Kenne deine Rechte

Nicht Mann, nicht Frau, nur ich


„Ist das Kind gesund?“ ist die erste Frage. „Bub oder Mädchen?“ die zweite.
Es kommt allerdings vor, dass die Eltern als Antwort darauf nur ratloses Schweigen bekommen, und dann steht ihre Welt Kopf. Denn ihr Kind ist eines von circa 25 Babys, die in Österreich jedes Jahr weder als Junge noch als Mädchen auf die Welt kommen. Was in kaum einem Geburtsvorbereitungskurs auch nur als Möglichkeit erwähnt wird, ist passiert: Ihr Kind ist intersexuell
.

Intersexuelle Menschen sind nicht einfach nur männlich oder weiblich, sondern irgendwo dazwischen. Manche haben sowohl weibliche als auch männliche innere Geschlechtsorgane, andere sehen bei der Geburt aus wie Mädchen, obwohl sie männliche Erbanlagen und Hoden im Inneren haben.  Wieder andere haben in ihrem Chromosomensatz  nur ein X Chromosom, oder aber XXY. Es gibt eine Vielzahl an Varianten und auch an Syndromen, die der biologische Grund für Intersexualität sind: Ob es an den Chromosomen liegt, an Enzymen, die nicht so funktionieren, wie sie sollten, oder einer fehlerhaften Hormonproduktion, die meisten Intersexuellen haben keinerlei gesundheitlichen Probleme. Sie sind eben nur anders. Viele merken das sogar erst in der Pubertät, wenn scheinbaren Mädchen zum Beispiel keine Brüste wachsen, sondern Barthaare. Das größte Hindernis für intersexuelle Menschen ist nicht ihr Körper, sondern die Gesellschaft.

Der Zwang „normal“ zu sein

Intersexualität ist unsichtbar. Es gibt keine verlässlichen Statistiken zu dem Thema und im öffentlichen Bewusstsein ist es so gut wie nicht vorhanden. Zu groß ist der Normalisierungsdruck. Jeder hat ein Mann oder eine Frau zu sein, und damit basta. Wer nicht in das binäre Geschlechtsschema hineinpasst, ist ein Freak. Doch die allgemeine Einstellung, dass Intersexualität „krank“ und „abnormal“ oder „pervers“ ist, hat gravierende, oft lebenszerstörende Folgen.

Es war lange Zeit die Meinung der Ärzte und Ärztinnen, dass intersexuelle Kinder bereits im Baby-oder Kleinkindalter umoperiert werden sollten, um einem der zwei traditionellen Geschlechter zu entsprechen. In der Regel passierte das schon bei Säuglingen, wobei meist zu einem Mädchen operiert wurde, weil es „leichter ist ein Loch zu graben, als einen Pfosten aufzustellen“, wie Ärzte es „sensibel“ ausdrücken. Meist wurde dabei enormer Druck auf die Eltern ausgeübt, einer Operation zuzustimmen, damit ihre Kinder „ein normales Leben führen können.“ Doch das Leid, das dadurch entsteht, ist schier unvorstellbar. Denn die Vorstellung, das Geschlecht einer Person durch eine simple Veränderung ihres Äußeren bestimmen zu können, ist absurd. Weder MedizinerInnen noch Eltern können wissen, ob sie sich nicht für das falsche Geschlecht entscheiden und das Kind später ganz anders empfinden wird. Dazu kommt, dass eine solche Operation auch physisch irreversible Schäden anrichtet. Die medizinischen Eingriffe zur Geschlechtsanpassung sind oft langwierig, traumatisierend und schmerzhaft, die Sensibilität der Geschlechtsorgane kann dabei verloren gehen und die Narben führen oft zu Schmerzen, die Betroffene ein Leben lang begleiten. Außerdem müssen umoperierte Intersexuelle ständig Hormone nehmen, um ihren Körper dem Aussehen des aufgezwungenen Geschlechts anzupassen. All das nur, um von der Gesellschaft akzeptiert zu werden.

Ein Quäntchen Hoffnung

Doch die Dinge ändern sich, wenn auch nur sehr langsam, für intersexuelle Menschen. Inzwischen sind sich die meisten spezialisierten Ärztinnen und Ärzte darin einig, intersexuelle Kleinkinder erst einmal nicht zu operieren, sondern abzuwarten, bis sie alt genug sind, um ihre Meinung auszudrücken. Wenn sie das wollen, können sie sich später schließlich immer noch dem Geschlecht ihrer Wahl operativ anpassen lassen, oder aber sie bleiben einfach wie sie sind, weder Bub noch Mädchen
. Doch es gibt wenige Ärztinnen oder Ärzte mit Fachwissen auf dem Gebiet, und die meisten betreiben unter dem starken Normalitätszwang weiterhin, was von Betroffenen oft als Genitalverstümmelung bezeichnet wird.
Abgesehen davon gibt es für intersexuelle Menschen auch zahlreiche bürokratische Hürden. Diese beginnen schon damit, dass die Eltern kurz nach der Geburt das Geschlecht ihres Kindes eintragen lassen müssen. Als Lösungsversuch für dieses Problem wurde in einigen Staaten der Welt, unter anderem Deutschland, kürzlich ein sogenanntes drittes Geschlecht eingeführt: Intersexuelle Kinder werden demnach nicht mehr als männlich oder weiblich eingetragen, sondern das Feld wird einfach freigelassen. Diese Änderung wurde aber von vielen Intersexuellen scharf kritisiert: sie sehen darin ein durch den Staat erzwungenes Outing und befürchten außerdem, dass die Zahl der Operationen zur Geschlechtsanpassung noch steigen wird, weil Eltern nicht wollen, dass ihre Kinder offiziell „geschlechtslos“ sind. Aber es gibt auch positive Neuigkeiten: So wurde Anfang 2014 der Verein Intersexueller Menschen Österreich gegründet, der gesellschaftliche Aufklärung, Beratung, Schulungen und eine Selbsthilfegruppe organisiert. Auch die 2013 etablierte Intersex-Beauftragte der HOSI Salzburg arbeitet dafür, dass Intersexuelle vielleicht einmal als das gesehen werden, was sie sind.

 

Weiterführende Links:

Intersexuelle Menschen e.V.

Interessensvertretung Intersexueller Zwischengeschlecht

Operationen: Leidensbericht des Intersexuellen Tiger Howard Devore

 

Foto (c) ParaDox Creative Commons

 


Das könnte dich auch interessieren