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Liberté, Égalité, Fraternité: Das Vorzeigeland Frankreich?


Paris, 26.Jänner 2015. Wir stehen am geschichtsträchtigen Place de la Bastille, an dem man am 14. Juli 1789 lautstark die Rufe „Liberté, Égalité, Fraternité“ vernehmen konnte. Eine Gleichstellung aller Männer, wohlgemerkt, wurde von einer aufgebrachten, revoltierenden Masse gefordert. Frankreich, das Land der Emanzipation. Der jüdischen Emanzipation.

Wir steigen in die U-Bahn Linie 5 Richtung Bobigny, wechseln am Gare du Nord in die S-Bahn B Richtung Mitry-Claye
. Drancy, verkündet der Lautsprecher. Wir sind am Ziel.

Spaziert man durch diese kleine französische Gemeinde nordöstlich von Paris, ahnt man kaum, welche Gräueltaten sich hier in den Jahren des zweiten Weltkrieges abgespielt haben. Allein bis zum Jahre 1942 wurden in dieser 67 000-Einwohner-Stadt rund 42 000 Jüdinnen und Juden, Roma und Sinti in dem Sammellager Drancy festgehalten. Die nächste Station der InsassInnen: Auschwitz.

Liberté unter dem Vichy-Regime: das freie Frankreich?

Nachdem im Mai 1940 Truppen aus Nazi-Deutschland in Frankreich einmarschiert waren, annektierte Deutschland die Provinzen Elsass und Lothringen und besetzte den Westen und Norden Frankreichs. Unter dem Marschall Henri Philippe Petain, einem Helden aus dem ersten Weltkrieg, wurde eine neue Regierung mit Sitz im mittelfranzösischen Vichy, ausgerufen. Offiziell war das Vichy-Regime neutral, in der Praxis kollaborierte es jedoch mit Nazi-Deutschland und machte sich so an dessen Verbrechen mitschuldig. Bereits 1940 wurde das „Statut des Juifs“ verabschiedet, was zur Folge hatte, dass Juden und Jüdinnen zunehmend vom öffentlichen Leben ausgeschlossen wurden, ihre Posten im öffentlichen Dienst oder beim Militär räumen mussten oder Berufe wie Arzt und Ärztin, Jurist und Juristin oder Professor und Professorin nicht mehr ausüben durften. Das im Jahr 1941 gegründete Commissariat Général aux Questions Juives koordinierte die Enteignung zahlreicher jüdischer Haushalte unter dem Vorwand, man könne dieses Eigentum den Nazis nicht in die Hände fallen lassen. Nein, von Freiheit konnten Jüdinnen und Juden auch im unbesetzten Frankreich nur träumen
.

Égalité: Wer ist „gleich“?

Hitler-Deutschland forderte auch von Frankreich Deportationsquoten und Frankreich zeigte sich willig. Zwischen 62 000 und 77 000 in Frankreich lebende Juden und Jüdinnen wurden verhaftet und an Deutschland ausgeliefert. Allein zwischen 16. und 17. Juli wurden rund 13 000 Menschen verhaftet und unter unwürdigsten Bedingungen in der Arena Velodrome d’Hiver festgehalten, bevor sie schließlich nach Deutschland transportiert wurden. Auch in französischen Lagern wie Gurs, Saint-Cyprien, Riversaltes, Le Vernet oder Les Milles kamen an die 3 000 Menschen ums Leben. Der Großteil der Opfer waren staatenlose und ausländische Jüdinnen und Juden, die vor allem in den großen Einwanderungswellen zwischen den beiden Weltkriegen nach Frankreich gekommen waren. Die „französischen“ Juden und Jüdinnen, sprich diejenigen die über eine französische Staatsbürgerschaft verfügten, versuchte man großteils zu verschonen. Bei der Deportation aller Übrigen zeigte man hingegen keine Skrupel. So wurden von den rund 300 000 in Frankreich sesshaften Jüdinnen und Juden „nur“ zwischen 62 000 und 77 000 den Nazis übergeben. Steigert selbst in einem „Land der Gleichheit“ eine Staatsbürgerschaft den Wert eines menschlichen Lebens?

Fraternité: Auf der Suche nach Menschlichkeit

Ein düsteres Kapitel in der Geschichte Frankreichs. Doch damals wie auch heute gab und gibt es Lichtblicke. Menschen, die Juden und Jüdinnen versteckten und so vor dem Tod bewahrten. Menschen, die in dem koscheren Supermarkt in Paris während der Geiselnahme anderen helfen, sich im Kühlraum zu verstecken und ihnen so das Leben retten. Gerade ein junger muslimischer Mann aus Mali erinnert Frankreich wieder einmal an das Konzept der Fraternité: „Wir sind doch Brüder. Es ist keine Frage von Juden, Muslimen oder Christen. Wir sind alle im gleichen Boot“


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