
Ist Erinnern denn zu viel verlangt?
80 Jahre sind seit dem „Anschluss“ Österreichs an Nazi-Deutschland vergangen
. Für viele ist das ewig her. Sogar so ewig, dass es jetzt dann doch langsam mit dem Erinnern und Gedenken vorbei sein könnte. Aber kann die Beschäftigung mit der Vergangenheit eigentlich jemals abgeschlossen sein?
Filmaufnahmen zeigen euphorische Menschenmassen, die Hakenkreuzfahnen schwingen. Wer noch keine Fahne hat, bekommt von den einziehenden Soldaten eine geschenkt. Der Einmarsch der deutschen Armee erweist sich dank der politischen Machtübernahme österreichischer Nationalsozialisten als reine Formalität. Und die Menschen bejubeln den „Eintritt Österreichs in das Deutsche Reich“.
Heuer jährt sich der „Anschluss“ Österreichs an Hitler-Deutschland zum 80. Mal. Auch der Vizekanzler veröffentlichte zu diesem Anlass ein Posting auf seiner offiziellen Facebook-Seite. Die Reaktionen seiner Follower fielen allerdings bemerkenswert negativ aus. Wir würden ja „im Hier und Jetzt leben“, es müsse endlich Schluss sein mit dem „deutschen Opferkult“ und außerdem solle man „die Verbrechen der anderen nicht vergessen“. Diese ganze negative Berichterstattung und die aufwühlenden Dokumentationen sind unangenehm und eignen sich auch schlecht für den Fernsehabend auf der Couch. Ob die Großeltern den einmarschierenden Nazis zugejubelt haben, hat mit einem selbst heute ja nichts mehr zu tun und außerdem kann so etwas bei uns ohnehin nicht mehr passieren.
„Nach all den Jahren soll es einmal gut sein“
Auf viele Menschen wirkt es so, als werde heute von ihnen verlangt, sich für die Verbrechen des Nationalsozialismus schuldig zu fühlen, weil sie ÖsterreicherInnen sind. Sie empfinden es als Angriff und beschweren sich, dass man sich doch bitte auf die Zukunft konzentrieren und die Vergangenheit ruhen lassen soll. Sie orten sogar einen kollektiven Schuldkomplex.
Tatsächlich aber geht es beim Gedenken an die Verbrechen des Nationalsozialismus um die Aufarbeitung des Vergangenen und nicht um Schuldzuweisung. Gerade damit so etwas in der Zukunft nicht noch einmal passiert, sollten wir uns allerwenigstens zu den Gedenktagen mit den dunklen Seiten unserer Geschichte auseinandersetzen. Anstatt sich wütend für die Vergangenheit seines Landes zu schämen und deshalb zu verlangen, dass es mit dem Gedenken und Erinnern jetzt genug sei, könnte man stolz darauf sein, sich selbst an der Aufarbeitung zu beteiligen. Inzwischen ist die eigene Auseinandersetzung mit dem Thema dank unserer breiten Medienlandschaft und dem Zugang zu zeitgeschichtlichen Dokumentationen auch sehr einfach geworden. Niemand muss mehr Geschichtsbücher wälzen, um sich zu informieren, heute reicht oft schon ein Klick.
„Bei uns kann sowas nicht mehr passieren“
Es ist gefährlich, zu behaupten, der Nationalsozialismus hätte heute keine Chance. Denn solche Aussagen führen zu Unachtsamkeit und dazu, dass Extremismus schnell übersehen oder entschuldigt wird
.
Es liegt in unserer Verantwortung, zu verhindern, dass Derartiges je wieder geschieht. Aber dafür muss erst verstanden werden, wie es überhaupt dazu kommen konnte. Diese Arbeit kann aber niemandem abgenommen werden. Und schließlich ist jeder und jede selbst dafür verantwortlich, aufmerksam zu sein und zu hinterfragen.
Die Menschen, die am Heldenplatz jubelten, als Hitler seine Rede hielt, empfanden in erster Linie Hoffnung über den versprochenen Aufschwung. Wer Scheiben jüdischer Geschäfte einschlug oder seine Nachbarn an die Gestapo verriet, sah sich selbst nicht als bösen Menschen an, sondern fühlte sich in seinem Tun gerechtfertigt. Die extreme Stimmung in den politischen Lagern heute ähnelt der von damals. Die politische Mitte ist so gut wie verschwunden.
Trotz aller anderen Probleme in der Welt – oder gerade deshalb – sollte der Erinnerung an die Vergangenheit ebenso Platz gegeben werden. Nur wenn wir uns an vergangene Fehler erinnern, können wir versuchen, sie nicht zu wiederholen.
Infobox
2018 ist ein Mehrfachgedenkjahr (mehr Infos hier). Neben dem „Anschluss“ Österreichs im Jahr 1938 wird auch an andere bedeutende Ereignisse aus „8er Jahren“ erinnert:
- Revolution von 1848
- 1918: Gründung der Ersten Republik
- 1948: Verabschiedung der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte
- 1968: 68er-Bewegung, zahlreiche Studentenproteste, Bürgerrechts- und Antikriegsbewegungen
Foto (als Artikelbilder und auf Startseite): (c) Bundesarchiv, Bild 146-1972-028-14 / CC-BY-SA