
Colonia Dignidad – Kolonie der Menschen(un)würde
Colonia Dignidad, la Sociedad Benefactora y Educacional Dignidad. Sobald ich den Satz beendet habe, blicke ich in fragende Gesichter. Colonia Dignidad, was soll das sein? Eine Gruppe, eine Gemeinschaft, eine Sekte
. Es gibt viele Ausdrücke für die Kolonie, aber kaum einen, um die Grausamkeiten zu beschreiben, die dort vorgefallen sind.
Siegburg, 1956. Der ehemalige evangelische Jugendpfleger Paul Schäfer gründet gemeinsam mit dem Prediger Hugo Baar die „Private Sociale Mission“, ein Heim für Kinder und Jugendliche sowie deren Bezugspersonen. Immer mehr Familien schließen sich der namenlosen Gemeinschaft an, unter Schäfers Obhut finden sie nach dem Krieg Arbeit und ein Heim. Was sie jedoch nicht wissen, ist, dass „Onkel Schäfer“ fast täglich Jungen missbraucht und sie mit Gehirnwäsche gefügig macht. Erst viele Jahre später, 1961, kommen einzelne Taten ans Tageslicht. Bis die Polizei ihn jedoch stellen kann, ist Schäfer mit seiner Sekte schon auf dem Weg nach Chile.
Wie kam es so weit?
In einer Nacht und Nebel Aktion emigrierten die Mitglieder der „Colonia Dignidad“ (span. für Kolonie der Würde) per Schiff oder Flugzeug nach Parral, Chile, ein kleiner, abgelegener Ort in der Nähe von Santiago, wo sie unbemerkt eine Zivilisation aufbauen konnten. Viele der mitreisenden Kinder sind Entführte, erzählte man ihren Familien doch, sie seien auf einem Chorausflug.
Kaum in Chile angekommen, ändert sich für die Sektenmitglieder auf einen Schlag alles
. Männer, Frauen und Kinder leben getrennt, so etwas wie „Familie“ wird für viele mit der Zeit ein Fremdwort. Beziehungen dürfen kaum gepflegt werden, jede/r lebt isoliert vom Anderen. Überwachung, Strafen und Vergewaltigungen stehen an der Tagesordnung. Versucht jemand zu flüchten, wird er/sie auf schnellstem Wege zurückgebracht, stecken die Carabineros doch mit Schäfer unter einer Decke.
Was bleibt?
Hoffnungslosigkeit, undefinierbare Gefühle. Wut. Und zu guter Letzt: Arbeit, Arbeit, Arbeit. Wer ständig beschäftigt ist, stellt weniger Fragen, kommt seltener auf blöde Ideen.
Erst nach der Flucht zweier Jugendlicher 1997 gelang es den Behörden letztendlich, Paul Schäfer festzunehmen, woraufhin dann auch die gesamte Kolonie zerbracht. Viele der ehemaligen Mitglieder befinden sich nach wie vor in psychologischer Betreuung, einige sind zurück nach Deutschland gezogen. Colonia Dignidad wurde lange Zeit totgeschwiegen, kaum einer weiß so richtig, was damals dort passierte. Ein Verbrechen, welches nach wie vor unzählige Menschen erschüttert und die Frage aufwirft: „Warum wurde nichts getan?“
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