können, wurden aufgefordert, fast schon gedrängt, miteinander in Dialog zu treten. Dazu wurde die besondere Diskussionsform einer „fishbowl“ gewählt, wobei ein äußerer Kreis an ZuschauerInnen mit einem inneren Kreis an DiskutantInnen jederzeit ausgetauscht werden konnte, wenn ein Stuhl der Diskussionsrunde frei wurde und jemand aus dem Publikum etwas zu sagen hatte.

Innerhalb dieser Form der Diskussion wurde eine Vielzahl an Fragen diskutiert wie zum Beispiel: Ist es überhaupt möglich, Gerechtigkeit in Europa allein zu haben, wenn diese mit der Ausbeutung anderer Staaten der Welt verknüpft sein könnte? Was kann die EU tun, um eine gerechtere Gesellschaft zu erreichen? Warum fühlen sich so viele Menschen nicht von demokratisch gewählten PolitikerInnen repräsentiert? Kann Demokratie in einer kapitalistischen Welt überleben?

PolitikerInnen wie beispielsweise Irmgard Griss, Elke Kahr und Bettina Vollath, Menschenrechtsbewegungen wie eine Frauengruppe aus Portugal oder WissenschaftlerInnen aus verschiedenen Staaten, versuchten Antworten auf diese Fragen zu finden. Am Schluss stand eine große Skepsis gegenüber herrschenden Systemen sowie die Meinung, dass Demokratie keinesfalls in einer Gesellschaft überleben könne, in der Gerechtigkeit nicht Priorität sei, im Raum.

Abgeschlossen wurde die Konferenz mit einer Gänsehaut hervorrufenden Performance der Band „die Musigranten“, bestehend aus jungen Männern, denen das berüchtigte zweite Interview des Asylbescheids bevorstand, die das Lied „Irgendwann bleib I dann dort“  zu „Irgendwann bleib I dann do“ umdichteten.

Also: was passiert, wenn lokale und internationale VerterterInnen aus Politik, Medien und Journalismus offen miteinander ins Gespräch kommen? Genau!… Neue Strategien entstehen, um diese Welt ein Stück weit gerechter zu machen!

Links

ETHOS Blog: https://ethosjustice.wordpress.com
Landscapes of Justice app: www.myjustice.eu


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