Kenne deine Rechte

Suche nach Identität


„Jeder hat Anspruch auf die in dieser Erklärung verkündeten Rechte und Freiheiten ohne irgendeinen Unterschied, etwa nach Rasse, Hautfarbe, Geschlecht […] oder sonstigem Stand.“ Artikel 2 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte, veröffentlicht 1948, drückt sich klar aus. Niemand soll und darf nach Rasse und Aussehen in eine Kategorie eingeordnet werden. Auch wenn uns das – zumindest in der Theorie – logisch scheint und in Europa schon lange gegen Rassismus aller Art gearbeitet wird, gibt es doch viele Teile der Welt, in denen sich diese selbstverständliche Denkweise noch nicht durchsetzen konnte. Aber warum? Werfen wir einen Blick in die Realität.

Beispiel: Südafrika

Wird über Südafrika berichtet, hört man meistens von Schwarzen und Weißen, von Mandela und dem Kampf gegen die Apartheid. 3,9 der 45,5 Millionen EinwohnerInnen sind jedoch weder schwarz noch weiß – sie sind Coloureds, Farbige
. „Stellt man sich ein Sandwich vor, werden sie in der Mitte eingequetscht. Früher waren die Weißen oben und die Schwarzen unten. Heute, unter der neuen (schwarzen) Regierung, ist das ganze umgekehrt. Die Coloureds werden schlussendlich immer benachteiligt; sie gehören nirgends wirklich dazu. Während der weißen Regierung waren sie zu schwarz, jetzt sind sie zu weiß.“

So erinnert sich die Theologin und Religionspädagogin Elisabeth Stangl, 60, an ihre Zeit als Lehrerin in einer Coloured Area in Kapstadt, Südafrika. Nach dem Abschluss des Studiums an einer österreichischen Universität und einigen Jahren als katholische Religionslehrerin in Nürnberg entschloss sie sich 2001, mit 46 Jahren, dazu etwas Neues zu wagen
. „Bloß Religionslehrerin zu sein war nichts mehr für mich, ich wollte einfach raus. Hier hat mich nichts mehr gehalten“, schmunzelt sie im Gespräch mit Kenne deine Rechte.

Sechs Jahre lang lebt sie in einem Cottage in Woodstock, einem der „coloured“ Viertel von Kapstadt. Obwohl die Gitter vor den Türen und Fenstern anfangs ungewohnt waren, fühlt man sich nach einer Zeit gar nicht mehr eingesperrt, meint Frau Stangl. „Ich hab eigentlich nie Furcht empfunden und bin auch sehr gerne sonntags von meiner Wohnung zur Kirche gegangen. Ich hab nie Probleme gehabt, weil mich jemand beklauen oder entführen wollte. Damals war ich auch flott unterwegs und selbstbewusst, jetzt würde ich mich das nicht mehr trauen.“

Hinter den Kulissen

Was auf den ersten Blick wie ein netter Urlaub im Land mit den meisten Sonnenstunden pro Jahr, 3700 an der Zahl, scheint, öffnet auch die Tür zu einer anderen Welt. Die wahren Probleme und Schwierigkeiten treten während des Unterrichts an einer Underprivileged Primary School mit bis zu 52 SchülerInnen pro Klasse auf. An anderen Schulen sind selbst Klassen mit 80 bis 90 Kindern keine Seltenheit. Die oft geringen schulischen Vorerfahrungen der Township-Kinder wie auch ihr Mangel an Englischkenntnissen führten in den letzten Jahren zu einem stetigen Rückgang des Bildungsniveaus an staatlichen Schulen. Betroffen sind dadurch Primary Schools (1. bis 7. Schuljahr) wie auch High Schools (8. bis 12. Schuljahr). „Ich hatte Schüler, die die Klasse schon zum zweiten oder dritten Mal wiederholt hatten. Unsere Kollegen waren oft so überfordert, dass sie weggeblieben sind. Viele können mit der Situation nicht umgehen und verlieren die Motivation. Es scheint ihnen alles hoffnungslos,“ erzählt Frau Stangl.

Viele der Schwarzen und Coloureds erhalten auch von zu Hause keine Unterstützung. Stattdessen verbringen sie die meiste Zeit auf der Straße, wobei der Umgang mit Weißen von beiden Seiten weitgehend aus Prinzip gemieden wird. Diese besuchen oft teure Privatschulen mit Standards, die europäischen Schulen entsprechen.

Das Gefühl der Unzugehörigkeit der Coloureds spielt eine genauso große Rolle wie der Konflikt zwischen Schwarzen und Weißen. Nach den Ergebnissen der Volkszählung von 2001 zählen sich rund vier Millionen SüdafrikanerInnen zur Bevölkerungsgruppe der Coloureds, was einem Anteil von 8,9% an der Gesamtbevölkerung Südafrikas entspricht. In den Provinzen Westkap und Nordkap beträgt ihr Anteil mehr als 50 %. Viele von ihnen treten Gangs bei und suchen einen Ausweg im Drogen- und Waffenhandel. Schlichtweg, weil sie durch eine meist bescheidene Schulbildung kein anderes Ziel vor Augen haben.

Die Frage, wie man zu einer Verbesserung der Umstände beitragen kann, bleibt unbeantwortet. „Das südafrikanische System, die Regierung, ist das Problem. Und wer den gordischen Knoten durchschlägt… Ich weiß es nicht“, gibt Elisabeth Stangl offen zu. „Ich hab jedoch in den sechs Jahren als Lehrerin in Kapstadt Erfahrungen gemacht, die mir keiner nehmen kann.“

Und der Traum vom „Regenbogen“?

Zwei Jahre nach dem Tod Nelson Mandelas, der seinen Traum von einer Regenbogengesellschaft, einer multikulturellen Gemeinschaft in der verschiedene Kulturen, Sprachen und Identitäten friedlich nebeneinander existieren können, nie erreicht hat, kämpft das Land mit zusätzlichen Problemen. Armut und eine Arbeitslosigkeit von 40% sind nur zwei davon. Obwohl die Kluft der Hautfarben in Südafrika heute kleiner ist als vor 20 Jahren, spiegelt sie sich dennoch in den sozialen und wirtschaftlichen Ungleichheiten im Land wider. Für die Altersgruppe der unter 25-Jährigen, die die Hälfte der 52 Millionen SüdafrikanerInnen ausmacht, ist das Apartheidsystem Geschichte. Armut, schlechte Zukunftschancen und Ungerechtigkeit sind es definitiv nicht.

Anm.: Name von der Redaktion geändert


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