
Straßenfußball mal anders: Der Homeless Worldcup (Interview)
Österreich als Fußball-Weltmeister? Das hört man doch eher selten. 2003, bei der Premiere des Homeless World Cup, feierte jedoch gerade das österreichische Team den Weltmeistertitel am Grazer Hauptplatz. Heuer wurde der Homeless World Cup als Projekt, das Sport und Menschenrechte verbindet, mit dem Grazer Menschenrechtspreis ausgezeichnet. Thomas Jäger, HWC-Teammanager, im Gespräch mit Kenne deine Rechte.
Welche Ziele verfolgt der Homeless World Cup?
Thomas Jäger: Das Ziel des Homeless World Cup ist soziale Partizipation durch Sport. Es geht um Menschen, die aus der Gesellschaft ausgeschlossen sind, sei es, weil sie suchtkrank, obdachlos oder als Flüchtlinge in unser Land gekommen sind. Ihnen soll über den Sport die Möglichkeit gegeben werden, Mitglieder eines Teams zu werden, gesellschaftliche Anerkennung zu erfahren und so aus diesem Randgruppendasein herauszukommen.
Wie gehen Sie bei der Verfolgung dieser Ziele vor?
Jäger: Der Homeless World Cup selbst, also das einmal jährlich stattfindende große Turnier, ist nur die Spitze des Eisbergs. Wir bereiten uns rund sechs bis acht Monate lang darauf vor. Wir haben ein Netzwerk aus diversen Sozialeinrichtungen, die die Spielerinnen und Spieler tagtäglich betreuen und die wir, wenn wir mit unseren Trainingsphasen beginnen, kontaktieren, um dann Sichtungstrainings in Wien und Graz durchzuführen. Dabei geht es ganz wesentlich darum, dass nicht das Fußballerische, sondern die Situation, in der die Spielerinnen und Spieler stecken, im Vordergrund steht. Die Frage lautet: Wie können sie ihr Leben verbessern, wenn sie an diesem internationalen Großturnier teilnehmen?
Das Team wird Schritt für Schritt formiert, wir machen Vorbereitungsturniere, wir verbringen Trainingslager. Teambuilding ist ein ganz wesentlicher Punkt. Wir haben seit heuer auch eine Mentaltrainerin mit an Bord, die sehr stark mit den Teilnehmerinnen und Teilnehmern zusammenarbeitet. Das entscheidende ist, dass wir den Sport als Werkzeug benutzen, damit die Spielerinnen und Spieler Fähigkeiten lernen, die sie dann im Alltag einsetzen können. Dass sie dann ihre Suchttherapie beenden, ihre Wohnungssituation verbessern, eine Ausbildung beginnen oder abschließen. Dass sie über den Sport Motivation und eine Perspektive bekommen.
Wie versucht man zu verhindern, dass die Teilnehmenden nach dem Turnier wieder zurück in ihr altes Schema fallen?
Jäger: Das ist der Knackpunkt, die entscheidendste Phase überhaupt im ganzen Projekt. Natürlich hat der Hype um die Teilnahme am Turnier, das im Rampenlicht stehen, ein Ende, wenn sie wieder in ihren teilweise tristen Alltag zurückkommen. Aber da geht es eben darum, diesen tristen Alltag abzulegen. Wir schauen, dass sie einerseits von den Einrichtungen weiterbetreut werden, von denen sie vorher gekommen sind, und dass es zudem nach dem Turnier weitere Termine gibt, wo wir Fragen behandeln wie: Was hast du im Turnier gelernt, was kannst du in den Alltag mitnehmen, wovon kannst du profitieren? Wir nutzen auch den Tag des Sports in Wien, wo wir mit der mobilen Street Soccer Anlage am Stand des ÖFB sind, damit sich alle Spielerinnen und Spieler wieder treffen. Wir gehen mit den Sponsoren und Unterstützern gemeinsam Essen, um das Turnier nochmal Revue passieren zu lassen. Am vergangenen Wochenende fand auch zum Beispiel unser nationales Turnier statt, das wir einmal im Jahr in Graz veranstalten, wo das Team noch einmal gemeinsam antritt. Wir kommen also gewiss nicht am Flughafen an und sagen „danke, das war das Turnier und auf Wiederschauen“.
Seit wann gibt es das Projekt schon?
Jäger: Die Initialzündung war, dass man im europäischen Kulturhauptstadtjahr 2003 ein einmalig geplantes Turnier am Grazer Hauptplatz durchgeführt hat. Und zwar nach einer Idee, die Harald Schmidt als Chefredakteur des Megaphon hatte, gemeinsam mit Mel Young, der immer noch Präsident des Homeless World Cup International ist
. Aus dem ist dann zum Glück dieses jährliche Großturnier geworden, das Schritt für Schritt gewachsen ist und an dem heuer fast siebzig Nationen teilgenommen haben. Es ist eine Großveranstaltung entstanden, die über 10 Tage stattfindet und rund um den Erdball wandert.
Wie viele verschiedene Nationalitäten sind Teil des Projekts?
Jäger: Wir sind sehr bunt aufgestellt. Es ist nicht so wie beim „normalen Nationalteam“, dass man die österreichische Staatsbürgerschaft haben muss. Man darf schon für das österreichische Team spielen, wenn man den Lebensmittelpunkt und Wohnsitz in Österreich hat. Wenn wir zum Beispiel das heurige Team hernehmen, hatten wir als Torleute einen Österreicher und einen gebürtigen Syrer, der als Flüchtling nach Österreich gekommen ist. Dann hatten wir auch noch einen Spieler mit türkischen Wurzeln, der aber schon sehr lange in Österreich lebt, drei afghanischstämmige Burschen, einen weiteren Österreicher und einen gebürtigen Nigerianer.
Gratulation zu Ihrer heutigen Auszeichnung. Erachten Sie den Grazer Menschenrechtspreis als eine wichtige Anerkennung?
Jäger: So eine Anerkennung ist natürlich sehr wichtig, weil durch den Preis Menschenrechte in die Öffentlichkeit gerückt werden, Menschenrechte medial und öffentlichkeitswirksam thematisiert werden. Sonst ist schon oft das Problem da, dass menschenrechtliche Themen nicht so breitenwirksam sind und dass die Menschenrechte zudem durch diverse Maßnahmen immer wieder beschnitten und für verschiedenste Gruppen eingeschränkt werden
. Deshalb sind solche Auszeichnungen wichtig, wo man sagt „Graz ist eine Menschenrechtsstadt und soll dieser Bezeichnung auch würdig werden“. Es sollen gewisse politische und gesellschaftliche Tendenzen nicht die Überhand nehmen können, bei denen es eher um den Abbau der Menschenrechte geht.
Sehen Sie die heutige Auszeichnung als Ansporn für die Zukunft?
Jäger: Ja, natürlich. Ein solcher Preis ist immer Ansporn, weil gezeigt wird, dass man auf dem richtigen Weg ist. Zu sehen, dass es durchaus honoriert wird, wenn man sich für die Menschenrechte einsetzt, ist hoffentlich auch ein Ansporn für andere Projekte, politische Organisationen und gesellschaftliche Gruppierungen. Wenn das gelingt, dann hat der Preis wirklich Sinn gehabt.
Wie kann man den Homeless World Cup unterstützen?
Jäger: Da gibt es verschiedene Möglichkeiten. Es beginnt bei Zeitunterstützungen, wenn man nicht gleich das Finanzielle in den Vordergrund rücken will, zum Beispiel durch die Mithilfe bei Veranstaltungen. Es hilft uns auch, wenn wir Likes auf Facebook bekommen und so die Öffentlichkeit mehr erreichen. Und natürlich wäre unser Projekt nicht durchführbar, wenn wir keine finanzielle Unterstützung durch unser Netzwerk aus privaten Sponsoren und Firmen hätten, die uns verlässlich seit langer Zeit begleiten. Genauso dankbar sind wir für Förderungen von verschiedenen politischen Einrichtungen – all das ist eben notwendig, damit wir unsere Arbeit durchführen können.
Abschließend, worauf können wir uns im Jahr 2018 freuen?
Jäger: Nächstes Jahr findet das sogenannte „European Street Football Festival“ in Graz statt und es ist für uns selbstverständlich ein Highlight, dass wir nach 15 Jahren wieder am Originalschauplatz direkt vor dem Grazer Rathaus spielen dürfen. Wir möchten den internationalen Gästen und unserem Grazer Publikum, das den Homeless World Cup noch aus 2003 kennt, eine wirklich tolle Woche bieten.
Wir bedanken uns recht herzlich für das Interview!
Save the date: Von 2. bis 7. Juli 2018 kehrt der soziale Straßenfußball unter dem Motto „Graz spielt wieder“ in die steirische Landeshauptstadt zurück!
Mehr Informationen hier.
Foto: (c) Homeless World Cup Austria