
Das Recht auf ein Zuhause
5% aller Kinder weltweit sind laut UNICEF obdachlos, offiziell zumindest. Was steckt hinter dem Wort Straßenkinder? Ein Beitrag im Vorfeld des Internationalen Tages der Kinderrechte (20. November).
Kleine Rauchwölkchen steigen auf, als Jannik[1] langsam die Luft aus seinen Lungen bläst. Er ist 16 Jahre alt. Bei den meisten Jugendlichen heißt das, endlich bis Ultimo ausgehen dürfen, vielleicht eine Lehre anfangen, erwachsen werden. Für Jannik heißt es Rausschmiss. Denn seit dem 15. Mai 2018[2] gilt er offiziell nicht mehr als Kind. Einige werden jetzt den Kopf schütteln, und sich lautstark auf die in Österreich geltende Kinderrechtskonvention berufen, nach der man erst mit dem 18. Geburtstag erwachsen ist. Ja, das ist durchaus korrekt, hat aber in diesem Fall wenig bis gar keine Relevanz. Hier geht es auch nicht um Ausgehzeiten, Führerscheinberechtigung oder ein Maturazeugnis. Es geht um Kinder auf der Straße. Oder doch Kinder der Straße? Die UNICEF macht hier einen groben Unterschied, was die Definition anbelangt. Ersteres sind lediglich Kinder, die, Zitat, „einen Großteil des Tages hier verbringen, um zu arbeiten etc.“ Demnach gelten Kinderprostituierte also als Kinder AUF der Straße, und nicht DER Straße, weil Letzteres bedeutet, dass sie „ihren Lebensmittelpunkt auf der Straße haben, dort schlafen“.
Als gut situierte/r Mitteleuropäer/in fragt man sich: Es gibt obdachlose Kinder? Wie kann so etwas passieren? Für Frau Beatrix M., selbst seit Kurzem pensioniert, ist es die Verwaltung, also das Jugendamt. Frau M. ist Janniks Tante und hat ihn und seinen Bruder nach dem Tod des Vaters in ihre Familie aufgenommen. Für die damals vollzeitbeschäftigte Kinderbetreuerin, die zudem auch noch alleinerziehend ist, waren die neuen beiden Teenager eine große Belastung. Sie versuchte, etwaige „Ausraster der Jungs“ mit deren Verlust des Vaters zu entschuldigen, „aber als dann auch Geld weg’kommen is‘, hab‘ I ma selber g’sagt I schaff des net mehr.“ Schließlich, auch weil sie ihren Neffen eine Zukunft geben will, gibt sie die Jugendlichen zurück in das örtliche SOS Kinderdorf. Lars[3], der Ältere, fängt sich, für ihn beginnt ein neues Leben – ohne Drogen, dafür mit einer WG und einer Lehre als Koch. Jannik nicht
. Bald schon kommt er in die Landesklinik Sigmund Freud. Sein soziales Umfeld verschlimmert sich, und nach dem nächsten Heim-Rauswurf findet er keinen Platz mehr. Er verkauft sämtliche Wertsachen, um sich einen Platz zum schlafen, oder gegebenenfalls Zigaretten zu kaufen, das Hasch werde ihm zu teuer. Für Kinder wie ihn gibt es nicht viele Optionen. Vielleicht eine Parkbank auf dem Friedhof, eine kleine Plane auf dem Boden, sogar eine Brücke hat etwas Wohliges. Wettergeschützte Orte sind eher schwierig zu finden, denn Bahnhöfe werden regelmäßig kontrolliert und Notschlafstellen sind überfüllt. Selbst wenn man einen Platz ergattert, kann man maximal zwei Wochen in einer solchen Einrichtung bleiben. Was macht er also? Und was machen die 999.999 anderen Straßenkinder?
Der amerikanische Autor Brandy Blackman hält in seinem Buch „Intervening in the lives of street children“ fest, dass die meisten Straßenkinder nicht über 40 Jahre alt werden. Nur ein winzig kleiner Teil, so Blackman, wird von gutherzigen Menschen gerettet, andere von weniger gutherzigen; viele kriminelle Banden nützen die Schutzlosigkeit der Kinder aus und bringen sie so zu „kleinen Jobs“. Jene, die es schaffen unbemerkt zu bleiben, sterben meist, sei es an verunreinigten Lebensmitteln oder an Hunger.
„Im Prinzip haben Straßenkinder keine Chance, das Leben hier ist nicht wie in Slumdog Millionär. Es ist hundertmal schlimmer.“ Dieses Zitat stammt von einem indischen Gemüsehändler aus Jaipur
. Er muss es wissen, schließlich führt Indien die Liste der meisten Straßenkinder mit 11 bis 18 Millionen an.
Es ist vollkommen egal, in welchem Land der Erde man als Kind kein zu Hause hat, es ist überall, abgesehen von Amerika, nicht rechtens, auf der Straße leben zu müssen.
Wenn also auch Du mehr zu diesem Thema erfahren möchtest, oder dich vielleicht sogar für Kinder ohne ein Dach über dem Kopf engagieren möchtest, schau doch mal auf der offiziellen Website der Hilfsorganisation Jugend Eine Welt vorbei, die unter anderem auch den internationalen Tag der Straßenkinder eingeführt hat (31.1.).
[1]Name aus Datenschutzgründen geändert
[2]Datum aus Datenschutzgründen geändert
[3]Name aus Datenschutzgründen geändert