
Kein Text gegen Rechts?
Stell dir vor, ohne jemals richtig geschlafen zu haben, erwachst du zum übersteuerten Standardklingelton eines Chinahandys, mit einem bekannten Logo drauf, und einem vertrauten Sprung quer über dem Display. Der bittere Geschmack der stickigen Luft deiner verrauchten Singlewohnung lähmt dich, während sich das Klingeln als Gesandter des Oberlehrers der Moral entpuppt. Deine „gerade-noch-tragbare“ Kleidung lässt zu wünschen übrig, doch reicht sie in Verbindung mit einem billigen Deodorant aus, um für andere nicht allzu schwer genießbar zu sein. Du streifst beim Abstieg gen Erdgeschoss den Nachbarn, in dessen Wände du jegliche Hoffnung steckst, begrüßt ihn einsilbig und wirfst ihm noch dein freundlichstes Lächeln, als Beweis, dass alles ok ist, zu
. Binnen weniger Meter zur Tür hinaus, siehst du erste Menschen, deren Wege du kreuzt, um an dein Ziel zu gelangen. Du kannst dich an keine Gesichter erinnern, denn du hast im Radio, als du im Auto eines bekannten saßt, gehört, dass sowohl Rassismus als auch Sexismus drastisch schlimmer geworden wären. Also arbeitest du mit deinen Blicken akribisch die als Sehenswürdigkeiten dienenden Werbeplakate, auf dem Weg ab, denn du willst weder die Rassisten provozieren noch selbst deine Macht als Mitglied der Gesellschaft unverantwortlich nutzen. Wenn es denn stimmt, was die im Radio sagen, dann willst du niemandem zu nahe treten. Nachdem der öffentliche Verkehr wieder einmal kreativ umgesetzt wird, freust du dich, denn du hast sowohl eine Entschuldigung für die 2-Minuten Verspätung, falls sie bemerkt wird, ein Smalltalk Thema und noch besser, einen gemeinsamen Feind
. Dein Arbeitspensum reicht bis übermorgen in einem Jahr, doch das sichert deinen Job, solange du dein „ich bin konzentriert bei der Arbeit“-Gesicht aufsetzt. Mittags freust du dich auf die Kantine, die bewundernswerterweise jeden Tag am Buffet zusätzlich sowohl Reis als auch gemischtes Tiefkühlgemüse anbietet, damit jedes spezielle Bedürfnis mit abgedeckt ist. Mehr kannst du nicht erwarten. Nachdem du abends Heim gekommen bist, schnupperst du die Freiheit, und widmest dich dem Konsum. Du bist ein braver Bürger.
„Die Freiheit des Einzelnen endet dort, wo die Freiheit des Anderen beginnt.“ – Immanuel Kant (1724-1804)