
Vorlesungen gehören gehört!
Geschwind mit den StudienkollegInnen in den Hörsaal gedrängt, ein Sitzplatz ist rasch gefunden, Notizblock und Kugelschreiber aus der Tasche gekramt und Augen aufmerksam nach vorne gerichtet
. Die Professorin tritt an ihr Pult, richtet das Wort an die Studierenden, beginnt ihre Vorlesung, aber: Absolute Stille. Geräuschlosigkeit ist für die rund 40 gehörlosen Studierenden in Österreich Alltag, nicht nur im Universitätsbetrieb, auch im alltäglichen Leben.
Für Gehörlose ist das Studieren an österreichischen Universitäten mit erheblichen Schwierigkeiten und Einschränkungen verbunden. Zwar ist die österreichische Gebärdensprache (ÖGS) seit 2005 im Verfassungsgesetz als offizielle Sprache verankert, doch de facto hat sich seit diesem Zeitpunkt in der schulischen Ausbildung für Gehörlose nicht viel verändert. Der Zweisprachigkeit von gehörlosen Kindern mit ÖGS als Muttersprache und Deutsch als erste Fremdsprache wird im österreichischen Schulsystem nicht Rechnung getragen. Gehörlose SchülerInnen werden in vielen Fällen ausschließlich lautsprachlich erzogen. Die Gebärdensprache, ihre Erstsprache, wird dabei in den Hintergrund gedrängt, da die ÖGS in der schulischen Ausbildung nur selten verwendet wird. Diese Grundhaltung des österreichischen Bildungssystems ist die Konsequenz des zweiten internationalen Taubstummen-LehrerInnen-Kongresses in Mailand aus dem Jahr 1880
. Auf diesem verabschiedeten die anwesenden PädagogInnen eine Resolution, welche veranlasste, dass als Unterrichtssprache für Gehörlose der Lautsprache der Vorzug zu geben sei. Infolgedessen beherrschen heute viele gehörlose Kinder beide Sprachen nur unzureichend.
Neben der fehlenden Umsetzung von Förderungsmaßnahmen ist der finanzielle Aufwand für gehörlose StudentInnen während des Studiums sehr hoch. Werden die Studierenden nicht individuell von universitären Projekten unterstützt, sind sie gezwungen die für die Lehrveranstaltungen benötigten Gebärdesprache-DolmetscherInnen eigenständig zu finanzieren. Diese Kosten werden durch Ausbildungsbeihilfen nur zu einem minimalen Teil gedeckt, die Universitäten selbst verfügen über keinen eigenen Etat für die Unterstützung gehörloser Studierender.
Gehörlos erfolgreich studieren
Mit dem Start des Pilotprojekts GESTU (Gehörlos Erfolgreich Studieren) im Jahr 2010 verbesserte sich die Situation der gehörlosen und schwerhörigen Studierenden an den Wiener Universitäten und Fachhochschulen. Die Organisation des Förderungsprojekts läuft über eine Servicestelle an der Technischen Uni Wien. Sie stellt GebärdendolmetscherInnen für Lehrveranstaltungen und in einigen Fällen auch technische Hilfsmittel zur Verfügung und übernimmt deren komplette Finanzierung. Die GESTU beschäftigt zusätzlich Studierende, die während der Lehrveranstaltungen als TutorInnen für gehörlose KollegInnen mitschreiben und ihnen im Zuge der Nachbereitung Fragen zum Stoffgebiet beantworten. Zurzeit studieren rund 40 gehörlose StudentInnen an einer österreichischen Universität, das entspricht einem Promille der gesamten Studierenden. Zirka zwölf von ihnen leben in Wien und werden hier von der GESTU gefördert. In anderen Bundesländern existieren bis jetzt keine vergleichbaren Initiativen. Das Projekt GESTU in der Bundeshauptstadt ist mit einem Ablaufdatum versehen, wie es ab 2015 weitergehen soll, ist nicht geklärt.