
Warum es so schwer ist, Grundrechte umzusetzen
„Menschenrechtsschutz wirkt mehr als eine Sache der politischen Korrektheit, als eine Rechtspflicht“. Gabriel N. Toggenburg von der Agentur der Europäischen Union für Grundrechte im Gespräch über den aktuellen Grundrechtebericht und die Entwicklung der Grundrechte in der Europäischen Union.
Die erste Frage, die sich in diesem Zusammenhang stellt, ist schnell beantwortet. Was ist der Unterschied zwischen Grundrechten und Menschenrechten? Antwort: Im Grunde genommen gibt es keinen. Der einzige Unterschied ist, dass im Arbeitsalltag der Europäischen Union hauptsächlich von Menschenrechten die Rede ist, wenn es um Außenbeziehungen wie den Handel geht. Sobald es um interne Themen geht, wird von Grundrechten gesprochen.
Die 2009, gleichzeitig mit dem Vertrag von Lissabon, in Kraft getretene Charta der Grundrechte der Europäischen Union ergänzt nationale Menschenrechtsdokumente und die Europäische Menschenrechtskonvention. Zuvor gab es nur einen allgemeinen Verweis auf die Europäische Menschenrechtskonvention. Mit der „Sichtbarmachung“ in der Charta sollen die Grundrechte für den Einzelnen transparenter werden und dabei die Identität und Legitimität der Europäischen Union – als Wertegemeinschaft – stärken.
Vor zehn Jahren wurde die Agentur der Europäischen Union für Grundrechte (FRA) mit Sitz in Wien gegründet. Ihre Aufgabe ist es, wichtige Entwicklungen in diesem Bereich aufzuzeigen. Ein Teil davon ist der jährliche Bericht, der alle 28 Mitgliedsstaaten berücksichtigt und zusammenfasst, wo Erfolge gefeiert werden können bzw. Nachholbedarf besteht.
Dabei führt die Agentur Informationen von allen nationalen Organisationen zusammen und analysiert sie – dieses Forschungsnetzwerk, das sogenannte FRANET, liefert dabei die Datengrundlage für den Jahresbericht und Studien zu verschiedenen grundrechtlich interessanten Themen. Für die österreichische Berichterstattung ist das Europäische Trainings- und Forschungszentrum für Menschenrechte und Demokratie (ETC Graz) zuständig. Hauptaufgabe ist es, Informationsanfragen aus nationaler Sicht zu beantworten, großer Vorteil dabei ist die Volksnähe. So können durch das ETC Graz diverse Fokusgruppen – also ExpertInnen, Betroffene etc. – zu einem Thema arbeiten oder auch Interviews können geführt werden. „Es werden aber auch nationale Entscheidungen von Gerichten und Parlamenten begutachtet und bewertet, inwieweit sich diese an der Grundrechtecharta orientieren“, erklärt Markus Möstl vom ETC Graz, Hauptansprechpartner für Österreich im FRANET.
„Spürbar ist, dass die EU sehr bemüht ist die Grundrechte zu schützen. Die Kommission oder der Europäische Gerichtshof (EuGH) prüfen beispielsweise ganz genau, ob Vorschläge neuer Maßnahmen mit den Grundrechten vereinbar sind oder nicht“, so Toggenburg im Gespräch. Großes Problem dabei ist es aber, dass Grundrechte für BürgerInnen oft nur schwer greifbar sind und aufgrund ihrer Abstraktheit auch nicht das große Interesse der breiten Öffentlichkeit erlangen.
Aber man kann es auch auf konkrete Beispiele herunterbrechen: Auf die Frage, ob sich die Definition von Privatsphäre verändern wird, erklärt Toggenburg, dass es für die junge Generation ganz normal sei, sich in diesem – für den Gesetzgeber – neuen digitalen Lebensraum aufzuhalten und dort mit anderen Personen zu kommunizieren. Die Grundrechtsverpflichtungen gelten klarerweise auch dort, nur an der Umsetzung muss noch gearbeitet werden
.
Welchen Stellenwert der Datenschutz in der vergangenen Zeit in der EU erlangt hat, zeigt sich eben in der Grundrechte-Charta. Artikel 8 lautet darin: „Jede Person hat das Recht auf Schutz der sie betreffenden personenbezogenen Daten.“
Toggenburg erklärt dazu: „Es gab einmal einen Vorschlag, dass alle Telekomanbieter Daten ihrer KundInnen speichern sollten. Das bedeutete zwar nicht, dass das Telefonat direkt abgehört wurde, aber alle anderen Informationen, wie Telefonatsdauer oder Aufenthaltsort, wären betroffen gewesen. Damit kann man schon ein ziemlich privates Profil einer Person entwickeln.“ Dieser Vorschlag wurde vom EuGH überprüft und klar abgewiesen, denn diese Informationen fallen genau unter Artikel 8
.
Zu den kommenden Entwicklungen in der EU und ihrer Gesellschaft meint Toggenburg: „Wir müssen wieder lernen, uns als Gesellschaft zu verstehen und nicht nur in Subgesellschaftlichen zu leben.“ Außerdem sollte seiner Meinung nach verstärkte Bildung dafür sorgen, dass wir eine gewisse Empathie entwickeln, Menschenrechte zu verstehen und auch zu verteidigen.
Das gesamte Interview findet ihr im Video: